Ein verschenktes Lächeln

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Elisabeth-Josephine-Magdalena-Victoria-Maria Krakauer! Dieser Name hat Pippi, wie sie liebevoll von ihren Freunden wegen der Vielzahl ihrer Namen genannt wird, schon einiges abverlangt. Ein junger Behördenmitarbeiter, der erst auf ihren Ausweis starrte, dann auf sie und es plötzlich aus ihm herausschoss: „Kann man das essen?", hatte zumindest den Anstand rot bis an die Haarspitzen zu werden, als sie ihn freundlich anlachte und darauf verwies, dass der Name Krakauer eine Ableitung des Namens der Stadt Krakau sei und im Ursprünglichen nicht nur die Wurst, sondern eben auch die Personen beschreibt, die in der Stadt Krakau leben. Ansonsten handele es sich halt einfach nur um ihren Nachnamen.

Nicht genug, dass ihr Nachname nach einer Wurst klingt, weiß sie auch heute, mit Mitte dreißig noch nicht, was ihre Eltern dazu bewogen haben könnte, ihr diesen Vornamen zu geben. Eine Antwort darauf wird sie auch nie erhalten, das weiß sie. Ihre Eltern lächeln sich immer nur verschmitzt bei diesem Thema an und sagen: „Wir hatten halt gerade unsere drolligen fünf Minuten."

Immer, wenn diese Antwort fällt, verdreht sie leise lachend die Augen, dreht sich um und geht.

Pippi findet, dass Elisabeth-Josephine-Magdalena-Victoria-Maria ein viel zu langer Name für eine so kurze Person wie sie ist. Sie misst gerade einmal einhundertfünfzig plus sieben Zentimeter. Die "Plus sieben Zentimeter" zaubert sie aus ihrem Schuhschrank. Dabei würde es jemandem auf der Straße nicht einfallen sie als "Klein" zu bezeichnen. Selbstbewusst geht sie mit geradem Rücken und offenem Blick strammen Schrittes durch die Straßen dieser Stadt, die sie so liebt.

Dann und wann überlegt sie schon einmal, dass "Pippi" als Rufname nicht mehr altersgerecht ist, aber ihre Freundin Julia-Antoinette, genannt Julie, hat ihr zu einer Änderung des Kosenamens neulich bereits eine klare Absage erteilt. „Schatz! Wir kennen dich alle seit der Schulzeit.", hat sie gesagt. „Da wirst Du uns alten Menschen das nicht mehr abgewöhnen. Oder möchtest du wirklich, dass wir dich immer Elisabeth-Josephine-Magdalena-Victoria-Maria nennen, wenn wir uns mit dir unterhalten?" Das wollte sie natürlich nicht, aber "Vicki" statt "Pippi" wäre doch schon nett. Worauf Julie nur abfällig „Das klingt ja gleich ganz anders" geschnaubt hat. Okay, sie hat es verstanden, das Thema ist erledigt. Sie schenkte Julie eines ihrer strahlenden Lächeln, die sie mir nichts, dir nichts ins Gesicht zaubern kann und kapitulierte.

An Pippi schätzen ihre Freunde vor allen Dingen, dass sie grundsätzlich versucht aus Scheiße Kakao zu machen und fast alles, was ihr passiert unter einem positiven Aspekt zu sehen. Früher hat sie selber das gar nicht bemerkt. Für sie war es das Natürlichste der Welt. Wurde sie darauf angesprochen, sagte sie rundheraus, dass sie das nicht für einen Verdienst hält. Sie ist halt so und ihr Naturell wurde ihr in die Wiege gelegt.

Später ist ihr aber bewusst geworden, dass das keineswegs so ist. Es hat Erlebnisse gegeben, bei denen es ihr schwerfiel daran festzuhalten. Diese Zeiten haben dazu geführt, dass sie eine ganz bewusste Haltung zu diesem Thema eingenommen hat. Sie will das Leben positiv sehen und sich an die schönen und glücklichen Momente erinnern.

Pippi glaubt ganz fest daran, dass es einen Sinn hat, dass Menschen im Kindesalter lernen auf Bordsteinkanten zu balancieren, in den Wolken Bilder zu malen und auf Bäume zu klettern. Deshalb versucht sie auch jetzt, als Erwachsene, sich an diesen Erinnerungen - wie es sich anfühlte, wenn sie diese Dinge getan hat - festzuhalten. Dieses Gefühl der Freiheit, wenn sie Bäume erklomm. Den Sommerwind auf der Haut zu spüren, wenn sie mit dem Rücken auf der Wiese lag. Die Nase zur Sonne und den Blick in den Himmel gerichtet in die Wolken zu schauen und sich auszumalen, was für Bilder ihr die Wolken schenken. Das Triumphgefühl, die Balance nicht verloren zu haben. Das waren die kleinen Freuden des Kinderalltags, die sie sich bewahren möchte. Sie hat sich fest vorgenommen diesen Teil des Kindes, das sie einmal war, nicht zu verlieren.

So kann es passieren, dass sie auch heute, während eines Spazierganges, anfängt zu hüpfen oder jauchzend am Strand entlangläuft. Wenn es ihr so richtig gut geht, lässt sie ihr Umfeld daran teilhaben. Ihre Freunde schauen immer, ob keine anderen Menschen unterwegs sind, die das sehen können. Sollte es doch einmal der Fall sein, gibt es zwei mögliche Reaktionen. Einmal gibt es die Freunde, die liebevoll von einem Ohr zum anderen grinsen und sagen: „Wir kennen sie nicht, die gehört nicht zu uns!" Die andere Reaktion kann sein: „Mensch Pippi, lass das doch, die kennen uns hier doch alle!" Das stimmt zwar, ändert aber meistens nichts daran, dass der Übermut, der sie in diesen Momenten überfällt einfach raus muss. Lachend macht sie einfach weiter.

Eine Nachbarin und ihr Mann trafen sie neulich zufällig auf der Straße. Sie strahlte Pippi an und rief zu ihrem Mann: „Heribert guck mal! Man sieht immer erst das Strahlen und dann die Frau."

So zieht sich das durch Pippis Leben und das ist auch gut so, damit fühlt sie sich wohl.

Gerade jetzt, als sie verträumt mit Julie vor dem Schaufenster mit den schönen langen Abendkleidern steht, wird sie angerempelt. Autsch verdammt, kann der Kerl nicht aufpassen, wo er hintritt. Tapfer beißt sie die Zähne zusammen. Es tut schon weh, mehr ist aber auch nicht passiert. „Oh, oh, oh, das tut mir leid!", stammelt ein zwei Meter Mensch, der jetzt wie ein Häufchen Elend vor ihr steht. Sofort schnauzt Julie ihn an: „Können sie nicht aufpassen, wir sind klein aber nicht unsichtbar!" Betreten schaut er von einer zur anderen und dann auf Pippis Füße. „Und dann auch noch so kleine Füße." Kurz möchte sie jetzt doch beleidigt sein, stattdessen lächelt sie ihn an. Erstaunt sieht er sie an. „Und dann lächelt sie auch noch." Prompt mischt Julie sich wieder ein. „Ja, weil SIE ein freundlicher Mensch ist." Jetzt wird es ihm auch zu bunt. „Damit verändert sie auch nicht die Welt.", schnauzt er zurück, umrundet die beiden kopfschüttelnd und geht weiter.

„So ein unverschämter Kerl!" zetert Julie. „Was bildet der sich eigentlich ein?"

„Entspann dich Julie. Nur, weil einer anders denkt als ich, wird er mich nicht davon abhalten weiterhin jeden Tag ein Lächeln zu verschenken. Ich weiß ja, dass ich damit nicht die Welt verändere, trotzdem lasse ich es mir nicht vermiesen daran zu glauben, dass ich sie damit freundlicher mache."

Ende

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