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Der erste Teil der Autofahrt hätte nicht unspektakulärer verlaufen können.
Nach seinem Wutausbruch im Pub, hatte Grayson sich zurückhaltend benommen, fast so, als wolle er nicht noch mehr Schaden anrichten, als er bereits hatte.
Meinen Fragen war er mit kurz angebundenen Antworten ausgewichen, also hatte ich nach einer Weile aufgegeben ihn mit welchen zu löchern.
"Dürfte ich mich erkundigen, wo du gedenkst mich hinzubringen?", fragte ich betont freundlich als wir langsam, im Stau gefangen an einem touristenumwuselnden Monument vorbei fuhren.
"Nein.", erwiderte Grayson knapp.
"Und wenn ich es trotzdem täte?"
Trotzig sah ich ihn von der Seite an, doch er schien beschlossen zu haben mir keine Beachtung mehr zu schenken.
Langsam tuckerten wir aus dem Zentrum, vermutlich bewegten wir uns Richtung Highway.
"Könntest du mir bitte mal eine anständige Antwort geben?", fragte ich ihn genervt.
"Warum sollte ich?"
Das war die erste mehrsilbige Antwort die ich von ihm auf dieser Autofahrt erhalten hatte. Es spricht, dachte ich spöttisch.
"Das schuldest du mir.", erwiderte ich schlicht.
Er wiedersprach nicht.
Zuerst dachte ich, er hätte jetzt beschlossen mich komplett zu ignorieren, und mir nichtmal mehr einsilbige Antworten zu geben, als er mich kurz von der Seite ansah und resigniert antwortete:
"Was willst du wissen?"
Am liebsten wäre ich aus dem Auto gesprungen und einen Freudentanz aufgeführt, doch ich unterdrückte diese seltsamen Impulse und beschränkte mich auf ein breites Grinsen.
"Wohin fahren wir?", fragte ich neugierig.
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
"Ich gedenke dir diese Frage erst zu beantworten, wenn du eine andere gestellt hast."
"Was soll ich denn fragen?", jammerte ich.
"Frag, warum du noch lebst. Frag, was mit dir los ist.", schlug er mir vor.
"Warum sollte ich nicht mehr leben?", fragte ich verwirrt.
"Weil ich dich getötet habe."
Das musste dann wohl der Moment gewesen sein, in dem ich mich fragte, was ich mit einem wildfremden Irren (ich hatte noch mehrere unschmeichelnde Beschreibungen auf Lager) in einem Cabrio Porsche auf dem Highway machte.
Er schien wohl bemerkt zu haben, dass seine Worte eine verstörende Wirkung auf mich gehabt hatten, denn er seufzte als er mein Gesicht sah.
"Ich bin nicht der richtige um dir das zu erklären.", murmelte er.
"Da könntest du eventuell Recht haben.", erwiderte ich mit schriller Stimme.
Warum konnte er mir nicht einmal eine anständige Antwort liefern?
"Das kann dir niemand schonend beibringen.", murmelte er gepresst.
Langsam machte ich mir echt Sorgen, was als nächstes kommen würde.
Was würde er mir sagen? Dass ich Krebs hatte und bald sterben müsste? Nein, dachte ich. Er hätte sicher Spaß daran gehabt es mir quälend langsam zu sagen, um mich Leiden zu lassen.
Es musste sich um etwas handeln, wo nicht mal er grausam genug war, sich über mein Leid zu erfreuen.
"Dann sag mir was los ist, kurz und schmerzlos."
Die Angst in meiner Stimme schien mir unmöglich überhörbar zu sein, trotzdem schien er sie nicht wahrzunehmen.
Er zögerte.
"Es ist nicht meine Schuld, wenn du aus dem Auto zu springen gedenkst, sobald ich dir gesagt habe, was ich als nächstes zu sagen gedenke."
Ich wusste zwar nicht, wieso er auf die krankhafte Idee kam, das ich irgendetwas in diese Richung tun sollte, nickte aber.
Bevor ich etwas sagen konnte, hob er schon die Hand, um meinem Redeschwall im Keim zu ersticken.
"Keine Fragen bis ich fertig bin.", mahnte er und ich schloss meinen Mund wieder.
Wieder nickte ich, und er sah mich das erste Mal auf der ganzen Autofahrt richtig an.
Seine eisblauen Augen ruhten auf mir, und ich spürte wie mir die Röte langsam ins Gesicht kroch.
Schnell wandte ich den Blick ab und starrte auf die vorbei ziehenden Felder.
"Du bist nicht mehr lebendig.", fing Grayson an. "Aber auch nicht wirklich tot."
Wenn das mal nicht eine schöne Einleitung war, dachte ich spöttisch, hielt jedoch meinen Mund.
"Uns gibt es schon seit Anbeginn der Menschheit. Wo es Tod und Verwüstung gibt, gibt es uns. Wir waren immer Teil dieser Welt, ein kleiner Nebeneffekt Gottes perfekter Schöpfung."
Vielleicht ist er ja Teil einer geheimen Sekte, die an Zobies glaubt, schoss es mir durch den Kopf.
"Wir haben immer überlebt, und egal wie sehr die Menschen es versuchten, wie verzweifelt sie ihren Schöpfer anflehten, das Virus wurde nie bezwugen. Ganz im Gegenteil; es breitete sich wie ein Lauffeuer aus, über Ozeane hinweg, und befiel Menschen, die dieses Schicksal nicht verdient hatten."
Plötzlich fiel mir auf, dass seine Stimme bitter klang; als würde er an etwas erinnert werden, das er am liebsten auf ewig vergessen würde.
Und vielleicht war es dieser Unterton in seiner Stimme, der mich dazu veranlasste, ihm zu glauben, und jede einzelne Silbe als bare Münze zu nehmen.
"Viele ließen ihr Leben, nur wenige waren dem Virus gewachsen. Andere starben lieber, als sich den Qualen auszusetzen und die Folgen durchzumachen."
"Welche Folgen?", fragte ich vorsichtig.
Doch er schien zu stark in düsteren Erinnerungen zu schwelgen, um zu bemerken, dass ich sein Redeverbot gebrochen hatte.
Er schloss kurz die Augen und atmete tief durch.
"Die Blutlust ist fast das Grausamste. Das nagende Gefühl an Hunger, dass durch keinen saftigen Braten, keinen Apfel oder keinen Whisky dieser Welt gestillt werden kann. Vielleicht ist es auch das ständige Gefühl der Kälte, das viele abschreckt; dass sie einem langsam in die Glieder kriecht, und sich dort festsetzt. Aber das wahrscheinlich schlimmste Gefühl ist das, nicht mehr menschlich zu sein; nicht mehr Teil dieses Ortes zu sein."
Ich war wie festgefroren. Mein Atem ging flach und wenn ich noch meinen Herzschlag spüren würde, wäre er sicher gerast.
Langsam hob ich den Blick von meinen Händen und blickte zu Grayson.
"Was bist du?", flüsterte ich.
Auch er legte seinen Blick auf mich.
Die Spannung war fast greifbar. Sein Blick verdunkelte sich, und wenn ich nicht so voller Arenalin wäre, hätte ich sicher Angst bekommen.
Doch ich erwiderte seinen Blick, und wartete auf die Antwort, die ich mir schon so lange ersehnt hatte.
"Du weißt es nicht?", fragte er mit rauer Stimme.
Obwohl ich mir der Antwort bereits sicher war, schüttelte ich den Kopf.
"Wir haben verschiedene Namen.", setzte er schließlich leise an. "Aber der wohl bekannteste wird dir am meisten sagen."
Ich grub meine Fingernägel in meine Handflächen. Bereits jetzt wusste ich, dass, was als nächstes kommen würde, mir nicht gefallen würde.
"Ich bin ein Vampir."
Meine Schockstarre dauerte nicht halb so lange, wie ich angenommen hatte.
Was hatte ich mir erwartet?
Mein Blickfeld begann an den Rändern zunehmends schwärzer zu werden.
Ich musste hier raus. Sofort.
Ohne zu zögern legte ich die Hand auf den Autotürgriff. Ich zog daran, doch nichts tat sich. Immer energischer begann ich daran zu rütteln, mir blieben nur noch wenige Sekunden, bevor ich das Bewusstsein verlieren würde; die Schwärze kroch immer weiter in mein Blickfeld.
Ein letztes unnützes Rütteln bestätigte meine Vermutung; er hatte die Tür abgeschlossen.
Krampfhaft versuchte ich ruhiger zu atmen, doch gegen die nahende Unmacht konnte ich nichts tun.
Wenn ich jetzt das Bewusstsein verlor, wäre ich Grayson schutzlos ausgeliefert, und das musste ich auf jeden Fall verhindern.
Die Panik war nicht sehr fördernd, und ließ mich sogar noch schneller schwächer fühlen.
Meine Hand rutschte vom Türgriff ab, ich hatte nicht mehr die Kraft sie dort zu halten.
Dann übermannte mich Schwärze.

Das erste was ich spürte, war eine Hand, die mir unsanft auf die Wangen tätschelte.
Vorsichtig öffnete ich das linke Auge ein Stück, nur um einen angenervten Grayson über mir kauern zu sehen.
Die Erinnerung ließ nicht lange auf sich warten.
Vampir.
So seltsam es auch klingen mochte, ich glaubte es. Es passte einfach zu dem Bild, das ich mir bisher gemacht hatte. Es ergänzte die verrückte Geschichte der letzten Tage; alles ergab plötzlich einen Sinn.
"Das ist eigentlich nicht vorgesehen.", murmelte Grayson leise und holte mich somit wieder in die Realität zurück.
Ich bewegte mich nicht, sondern blieb regungslos liegen.
"Du brauchst nicht so zu tun, als wärst du noch immer ohnmächtig.", fügte er hinzu.
Beleidigt setzte ich mich auf, bereute es jedoch gleich wieder.
"Mir ist schlecht.", murmelte ich und drückte, wie zur Verdeutlichung meiner Worte, die flache Hand auf den Bauch.
"Das ist auch nicht vorgesehen.", stellte er stirnrunzelnd fest.
"Was hast du gemacht?", fragte ich leise.
Er lehnte sich vor. "Die Frage ist wohl eher: Was hast du nicht gemacht?"
Verwirrt starrte ich ihn an. "Ich- ich verstehe nicht."
Er verdrehte die Augen.
"Tu nicht so dumm.", knurrte er ungeduldig. "Du weißt genau was ich meine."
Verängstigt schüttelte ich den Kopf. "Ich hab' keine Ahnung-"
"Ich wiederhole mich nur ungern; tu nicht so dumm."
Er machte einen wahrlich beängstigenden Eindruck; die eisblauen Augen waren zusammengekniffen und die zusammengezogenen Brauen trugen auch nicht zu einem friedlichen Bild bei.
Ich konnte nicht umhin, mich aufzurappeln und so schnell mein gestörter Gleichgewichtssinn es zuließ, einige Schritte zurückzustolpern.
Je mehr Abstand, desto besser, murmelte ich wiederholt in Gedanken. Weg, weit weg, bloß nicht zu nahe.
"Du weißt es wirklich nicht, oder?" Er hatte sich jetzt auch erhoben, wesentlich eleganter, als ich es jemals gekonnt hätte, und überwand die wenigen Fuß, die uns voneinander trennten mit wenigen Schritten.
"Du hast keinen blassen Schimmer wovon ich rede, habe ich recht?"
Ich brachte ein zögerliches Nicken zustande.
"Warum hast du das denn nicht früher gesagt?", fragte er, und warf mir einen tadelnden Blick zu.
Bevor ich auch nur den Mund öffnen konnte, und protestieren, dass dies sehr wohl der Fall gewesen war, hatte er bereits erneut zu reden begonnen.
"Scheinbar kennst du dich in diesem Gebiet nicht aus." Er ließ ein leises Schnauben vernehmen. "Was ist auch schon anderes zu erwarten? Lass mich raten; du bist behütet und in einem Leben voller Geheimnisse aufgewachsen?" Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort.
"Du hast von den sieben ursprünglichen Tagen nur noch drei Zeit, bis du stirbst- Jetzt schau' nicht so, wir leben täglich mit dem Risiko zu sterben!" Er sah mich ärgerlich an, fast so, als hätte er nicht erwartet, dass ich entsetzt darüber wäre, in 72 Stunden zu sterben. Nur mit Müh und Not verkniff ich mir einen Kommentar, und bedeutete ihm, fortzufahren. Tatsächlich sprach er weiter, nicht ohne mir einen letzten überheblichen Seitenblick zugeworfen zu haben, aber immerhin. "Wie ich gerade erklären wollte - bevor du mich angesehen hast, als hätte ich deinem Kater das Fell über die Ohren gezogen - hat man nach dem Biss sieben Tage Zeit sich zu entscheiden, ob man Mensch bleiben will, und sterben, oder zum Strygoï, klassisch auch als Vampir bekannt, werden, und den Pfad der Unsterblichkeit einschlagen möchte."
Nachdenklich legte ich den Kopf schräg. "Wie entscheidet man das?"
"In den meisten Fällen entscheiden deine Instinkte das für dich. Sobald menschliches Blut deine Lippen benetzt, wirst du zu einer Strygoï. Viel zu entscheiden hast du da nicht; sobald du in die Nähe pulsierender Adern kommst, handelt dein Körper ohne dein Einverständnis, nur die ganz Starken schaffen es, selbst für sich zu entscheiden."
Scheinbar hatte ich einen sehr verwirrten Gesichtsausdruck zur Schau getragen, denn Grayson bedachte mich mit einem Blick, als hätte er groß Lust, mich gleich nochmal bis zur Bewusstlosigkeit ausbluten zu lassen. "Was ist unklar?"
Ohne seinem Verhalten große Beachtung beizumessen, ging ich die soeben erfahrenen Dinge im Kopf durch. "Warum sollte ein Tropfen großen Unterschied machen? Was bringt es Strygoï überhaupt, Blut zu sich zu nehmen?!"
"Ich denke", sagte er kalt, "im Moment reicht das Wissen, dass du Blut brauchst aus. Das 'warum' ist unser wohlgehütetes Geheimnis, das dir erst anvertraut werden soll, sobald wir dich in unseren Reihen wissen."
Ich hatte kaum Zeit, eine schnippische Antwort zurück zu schießen, da sich plötzlich begann, alles um mich herum zu drehen. Die Welt verschwamm bereits ein zweites Mal heute, vor meinen Augen, und egal wie sehr ich es versuchte, konnte ich es beim besten Willen nicht zurückdrängen.
"Grayson-", brachte ich schwach hervor. "Mir ist schwindelig. So schwindelig." Obgleich meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern war, hallten die Worte laut wie Paukenschläge in meinem Kopf nach, als alles schwarz wurde, und meine Beine unter mir weg knickten.
So schwindelig.

Es gibt nur ein Wort, das ich jetzt zu sagen habe:
Danke.
Danke, dass ihr meine Geschichte trotz sechsmonatiger Abwesenheit immer noch lest. Danke, dass ihr mich bis hier unterstützt habt.
Danke.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 29, 2015 ⏰

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