Kapitel 1

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„Das kann nicht sein VERDAMMTER Ernst sein!"
Lydia zog ihren Mantel fester um sich zusammen, denn ihr war ARSCHKALT! Sie wartete hier jetzt schon seit einer vollen Stunde. Es war dunkel und die Passanten, die im Schein der Straßenlampen an ihr vorbei kamen starrten sie alle an.
Natürlich wurde sie angegafft, bei ihrem Outfit! Sie hatte Katzenohren und einen verdammten Schwanz unter ihrem Petticoat. Die weißen Overkneestrümpfe und die schwarzen Riemchenschuhe machten es nicht gerade besser.
Sie versuchte es zwar zu unterdrücken, doch manchmal konnte sie ein kurzes Zittern nicht verhindern. Dann klingelte das übergroße Glöckchen an ihrem Halsband. Es KLINGELTE! Wie konnte es nur! Sie hasste es!
Als sie es angelegt hatte, fand sie es mega niedlich. Das ganze Outfit gefiel ihr extrem gut. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben. Die Ohren und den Schwanz selbst gemacht. Stundenlang hatte sie Youtube Tutorials durchstöbert. Für das Rüschenkleid und die Perücke mit dem Farbverlauf von grün zu orange hatte sie so viel Geld ausgegeben, dass ihr Geldbeutel immer noch blutete. Das Make Up hatte sie zwei Stunden gekostet.
Und dann war sie fertig. Sah sich im Spiegel an und fand sich so hübsch wie nie zu vor in ihrem Leben.
Das alles für diesen elenden Mistkerl! Sie waren für 19:00 Uhr verabredet gewesen. Sie wusste ja, dass er nicht der pünktlichste war, aber dass schlug dem Fass den Boden aus! Lydia war wohl weislich erst zehn Minuten später am vereinbarten Treffpunkt. Halb acht hatte sie ihn versucht anzurufen. Ohne Erfolg. Also hatte sie ihm geschrieben. Weitere zwanzig Minuten später hatte er sich bequemt zu antworten, er wäre gleich da.
Tja sie saß immer noch. Mittlerweile nicht mehr um mit ihm, wie abgemacht, auf diese Mottoparty zu gehen.
Sondern um ihm nach allen Regeln der Kunst und vom feinsten die Meinung zu geigen. Ihn so richtig rund zu machen! Wie einen Buslenker!!!
Zitternd, ob nun vor Kälte oder Wut (vermutlich beides gleichzeitig), saß sie hier. Nur leider spürte sie auch wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.
„Heyyyyy..." Das Wort wurde immer leiser und der Ton glitt in eine komische Frequenz ab.
Lydia sprang sofort auf, fuhr in die Richtung aus der es gekommen war, wie von der Tarantel gestochen und stierte den Kerl wie ein Dämon höchst selbst an. „Duuuuu!!!"
Taylors Ausdruck war das blanke Entsetzten. Er sah aus, wie gerade erst aus dem Bett gefallen, mit strubbligem Haar und Schlabberklamotten.
Als sie ihn so sah, spiegelte sie seinen Gesichtsausdruck. Schlagartig hatte sie alles vergessen, was sie ihm an den Kopf knallen wollte.
„Du... Du hast es vergessen... Tatsächlich... Verg..."
Sie wollte es nicht. Hatte sich mit allem dagegen gewehrt. Doch Tränen erstickten ihre Stimme. Ein Schluchzen stieg ihre Kehle hinauf. Im letzten Moment würgte sie es herunter. Verschluckte ihre Enttäuschung und die Traurigkeit und ließ nur noch Platz für beißenden Zorn.
Doch als sie jetzt begann zu sprechen war ihre Stimme ruhig wie das Wasser des Sees an einem windstillen Tag. Kurz vor dem Orkan.
Sie hatte den Blick gesenkt gehabt, weil sie ihn nicht sehen lassen wollte, wie sie heulte. Das war ihr jetzt egal. Ihre Augen brannten förmlich als sie ihm direkt in die Augen sah. „Wir wollten zu der Party. Diese Promotion Veranstaltung von diesem beschissenen Spiel, auf dass du so abfährst..."
„Ich... Ich dachte das war nur ein Scherz!"
Lydia starrte ihn einfach nur an.
„Ich meine... Du hast gesagt, dass dich das null interessiert! Das MMORPGs nichts für dich sind. Dass dir das Setting nicht gefällt. Dass du nicht magst, dass die weiblichen NPCs alle so..." Er stockte.
„Alle so über sexualisiert werden? Ja, dass hab ich gesagt. Aber ich hab gesehen, dass du es wirklich liebst. Du hast immer so begeistert davon gesprochen. Ich hab dir stundenlang beim spielen zugesehen. Und ich hab mir dein Gelaber angehört. Obwohl es mich nicht die Bohne interessiert hat.
Aber du hast DAS nicht bemerkt. Du hast mich nicht lächeln sehen, wenn du dich gefreut hast wie ein kleines Kind, wenn du einen starken Gegner besiegt und dass Zeug, was sie fallen lassen haben mitgenommen hast."
„Das heißt gelooted."
Sie starrte ihn an.
Er zog den Kopf etwas ein.
„Du hast so einiges nicht gesehen, du dämlicher Idiot."
Sie schwiegen sich beide an.
„Hast du dich wirklich als Melisara verkleidet?" Taylor hatte doch tatsächlich seine Stimme wieder gefunden. Er sah immer noch sehr verwirrt aus. Aber auch etwas neugierig.
„Als die blöde Tussi, die du so waaaahnsinnig toll findest? Mit ihren riesen Möpsen. Die das Klischee vom naiven Dummchen so richtig großartig umsetzt? Jaaaah, genau die soll's sein."
„Du hast gesagt du kannst sie nicht leiden..."
Das ließ ihren Geduldsfaden endgültig explodieren.
„Ich HASSE sie! Weil du blöder Pisser in letzter Zeit über nichts anderes mehr reden konntest! Sie ist ja sooo süß! Guck mal, wie süß sie mit den Ohren wackelt! Ich hab halt keine KATZENOHREN! UND AUCH NICHT SO RIESEN HUPEN! Aber verdammt noch mal, ich steh leibhaftig vor dir und du kannst mich anfassen, WENN DU AUCH NUR EIN MAL AUF DIE IDEE GEKOMMEN WÄRST, DASS ICH AUCH EINE FRAU BIN!!!"
Ihr letztes Wort ging, trotz ihrem Gebrüll, in einem Dröhnen unter, welches schon vor einigen Augenblicken begonnen hatte und langsam angeschwollen war. Lydia merkte, obwohl sie so aufgebracht war, dass der Boden unter ihren Füßen immer stärker vibrierte. Taylor starrte wie gebannt nach unten.
Mit vom brüllen heißerer Stimme sagte die junge Frau im Katzenkostüm verunsichert und kleinlaut: „E-ein Erdbeben?"
„Hier?", entgegnete er in einer ähnlichen Stimmlage. Er sah weiter nach unten. Als sie seinem Blick folgte setzte ihr Verstand aus. Da schwebte ein Kiesel. Um sie herum folgten etliche kleine Steine seinem Beispiel und erhoben sich immer weiter in die Luft. Die Atmosphäre war aufgeladen. Die Umgebung begann in einem gespenstigen, violetten Licht zu erstrahlen. Auch die langen Haare der Perücke erhoben sich gen Himmel, ihre lockere Kleidung wurde wie von einem nicht vorhandenen Wind unnatürlich schweben gelassen.
Taylor und Lydia schauten sich ein letztes Mal Hilfe suchend und verzweifelt in die Augen.
Eine plötzliche Bö riss ihr bekanntes Leben mit sich und alles wurde schwarz...

Ein ersticktes Stöhnen ließ sie erwachen. Alles drehte sich und Lydia fasste sich an den Kopf, versuchte so die Welt um sich herum zum Stillsand zu bringen. Was sie zu fassen bekam, ließ sie allerdings so stutzen, dass sie die Karussellfahrt ignorieren konnte.
Ach ja. Diese verdammten Ohren... Wut erfasste sie. Weg mit den Dingern!
„Au!"
Der Schmerz befähigte sie endlich dazu die Augen zu öffnen. Als sie sich allerdings ihrer Umgebung gewahr wurde, erstarrte sie zu einer Salzsäule.
Neben ihr brummte es. Auch Taylor war erwacht. Schwerfällig drehte er sich vom Rücken auf die Seite. Er versuchte es zumindest. Nur kam er nicht weit. Sein Blick war noch verschwommen, ihm dröhnte der Schädel. Langsam erinnerte er sich wieder, was geschehen war. Erschrocken richtete er den Oberkörper auf. Alles fühlte sich so merkwürdig an. Als wäre alles an ihm Tonnen schwerer.
Da er immer noch Schwierigkeiten hatte klar zu sehen ergriff ihn langsam Panik.
„Lydia?!" Blindlinks tastete er um sich und bekam nackte Haut zu fassen.
Der Schall der saftigen Ohrfeige hallte lange nach. „Behalt deine Griffel bei dir, du Arschloch!", ranzte ihn seine beste Freundin an. Nicht das er solche Worte nicht von ihr gewohnt war, aber irgendwas in ihrer Stimme überschlug sich. Er rieb sich mit gefühlt viel zu großen Händen die Augen, in der Hoffnung endlich klar sehen zu können, verschränkte dabei umständlich die Beine um im Schneidersitz sitzen zu können. Das gelang ihm ehr schlecht als recht. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Endlich verwehrten ihm seine Sehorgane den Dienst nicht mehr. Doch was da direkt vor ihm war, verschlug ihm absolut die Sprache.
Da saß ein Mädchen, nein, ehr eine Frau. Sie hockte auf den Knien, bedeckte das Dürftigste mit Armen und Händen. Denn sie war splitterfasernackt. Das war aber nicht mal das, was ihn am meisten starren ließ. In ihren langen, dunkelbraunen Haaren zuckte es nervös. Da waren... Katzenohren? Er starrte mittlerweile unverhohlen und mit offenem Mund, woraufhin sie die Ohren anlegte. Sie bewegte sie tatsächlich! Das hieß doch, dass sie echt sein mussten, oder? Die Schwanzspitze zuckte ebenfalls aufgeregt hin und her. Der Rest ihres, mit dunkelbraunem Fell bedeckten, Schwanzes ruhte eng an den Körper geschmiegt auf ihrem Oberschenkel. Wenn man genau hinsah, war er etwas getigert.
Erneut hallte der Klang einer Ohrfeige nach.
„Hör auf mich so anzugaffen!" Erst jetzt wurde Taylor bewusst, dass es Lydia war, die da vor ihm hockte. Er schaute ihr ins Gesicht. Es war definitiv seine Freundin, auch wenn ihre Züge etwas verändert waren. Ihre Augen waren feucht und auf ihren Wangen lag ein Hauch von Röte. Die flauschigen Ohren hatte sie nicht mehr angelegt und sie schaute ihn verunsichert und etwas ängstlich an.
Wow.
Sie war unglaublich niedlich...
Bis sie ihn anfauchte. Bösartig. Missbilligend quittierte sie seinen Blick, doch dabei füllten sich ihre Augen sichtlich mit Tränen.
„Was zur Hölle ist hier los?" Ihre Stimme wurde während sie das sagte immer leiser, bis sie nur noch ein Flüstern war.
„Ich habe keine Ahnung..." Noch während er sprach wanderte seine Hand ganz unbewusst zu seiner Kehle. Die Stimme klang auch in seinen eigenen Ohren unglaublich fremd. Viel zu tief und rau.
Moment mal...
Was auch immer passiert war, wenn sie nichts an hatte, was war dann mit ihm? Er saß hier im Schneidersitz! Der Präsentierteller schlechthin. Die Fingerspitzen noch am Hals, sah er unangenehm berührt nach unten. Es verschlug ihm schlichtweg die Sprache.
„Halleluja. Schön das du es auch mal bemerkst..."
Da konnte das Gesagte auch noch so von Sarkasmus triefen, Taylor bekam es gar nicht mit. Erst mal musste er ganz dringend etwas überprüfen. Er sah sich um. Sie befanden sich in einer Art weitläufigen Sandsteinhöhle. Durch Löcher in der Decke drang strahlender Sonnenschein herein. Der Raum war offensichtlich nicht ganz natürlich entstanden, man konnte an den Wänden Spuren menschlicher Bearbeitung erkennen. Im Mittelpunkt des Ortes befand sich ein kleiner Teich, um den herum Gräser, Blumen und kleine Sträucher sprossen. Umständlich stemmte er sich in die Höhe und stolperte ungelenk zu dem Wasservorkommen. Es war glasklar und unerklärlich kalt bei dieser Lufttemperatur, als er hinein watete um sich zu betrachten. Ungläubig ging er auf die Knie, um sein Spiegelbild näher zu sehen. Doch es änderte sich nichts an dem Bild, welches nicht dort sein dürfte. Da waren seine eigenen Augen und auch die Gesichtszüge waren den seinen ähnlich. Es war wie eine ältere, maskulinere Version von ihm. Der Haarschnitt war anders und er hatte definitiv mehr Bartwuchs als er es gewohnt war. Aber er erkannte sich selbst. Jetzt wurde ihm auch klar, warum sich alles so ungewohnt angefühlt hatte. Als würde er in einem anderen Körper stecken. Denn der war absolut nicht seiner. Eigentlich war er ehr schmächtig. Was sich hier spiegelte war der Adoniskörper eines halben Bodybuilders. Tätowiert war er zwar auch in der Realität. Doch auch wenn er einige Motive wiedererkannte, war alles stark verändert und großflächiger.
„Krass..."
„Ja genau... Du wirst Herkules und ich werde Nekoneko. Juhu. Jackpot. Für dich. Entweder bin ich in einem deiner feuchten Träume gelandet, oder der Verantwortliche hierfür hat nen mega beschissenen Humor."
Okay, er hatte richtig Scheiße gebaut. Ihre Stimmlage war mit dem Tag vergleichbar, als sich ihre Lieblingsband aufgelöst hatte. Das war für ihn der Horror gewesen. So schlecht gelaunt hatte er sie vorher noch nie erlebt gehabt. Eigentlich war sie nicht der Typ Mensch, der andere wegen ihrer Launen leiden lassen wollte. Wenn sie aber stark gestresst war passierte das leider. Selbst da war sie schon sehr fies zu ihm gewesen, obwohl er da nicht der Grund für ihre Laune war. Im Gegensatz zu jetzt.
Während er mit Gänsehaut an den Armen zurück dachte, war sie verschwunden. Noch immer kniete er im Wasser, unschlüssig wie er sich verhalten sollte. Zumal er nicht so genau wusste, was er ihr getan hatte. Ja, er hatte sie warten lassen, aber dass war für ihn normal. Tatsächlich hatte sie sich irgendwann mit der Tatsache abgefunden. Er war halt so. Und ja, sie hatten darüber gesprochen zu der Party zu gehen, doch sie war eigentlich nicht begeistert von der Idee. Danach hatten die beiden nicht wieder darüber gesprochen und ihm war nicht klar gewesen, dass sie da heute hin wollten. Mal wieder eines dieser typischen Kommunikationsprobleme. Er hatte schlichtweg vergessen, dass das Event heute stattfinden sollte. So war er also davon ausgegangen, dass sie wie jeden Freitagabend in ihrem Stammbistro essen würden. Tja, dumm gelaufen.
In seinen Gedanken versunken, hatte Taylor ihre aktuelle Situation schon wieder fast verdrängt, bis ihm etwas Weiches an den Kopf flog. Mit einer ungewohnt schnellen Reaktion fing er es auf, bevor es im Wasser landete. Dann erhob er und wandte sich in die Richtung, aus der das Stoffbündel geflogen kam, wie er erkannte.
Lydia stand mit den Fäusten in die Hüfte gestemmt außerhalb des kleinen Teiches. Sie hatte sich, seht elegant wie er zugeben musste, einen fliederfarbenen Stoff um den Körper drapiert.
„Wo hast du das her?"
„Lag da so rum." Sie deutete hinter sich. Dort erkannte er ein kleines Podest an der Wand, auf dem er einige Dinge erkannte, unter anderem ein paar heruntergebrannte Kerzen und etliche Schüsseln. „Sieht fast so aus, als wäre das ein Altar, oder so etwas..."
„Scheinbar irgendwelche Opfergaben, denke ich auch. Da lieht auch noch was zu essen, auch wenn ich nicht ganz identifizieren kann, was es ist. Riecht aber gut. In unserer Situation können wir ja aber kaum wählerisch sein."
„Na ja, ich weiß nicht... Ob derjenige, der da angebetet wird das so toll findet, dass wir ihn bestehlen..." Er konnte den Satz kaum zu ende sprechen, als sie ihm barsch ins Wort fiel: „Haben wir ne andere Wahl?! Die werden das ja wohl verkraften können! Zumal ich das dumpfe Gefühl habe, dass dieser Altar und unser aktuell akutes Problem...", das betonte sie sehr intensiv und machte eine bedeutungsschwangere Pause vor dem weitersprechen, „... was miteinander zu tun haben. Denn wie sollte der Teleport hierher und unsere körperliche Veränderung möglich sein, wenn nicht durch etwas Göttliches?!?" Sie war während ihrer Ansprache immer lauter geworden und das letzte Wort übersteuerte etwas wie bei einem hysterischen Kreischen. Ihr verzweifelter Gesichtsausdruck entglitt aber sogleich in ein sarkastisches, vielleicht auch ein wenig wahnsinniges, Grinsen. Weiter machte sie mit einem abfälligen Schnauben. „Oder ich bin bei dem Erdbeben vorhin am Kopf verletzt wurden, liege jetzt im Koma und fantasiere. Aber dann wird es auch niemanden stören, wenn ich mit an dem Zeug da bediene!
Und jetzt sieh zu, dass du dir was umbindest!"
Er schaute noch einmal an sich herunter, drehte den Oberkörper demonstrativ so, dass er möglichst viel von sich überblicken konnte. „Ach komm schon. Ich bin doch eigentlich ziemlich ansehnlich."
„Ja und ich besitze, scheinbar im Gegensatz zu dir so etwas wie Schamgefühl. Aber du hast recht. Im Vergleich zu deinem richtigen Körper bist du jetzt wesentlich netter anzuschauen!"
„Lu!" Taylor hatte die Schultern hängen gelassen, fassungslos den Mund etwas offen stehen und mit leicht ausgebreiteten Armen ihr die Handflächen zugewandt. Den Stoff hielt er immer noch in der Rechten. Es war nun an ihm, eine vorwurfsvolle Pause einzulegen. „Egal was vorgefallen ist, egal was ich verbockt habe! Hör bitte auf mich so anzuzicken! Du hast es doch schon richtig erfasst. Wir befinden uns in einer, gelinde gesagt, merkwürdigen Ausnahmesituation. Ich denke es ist wichtig, dass wir jetzt zusammenarbeiten und uns aufeinander verlassen können. So machst du es mit aber sehr schwer dir zu vertrauen!"
Als er begonnen hatte ihr zu kontern, hatte sie die Hände von den Hüften gelöst und langsam die Arme verschränkt. Einen Schmollmund ziehend wandte sie den Blick ab, schaute nach rechts unten, zog reumütig den Kopf etwas ein. Nach einer gefühlten Ewigkeit erhob sie kleinlaut die Stimme.
„Hast ja recht, aber du..."
Den Rest konnte er nicht verstehen, weil es um sie herum erneut begonnen hatte zu rumoren. Es riss ihnen fast den Boden unter den Füßen weg, so stark war das neuerliche Erdbeben. Doch so schnell wie es begonnen hatte, war es auch schon wieder vorbei. Sand rieselte von der Decke. Lydia und Taylor waren beide in Schockstarre verfallen, doch es passierte nichts weiter. Es dauerte einige Momente, bis beide fast zeitgleich erleichtert aufatmeten.
Lydia fand nach dem Ereignis nicht den Mut, ihre Schnippischkeit noch einmal anzusprechen und er hatte es ganz offensichtlich schon wieder vergessen. Typisch für ihn. Er hatte die Aufmerksamkeitsspanne einer Eintagsfliege. Außer beim Zocken, da konnte er sich stundenlang hinein vertiefen...
Sie seufzte resignierend. Es hatte ja keinen Sinn und er war im Recht. Die Notwendigkeit bestand, dass sie sich zusammenriss. Vorerst. Bis sie wussten was hier vor sich ging. Wenn sie das jemals herausfinden konnten.
Lydia setze sich in Bewegung und steuerte auf den misstrauisch schauenden Taylor zu. Zu ihrer Erleichterung schaffte er es, sich das Stoffbündel vor den Schritt zu halten, während sie auf ihn zu kam. Das war ja nicht auszuhalten. Bei dem Gebaumel fiel es ihr schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Sie hob beschwichtigend die Arme. „Ich bin lieb!"
Das war quasi ihr Saveword. Auch wenn die Bezeichnung etwas aus dem Zusammenhang gerissen war. Zwischen ihnen war nie etwas gelaufen. Sie seufzte abermals. „Ich sorge nur dafür, dass wir weiter machen können." So half sie ihm die schwarze Stoffbahn so fest zu machen, dass sie gut saß. Irgendwie machte ihr das Spaß, den Stoff zu drapieren und zu überlegen, wie er am Besten zu verarbeiten wäre. Das hatte sie schon festgestellt, als sie das Kostüm für diesen Spielecharakter nähte. Sie hätte wirklich studieren sollen, anstatt nach der Schule sofort ins Berufsleben zu starten. Modedesign, oder so. Stumm fluchte sie. Sie hatten gerade wirklich andere Probleme.
„So!" Die junge Frau trat zurück und begutachtete zufrieden ihr Werk. Jetzt fehlten nur noch die Riemensandalen, eine goldene Fiebel und er sah aus, als wäre er ein römischer Aristocrat. Ein sehr stattlicher. Sie schloss kurz die Augen und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Manchmal könnte sie sich für ihre fliehenden, sprunghaften Gedanken wirklich schlagen.
Sie sah ihm erwartungsvoll in die Augen. „Und jetzt?"
Nachdenklich verschränkte Taylor die kräftigen Arme vor der breiten Brust. Immer noch ungewohnt... „Nun ja, es ist davon auszugehen, dass wir irgendwie in einer anderen Welt gelandet sind..."
„Macht Sinn. In Unserer gibt es keine Katzenmenschen."
Missbilligend zog er die Augenbrauen zusammen und schob den Unterkiefer etwas vor.
Abermals hob sie beschwichtigend die Hände. „Sorry! War nur ne Feststellung, kein Sarkasmus."
Nach einem kurzen, skeptischen Blick, bei dem er feststellte, dass sie es ernst meinte, fuhr er fort: „Wir müssen uns erstmal einen Überblick verschaffen.
Erstens, wie ist es um unsere Fähigkeiten bestellt.
Was können wir augenscheinlich besonders gut, wie stark sind wir, besteht die Möglichkeit, dass wir so was wie Magie wirken können.
Ich halte alles für Möglich und so besser wir über uns selbst Bescheid wissen, umso besser können wir uns hier zurecht finden."
Lydia nickte enteschlossen.
„Dann sollten wir vorsichtig heraus finden, wie unsere direkte Umwelt beschaffen ist. Wie feindlich ist die Tierwelt? Wie sieht die Landschaft aus? Gibt es hier irgendwo humanoide Lebewesen? Können wir mit ihnen kommunizieren? Wie schaffen wir es zu Überleben?"
Bei den letzten Worten schluckte sie.
„Danach... Schauen wir mal. Ich denke mal Erkunden und überlegen, was unsere Prioritäten sind."
„Alles klar."
„Ich würde sagen, als erstes schauen wir uns in unserer direkten Umgebung noch etwas um. Nicht das wir beim Ausprobieren auf irgendwelche unliebsamen Überraschungen stoßen."
Sie nickte, blieb aber unschlüssig stehen. „Ähm, bleiben wir lieber zusammen dabei?"
„Sicher, ich pass schon auf dich auf." Er lächelte zuversichtlich und sie erwiderte es. Wenn er das so selbstbewusst sagte, konnte sie ihm ja nur vertrauen. Auch wenn sie natürlich den Impuls hatte etwas sarkastisches darauf zu antworten. Sie schluckte es hinunter. Manche Gewohnheiten waren verdammt schwer abzulegen.
Aber hey, wenn nicht so eine Situation der richtige Moment war, sein Handeln zu überdenken und der Veränderung Raum zu geben. Schließlich hatte sie sich innerhalb kürzester Zeit schon mehr gewandelt, als sie jemals für möglich gehalten hätte.

Zusammen machten sie sich auf, die Sandsteinhöhle zu erkunden. Neben dem kleinen Altar und der Oase war es eine riesige Höhlung im Gestein, dessen Decke an manchen Stellen einem schweizer Käse ähnelte. Lydia schätzte die Größe auf eine Spanne von vier Fußballfeldern, wobei sie darin ziemlich schlecht war. Von der Höhe her passte bestimmt locker ein dreigeschossiges Haus herein, ohne dass der Giebel an der höchsten Stelle kratze. Der Sandstein zeigte von quarzweiß bist goldgelb Schattierungen auf. Der Boden war nicht fest, sondern es fühlte sich an, wie wenn sie im Sommer durch das Volleyballfeld im Freibad lief. Zum Teil sanken ihre Füße im warmen, weichen Sand weit ein.
Die Lufttemperatur war sehr angenehm, doch wenn sie in die durch die Löcher fallenden Sonnenstrahlen traten, erahnte man wie Heiß es draußen war. Sie mussten sich wohl in einer Wüste befinden.
Mit von Ironie gezeichnetem Gesichtsausdruck, dachte die Katzenfrau daran, was das führ hervorragende Voraussetzungen für das von Taylor angesprochene Überleben waren.
Von der Kammer, in der nichts weiter Aufregendes zu finden war, gingen drei größere Gänge ab die begehbar waren. Andere Höhlungen waren so weit oben, dass man sie nicht erreichen konnte und reichten scheinbar auch nicht sehr weit in den Fels. Um sicher zu gehen, entschlossen sie sich aber einen genauer zu betraten. Im Räuberleiterprinzip beförderte der nun äußerst muskulöse Mann seine Freundin also zu einem der dunklen Löcher empor. Wie erwartet hatte er deutlich an Körperkraft zugelegt. Allerdings jedoch ging dies über die Erwartungen hinaus. Sprichwörtlich.
Da konnte er sich auch noch so ungeschickt mit seinen neuen körperlichen Begebenheiten anstellen, die Katze schoss fauchend etwas über das Ziel hinaus. Zu seiner Erleichterung war sie feinmotorisch wesentlich Symonym geschickter und krallte sich halb in der weichen Wand fest. Kurz hing sie einer Spinne gleich da, bis sie sich vorsichtig auf die richtige Höher herunter hangelte. Vorwurfsvoll bedachte sie ihn nur mit einem strengen Blick, den er mit einem verlegenen Kopfkratzen und entschuldigendem Lachen beantwortete. Nach kurzem Umsehen verneinte sie seine stumme Frage nach einem Weg aber nur kopfschüttelnd,
Zwei der Wege in ihrer Reichweite untersuchten sie nur so weit, bis es für sie unmöglich wurde weiter zu gehen. Es mangelte an Licht. So erkannten sie aber schon mal die erste neu erworbene, besondere Fähigkeit von Lydia. Wie für eine Katze üblich, konnte sie bei diesen Verhältnissen wesentlich besser sehen als ihr muskulöser Freund. Auch alle ihre anderen Sinne waren deutlich schärfer als noch bei ihnen zu Hause. Sie war zwar schon immer ein Geruchsmensch gewesen, hatte immer empfindlicher auf schlechte Duftnoten reagiert und schwelgte geradezu im Rauch ihrer liebsten Räucherstäbchen, doch dass übertraf alles was sie bisher erschnüffeln konnte. Das mit sprichwörtlich hammermäßiger Durchschlagskraft. In einem der dunklen Gänge prallte sie fast wie von einer Dampframme erfasst gegen eine Wand aus Gestank. Nur ein leichter Luftzug war ihnen entgegen geschlagen, doch sie ergriff fluchtartig den Rückweg und würgte trocken. Taylor war wie angewurzelt stehen geblieben. Sie hatte ihn an der Hand in der für ihn undurchdringlichen Dunkelheit geführt, dann aber losgelassen und einfach stehen lassen. Er wusste überhaupt nicht, wie ihm geschah, bis der Wind auffrischte und einen süßlichen Verwesungsgeruch herantrug. Irgendetwas Großes musste dort verendet sein. Keine zehn Pferde würden sie weiter in diesen Gang bringen. Nicht nur wegen dem Geruch, auch aus Angst, was sie da vorfinden würden.
„Lydia?!"
Er bekam vorerst nur ein Röcheln gefolgt von Ausspucken als Antwort. Auch ihm bereitete der Geruch Unbehagen, doch reagierte er bei weitem nicht so extrem wie sie darauf. Da er sie nur weiter würgen hörte, suchte er sich eine Wand und tastete sich in ihre Richtung voran. Als er gerade so wieder etwas erkennen konnte, erkannte er auch schon ihren nach vorn gebeugten Schatten.
„Alles in Ordnung?"
Nur schweres Atmen. Er wartete still bis sie wieder antworten konnte.
„Du..." Sie schluckte schwer und räusperte sich. „...kannst dir nicht vorstellen, wie das gerade war..." Kurze Pause. „Das war wie ein kräftiger Schlag in die Magengrube." Und sie wusste wie das war. Beim Aikido Training hatten sie und ihr Partner das eine Mal nicht aufgepasst. War schief gegangen.
„Entschuldige, dass ich dich stehen gelassen habe..."
„Kein Problem." Damit wurde Taylor aber auch das Ausmaß ihrer neu gewonnenen Sinne klar. Eigentlich war sie nicht so zimperlich. „Geht's wieder?"
„Ja... Vielleicht liegt es daran, das bis gerade alles relativ neutral gerochen hat. Aber ich habe das Gefühl, dass sich meine Sinne gerade erst so richtig entfalten."
„Hmmm..." Nachdenklich kratze er sich am Kopf. „Könnte bedeuten, dass es für neue Fähigkeiten so was wie einen Trigger braucht, dass sie zu Tage treten. Wir sollten echt mit allem rechnen.
Diesen Gang können wir damit aber erst mal abhacken. Kann mir nicht vorstellen, dass da jemand freiwillig durch geht."
„Und was ist mit Aasfressern?"
Wieder brummte er. Es war für sie merkwürdig, dass seine Stimme auf einmal so tief war. Aber es gefiel ihr.
Verdammt!
„Du hast recht. Ich vermute aber, dass wenn es hier welche gäbe, die den Kadaver schon gefunden hätten. Auszuschließen ist es aber nicht."
Auch der Mann stellte sich die Frage, was sich da wohl zersetzen könnte lieber nicht. Er hatte jedenfalls kein gutes Gefühl dabei. Vielleicht auch um sich selbst etwas zu beruhigen, legte er ihr eine Hand auf die Schulter und schob sie sanft zurück ins Licht. „Lass uns lieber zurück gehen."

Nun stand den beiden noch ein Weg zur Erkundung offen. Hier waren die Spuren menschlicher Bearbeitung an stärksten. Der Eingang war in eine quadratische Form gehauen, mit Stein einer anderen Beschaffenheit waren Teile gemauert und hinter einer Biegung noch Licht auszumachen. Der Weg, der scheinbar nur gelegentlich benutz wurde, führte direkt zum Altar. Taylor war sich sicher, dass die Wahrscheinlichkeit hier auf jemanden zu treffen am größten war. Hoffend auf das Gegenteil traten sie vorsichtiger als zuvor die Erkundung an.
So pirschten sie sich an den nicht einsehbaren Teil heran. Dank dem wichen Sand verursachten sie keinerlei Geräusche. Flach atmend lauschte Lydia angespannt ins Unbekannte. Doch ausmachen konnte sie Nichts. Die Anspannung der beiden stieg umso langsamer sie sich fortbewegten. Was würde sie wohl dort erwarten?
Seine kätzische Freundin mit einer Geste bedeutend, hinter ihm zu bleiben, spähte der große Mann um die Biegung. Ein winziger Punkt gleißenden Lichts ließ ihn etwas blinzeln. Neben dem offensichtlichen Ausgang war es schlicht und ergreifend nur ein gerader Gang. Entwarnung gebend richtete er sich auf und schritt entschlossen der neuen Welt entgegen.


Morugos - Verschlagen in eine fremde WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt