Prolog

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Bittet mich, das feinste Garn, den feinsten Faden zu spinnen, und ich tue es schneller als jeder andere - selbst mit geschlossenen Augen. Doch bittet mich, eine Lüge zu erzählen, und ich werde stammeln und ins Stocken geraten, wenn ich sie mir ausdenken muss.
Ich hatte nie ein Talent, Geschichte zu spinnen.
Mein Bruder Keton weiß das besser als jeder andere. Er glaubt mir, auch wenn er ein paarmal seine Augenbrauen hochzieht, während ich ihm alles erzähle - von den drei nahezu unlösbaren Aufgaben, die mir gestellt wurden, von dem Dämonen und den Geistern, denen ich auf meiner Reise begegnet bin, und von dem Zauber, der unseren Kaiser umgab.
Baba, mein Vater, glaubt mir nicht. Er sieht durch die Schatten, hinter denen ich mich verstecke, sieht, dass meine Augen trotz des Lächelns, das ich Keton schenke, rot und entzündet sind. Geschwollen vom stunden-, ja tagelangen Weinen. Was Baba nicht sehen kann: Mein Herz ist verhärtet, obwohl noch die Tränen auf meinen Wangen trocknen.
Ich fürchte mich davor, zum Ende meiner Geschichte zu kommen, denn es ist voller Knoten, die abzuschneiden ich nicht den Mut hatte. Ferne Trommeln dröhnen. Sie werden mit jeder Sekunde lauter, eine irritierende Erinnerung, wie wenig Zeit mir bleibt, um meine Wahl zu treffen.
Wenn ich zurückgehe, lasse ich hinter mir, wer ich war. Ich werde meine Familie nie wiedersehen, nie mehr mein Gesicht im Spiegel betrachten und nie mehr wird hemand meinen Namen rufen.
Aber ich würde die Sonne und den Mond und die Sterne aufgeben, wenn ich ihn dadurch retten könnte.
Ihn - den Jungen ohne Namen, der tausend Namen hat. Den Jungen, der das Blut der Sterne getrunken hat.

Den Jungen, den ich liebe.

Ein Kleid aus Seide und Sternen (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt