Ella
Es ist verdammt Kalt in Berlin. Deshalb stehe ich in meine dicke Winterjacke eingepackt or Juans tragbarem DJ-Pult und muss trotzdem aufpassen, dass ich die Jog-Wheels meines Controllers nicht viel zu grob bedien. Ich habe keine Lust, etwas kaputt zu machen, in das ich mein halbes Erspartes gesteckt habe. Die Drehteller reagieren feinfühlig auf jede Berührung und produzieren so im Normalfall ein krasses Scratch-Geräusch. Im Moment fehlt mir aber in meinen vor Kälte taub gewordenen Fingern jegliches Gefühl, weshalb der Sound ebend eher nach einer Katzengeburt klang. Zum Glück hat mich deshalb mein DJ-Partner Juan irritiert von der Seite beäugt, der im Gegensatz zu mir an Handschuhe gedacht hat. Die Gäste tanzen weiterhin das wintergraue Gras um mich herum platt - die meisten von ihnen trotz der Temperaturen oberkörperfrei.
In den letzten Wochen gingen ein paar Videos, die Juan auf unserem TikTok-Kanal geteilt hat, durch die Decke, denn er bastelt neuerdings bekannte Memes vor den Beat-Drop einiger Tracks. Ein Clip mit einer Katze hat mittlerweile über eine Millionen Klicks. Heute können wir die Leute zum ersten Mal endlich auch live von unserer Musik begeistern. Als ich vor einem Jahr Juans Instagram-Account gefunden und mir die Story-Highlights angesehen habe, in denen er mit Glitzer auf den Wagen und Smokey Eyes am DJ-Pult steht, musste ich ihn anschreiben, und sei es auch nur, um ihm ein paar Komplimente zu seinem Style zu machen.
Juan ist schon längst im Business erfolgreich und dass er mir überhaupt auf meine Nachricht geantwortet hat, war ziemlich überraschend. Deshalb hätte ich nie gedacht, dass er mir ein paar Wochen später vorschlägt, unter einem Pseudonym mit ihm gemeinsam beim diesjährigen Secret Rave Festival aufzutreten.
Zwölf Monate später heizen wir aber tatsächlich zu zweit der Menge ein. Und der erste von drei Raves der Dirty Feminists ist richtig gut besucht.
Den November über finden überall in Berlin unzählige, illegale Raves statt, die auf Sicial Media als Baby-Raves bezeichnet werden. Die, an denen ich die vergangenen Festivaljahre als Gast teilgenommen hab, waren nie so voll wie unsere. Selbst wenn ich so zurückhaltend wie meine besten Freundinnen Leni und Charlie wäre, würde mich diese Tatsache verdammt stolz machen. Zugegeben, Juan kennt auch einen der Veranstalter und hat deshalb eine richtig gute Location für uns rausgehandelt.
Buntes Licht blitzt hier auf dem Teufelsberg wie Laserstrahlen über die verfallene Abhörstation der Amerikaner aus dem Kalten Krieg bis runter nach Berlin. Die Radarkuppeln hinter uns erinnern mich an gigantische Golfbälle oder bei den Temperaturen wohl eher Schneebälle, und wenn das Licht wie jetzt gerade durch ihre beschädigte Kunststoffhülle schießt, haucht es dem stillgelegten Spionagezentrum wieder Leben ein.
Gleichbleibend aggressiv hämmert unser Sound in meinen Ohren, bevor ich den Beat anschwellen lasse. Wie kleine Nadelstiche spritzt er mehr und mehr Adrenalin in meinen Körper, bis ich das Gefühl habe, dass er fast zu heftig gegen meinen Schädel drückt.
Ein letztes Mal reiße ich einen Arm hoch und Schreie. Meine Kehle ist staubtrocken, schmerzt. Egal - abermals brülle ich in die tanzende Menge, die sofort auf mich reagiert. Die Menschen drängen sich dichter aneinander, Sohle an Sohle, und warten so, gesenkten Köpfen und zum Zerreißen angespannten, schweißnassen Oberkörpern, auf den einen Moment, den ganz allein ich bestimme. Ein abgefahrenes Gefühl.
Juan heizt den Tanzenden neben mir unterstützend weiter ein, so wie wir es besprochen haben, bis ich schwöre, ihre Anspannung auf der Zunge schmecken zu können. Jetzt gibt es nichts Wichtigeres mehr als die Musik in meinen kalten Finger, mit denen ich den Pegel hoch konzentriert reguliere.
Ich warte, bis ich in den ersten Reihen einen Funken Unruhe aufkommen spüre, und dann endlich .... lasse ich los. Der Beat droppt. Fäuste fliegen in die Höhe und boxen wild in den wolkenverhangenen Nachthimmel. Gebrüll und Gekreische übertönen den tiefen Bass, der die Erde zum Beben bringt. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Obwohl ich Angst habe, bei der Sache erwischt zu werden, weiß ich, dass ich an versifften, verlassenen Orten wie dem Trümmerberg unter meinen Sohlen zu Hause bin.
Fast ein Drittel der Überreste des nach dem Zweiten Weltkrieg zerbombten Berlins landeten auf dem Teufelsberg. Eigentlich toal gruselig. Doch mein Herz fühlt sich hier trotzdem so frei wie seit Wochen nicht mehr. Vielleicht weil es auch ein Trümmerberg voller Staub, Schmutz und verdrängten Erinnerungen ist.
Ich mische einzelne Textfetzen in den Song, immer Hits aus den Neunzigern und Zweitausendern, was Juans Meinung nach neben den lustigen Memes auf TikTok zum Markenzeichen der Dirty Feminists geworden und der Grund dafür ist, dass das Secret Rave Festival ausgerechnet uns als Newcomer gebucht hat. Wäre unfassbar krass, wenn Juan recht hätte und ein paar der Gäste heute nur wegen mir hergekommen sind.
Vier weitere Male hebe ich die Lyrics des Blümchens-Songs noch zum Ende jeder Bar bevor - Boom, Boom, Boom, Boom -, bevor ich eine neue Phrase aufbaue, bis auch die so weit überstrapaziert ist, dass es sich anfühlt, als ob ihr Beat meine Nervenden kitzelt. Erst jetzt lasse ich den Beat auf Boomerang in eine neue Phrase übergehen und die Leute rasten aus.
》Willst du dir nicht mal was zu Trinken holen?《, brüllt Juan über die Lautstärke hinweg in meine Richtung. Er klingt dabei ein klein wenig zu streng, als ob es allein seine Aufgabe wäre, auf mich aufzupassen. seit der Trennung von Toni vor drei Monaten ist jeder internem Umfeld überfürsorglich, obwohl ich ständig demonstriere, dass alles okay bei mir ist. Wahrscheinlich sage ich das vor allem, um mich selbst davon zu überzeugen. Aber letztendlich wird auch meine Beziehung zu Toni irgendwann nur noch eine verblasste Erinnerung auf meinem eigenen Trümmerberg sein. Irgendwann habe ich ihn vergessen. Denn vergessen und verdrängen kann ich ziemlich gut. Alles, was in Kanada passiert ist, und auch den Grund, weshalb ich es nicht fertig bekommen habe, Toni im vergangenen Sommer dort zu besuchen, habe ich problemlos aus meinem Kopf gestrichen.
In einem Jahr kann sich alles ändern.
Ich hoffe so sehr, dass Charlie mit dem, was sie mir gestern beim Facetimen versprochen hat, nicht recht behält und ich in einem balben Jahr nicht mehr an Toni und Kanada denke muss.
》Ich übernehme solange《, fordert Juan nun und diesmal schaut er mich dabei eindringlich an. Eigentlich sehe ich nur ein Augenpaarin der Dunkelheit aufblitzen, denn der Rest seines Gesichts ist genau wie bei mir von einer schwarzen Sturmaske bedeckt. So wollen die Veranstalter unsere Anonymität schützen und verhindern, dass wir auf Fotos und in Videos, die ins Internet gestellt werden, von der Polizei identifiziert werden können.
Darüber bin ich mehr als froh, denn ich würde jede Maskierung in Kauf nehmen, um auf Social Media nicht erkannt zu werden. Auch in keinem unsere TikTok-Videos zeige ich mein Gesicht und wenn ich meinen Job nicht riskieren will, muss das unter allen Umständen auch so bleiben.
》Ist schon in Ordnung, Juan ich komme klar.《 Kaum habe ich abgelehnt und den Fader hochgezogen, um so einen neuen Song in den alten überlaufen zu lassen, bereue ich es, weil mein Hals vom Schreien noch immer ganz trocken ist und Schmerz. 》Vielleicht geh ich doch mal schnell runter《, überlege ich es mir kurz darauf anders. 》Die Loops sind alle vorbereitet. Du musst das Outro nur noch mit dem Highpass-Filter rausziehen. Bin gleich wieder da.《 Juan nickt, bevor er meinen Controller übernimmt, den wir für Outdoor-Gigs nutzen, weil er nur halb so viel gekostet hat wie seiner. 》Lass dir Zeit. 《
》Ganz sicher nicht.《 Ich vermisse das DJ-Pult jetzt schon und am liebsten würde ich nichts anderes mehr in meinem Leben tun, als fremde Leute mit meiner Musik zum Ausrasten zu bringen. Bevorzugt nicht mehr heimlich und illegal. Aber ich weiß, wie unrealistisch es ist, vom Musikmachen leben zu können, weshalb ich den Job im Kindergarten dringend brauche, um die Miete meines WG-Zimmers zu bezahlen. Juan hat schon in größeren Clubs aufgelegt, letzten Sommer sogar auf einem Elektrofestival in Barcelona, und trotzdem arbeitet er zusätzlich in einer kleinen Marketingagentur im Prenzlauer Berg, weil das Geld sonst einfach nicht reicht. Dort gehen seine Kollegen allerdings weitaus lockerer mit seinem Nebenjob als DJ um, als es meine Chefin tun würde. Doch solange die nicht mitbekommt, womit ich mir kommenden Wochen noch zweimal die Nacht um die Ohren schlagen werde, bietet mein tadelloses Verhalten gegenüber den Kindern keinerlei Angriffsfläche. Zur Sicherheit ziehe ich die schützende Sturmmaske tiefer ins Gesicht.
Auf dem Weg zum provisorisch aufgebauten Getränkeverkauf gratulieren mir Fremde zu meinem gelungenen Set. Das Festival findet mittlerweile zum fünften Mal in Folge statt. Bis zum Festivalfinale Anfang Dezember, bei dem die besten DJs in und um Berlin an einer noch geheimen gehalten Location auftreten werden, vergehen noch gut fünf Wochen. Das sind einige Abende, an denen überall in Berlin weniger bekannte DJs versuchen so viele Leute wie möglich zu ihren Raves zu locken und von sich zu begeistern, um im nächsten Jahr von den Festivalveranstalter fürs Finale gebucht zu werden. Die diesjährigen Acts stehen schon seit Wochen fest.
Dass die Dirty Feminists überhaupt ausgesucht, zusätzlich als Newcomer gepusht wurden und gleich dreimal auftreten dürfen, ist eine riesige Ehre. Für mich, aber vor allem für ein Kollektiv bestehend aus einer Frau und einem bisexuellen Typen, das toxischen Männern den musikalischen Kampf angesagt hat. Funktioniert bestimmt nur in Berlin.
Die Erwartungen an unsere Sets sind aufgrund der Empfehlung natürlich riesig und der Neid der anderen Musiker groß, weshalb ich froh bin, dass der erste Gig heute so gut funktioniert. Es wäre unfassbar, wenn wir die Veranstalter begeistern und nächstes Jahr beim Festivalfinale auflegen dürfen.
Um noch mehr Werbung für Juan und mich zu machen, nehme ich mir vor, dem Nächsten, der mich anspricht, einen Flyer in die Hand zu drücken, die ich in meiner Jackentasche aufbewahre und auf denen lediglich der Name unseres Kollektiv und ein Qr-Code aufgedruckt sind. Der Code führt auf einen Discord-Channel, wo am Tag vor den jeweiligen Raves die Locations bekannt gegeben werden.
Aus Sicherheitsgründen darf nirgendwo Werbung aufgehängt werden, aber ein paar Flyer stellen bestimmt kein Problem dar. Doch bis zum Getränkeverkauf hält mich eh niemand mehr auf. Als ich den Campingtisch erreiche, der als Tresenersatz dient, reicht die Frau dahinter gerade zwei Dosen Bier an einem Typen, dessen nackter Rücken voller Tätowierungen ist. Ich presse die Lippen zusammen, doch als er sich zu mir herumdreht und dabei die gepiercten Augenbrauen hochzieht, zucke ich trotzdem zusammen. Genervt von mir selbst beiße ich die Zähne aufeinander. Ich habe Toni auf einem Rave wie diesem kennengelernt, weshalb es mich nicht sonderlich überraschen sollte, dass jeder zweite Typ hier optisch meinem verdammten Ex ähnelt.
Tut es aber trotzdem, und vor allem tut es verdammt weh.
》Mega Set 《 , lobt der Typ. Als er sich das dunkle Haar aus der Stirn streicht und dabei schluckt, bewegt sich sein ausgeprägter Adamsapfel auf und ab. Verflixt, für genau solche Männer wie ihn han ich eine Schwäche, womit feststeht, dass nach dem Gig nichts zwischen uns laufen wird und ich ihn besser schnell loswerde. Denn wenn ich mich in den vergangenen Monaten überhaupt für Ablenkungssex entschieden habe, dann war es jedesmal mit jemandem, in den ich mich unter absolut keinen Umständen verlieben würde.
》Kann ich dich auf ein Drink einladen?《, fährt er fort. Er lächelt, runzelt aber nur eine Sekunde später die Stirn, als ich den Kopf schüttle.
》Ich nehmen unser DJ-Motto ernst.《 Wenn dir ein Mann das Herz brechen will, schick ihn zur Hölle, Baby... Der Spruch war mein Vorschlag. Unter anderem daran angelehnt, dass mir Toni in und vor Kanada gleich mehrmals fremdgegangen ist ist.
Auf meine Ansage hin verstärkt sich sein Stirnrunzeln. 》Ich hatte nicht vor, dir irgendwas zu brechen.《
Das glaube ich ihm sofort. Das Problem ist auch gar nicht er, sondern mein Herz. Es ist bei Tätowierungen Toni-Doppelgänger ziemlich masochistisch veranlagt und sehnt sich richtig danach, von ihnen in Fetzen gerissen zu werden. Dunkle Haare, Tattoos, hohe Wangenknochen und ein ausgeprägter Adamsapfel sind deshalb zu einhundert Prozent Ausschlusskriterien, weshalb ich anfüge:》Ich kauf mir trotzdem selber was, danke.《 Meine Mundwinkel zucken, was der Typ durch die Maske hindurch natürlich nicht erkennen kann.
Deshalb vertiefen sich die Falten auf seiner Stirn noch einmal mehr, als er schließlich mit den Schultern zuckt. 》Geht klar, kein Ding.《
Ich rechne damit, dass er sich abwendet und geht, aber der Typ wirkt plötzlich irgendwie abgelenkt. Auch der Blick der Bedienung zuckt erschrocken zur Tanzfläche. O nein, prügelt sich dort irgendjemand? Juan meinte, dass das hin und wieder vorkommt, weshalb die Veranstalter des Festivals seit diesem Jahr den Drogenkonsum während der Raves verbietet. Allerdings ist es unmöglich zu kontrollieren, in welchem Zustand die Gäste an der Party teilnehmen. Dafür bräuchte es ein ausgebildetes Security-Team. Das gibt es auf geheimen, unangemeldeten Underground-Raves aber nicht. Kein Geld und vier zu auffällig. Während des Aufbaus vorhin sind allerdings zwei bullige Typen an uns vorbeimarschiert. Ich glaube, die sind mit den Veranstalter befreundet, und wahrscheinlich sollen sie ein Auge darauf haben, dass niemand Schwierigkeiten macht. Doch auf die schnelle kann ich keinen der beiden sehen.
Und als ich den Blick noch ein paar Sekunden länger über die Menge schweifen lasse, trifft er prompt auf das Problem.
Mehrerer Taschenlampen, deren grelle Lichter die bunten verschlucken, und mittendrin silbern reflektierende Aufdrucker: Polizei.
》F-Fuck.《 Ruckartig drehe ich herum.
Der Typ zeigt abermals die Augenbrauen hoch. 》Die Bullen.《 Ehe ich Ach wirklich? antworten kann, macht er auf dem Absatz kehrt und rennt den Berg hinunter. Ich sehe , wie er auf halbem Weg stolpert und sein Körper ein Stück unkontrolliert rollt, bis er wieder auf die Beine kommt und schließlich aus meinem Sichtfeld verschwindet.
Verdammt.
Ein Polizeilicher Vermerk in meinem Führungszeugnis ist ungefähr das letzte, was ich im Moment gebrauchen kann. Ich erinnere mich, dass die Veranstalter im Vorfeld darauf hingewiesen haben, dass die geheimen Standorte ihrer illegalen Raves an die Polizei weitergetragen werden könnten, die dann wiederum die Party sprengen. Anmeldung auf eigene Gefahr, hat Juan gescherzt, Als wir zwei unserer Beispielsets online eingerichtet haben. Warum um Himmels willen hat mich diese Warnung nicht interessiert? Und wieso habe ich auch noch Scheißflyer drucken lassen?
》 Polizei Berlin, stehen bleiben!《
Mit Glühend heißem Gesicht drehe ich mich zurück zur Bedienung, die mich mit weit aufgerissenen augen anstaart.
》 Das ist dein Zeichen wegzurennen!《
Ich weiss nicht, wieso ich nicht auf sie höre, sondern wie in Trance zu Juan schaue, der gerade panisch sein DJ-Pult zur Seite stößt und sich meinen Controller unter die Achsel klemmt, bevor er wegrennt, ein Polizist ihm dicht auf den Versen. Ein zweiter stürmt direkt auf mich zu.
Fuck. Fuck. Fuck.
Das Herz hämmert mir bis zum Hals, als ich loshaste.
Tja, hätte ich mal in den letzten Wochen auf meine Freundinnen gehört und mich statt mit Musik lieber mit Sport von Toni abgelenkt. Ein wenig Bewegung wäre dringend notwendig gewesen, denn das heftige Keuchen, mit dem ich gerade in Richtung eines Walstücks einen Schritt vor den anderen setzte, macht mir jetzt schon Angst. Und ich renne noch keine zwanzig Sekunden. Nach weiteren dreißig kommt Seitenstechen dazu, was bestimmt an der dicken Winterjacke liegt, in der ich mich kaum bewegen kann. Ohne nachzudenken, zerre ich meine Arme panisch aus dd3n Ärmeln und befördere das Stück Stoff zur Seite.
Ich warte darauf, dass meine Beine nachgeben oder mir schwindelig wird und ich einfach umfalle. Aber ich renne weiter, immer den Berg hinab, schräg auf das Waldstück zu, und höre dabei das gleichbleibende Geräusch schwerer Schritte hinter mir, das sich unter mein panische Getrampel mischt. Verzring ringe ich nach Luft und versuche an den Schmerzen in meinem Hals vorbeizuschlucken, bis ich den Atem des Fremden hinter mir förmlich in meinem Nacken spüren kann. Schließlich ist ein lautes Keuchen zu hören und im nächsten Augenblick schlägt mein Körper unkontrolliert auf dem Boden auf.
Ächzend Winde ich mich unter dem Gewicht, das auf mir liegt.
Keine Chance.
Der Griff des Polizisten über mir ist überraschend fest und unnachgiebig. Scheiße.
Fluchend presse ich die Handflächen auf den eiskalten Boden und stemme mich gegen die Person auf meinem Rücken. Dennoch bewegt sich der Polizist keinen Zentimeter von mir weg, sondern drückt mich als Antwort grob zurück. Na toll. Kann ich mich in seinem Griff auf den Rücken drehen und ihm mein Knie in den Magen rammen? Nein, besser nicht.
Der Polizist umfasst mein Handgelenk und zieht mir die Hände so eine Sekunde später auf den Rücken. Mir bricht der Schweiß aus, ich trete mit den Füßen und hoffe gleichzeitig, dass ich den dämlichen Polizisten nicht erwische, der sich jetzt als Antwort auf mein Gezappel breitbeinig auf mich setzt, um so meinen Körper zu fixieren.
》Hab ich dich《, presst er hervor und zerrt wie zur Bestätigung abermals an meinen Händen. Ich stoße einen Schmerzenslaut aus. 》Wenn du keine Mucken machst und brav aufstehst, bekommen wir das auch ohne Handschellen hin.《
》Ich kann nicht aufstehen, wenn du auf mir sitzt《, zischen ich und spüre den Drang, die Worte einzufangen und sie zurückzuschreiben. Einen Polizisten duzen: teuer. In dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, ist die Polizei Stammgast. Trotzdem bin ich bisher kaum mit dem Gesetzt in Berührung gekommen. Aber ich weiß auch so, dass es nicht unbedingt förderlich ist, einen Polizisten zu provozieren. Er sitz am längeren Hebel oder, in meinem Fall auf mir drauf.
》Letzte Chance.《
Ich höre ein Klickgeräusch und eine Sekunde später spure ich kühles Metall als Warnung an meinem linken Handgelenk langstreifen.
Der Polizist bewegt sich ein Stück an meinem Rücken hinunter, bis er unterhalb meines Hinterns hockt, womit er wohl verhindern will, dass ich noch mal nach ihm trete. Eine Tatsache, die dazu führt, dass ich ein wenig in Verlegenheit gerate. Wenn ein Mann mich in der Vergangenheit auf diese Weise fixiert hat, dann hatte das ehrlich gesagt immer einen anderen Grund. Meine Mundwinkel zucken und ich verpasse mir gedanklich eine Ohrfeige. Solche Gedanken sind ja mal so was von nicht angebracht, wenn ein Polizist auf mir draufsitzt. Kurzer Ralitätscheck: Ich bin zwanzig und erst seit diesem Jahr mit der Ausbildung zur Erzieherin fertig. Obwohl mich viele für unzulänglich halten - ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter im Berliner Ghetto aufgewachsen -, habe ich mich durchgebissen und eine Festanstelung als Erzieherin in einem Brennpunkt-Kindergarten in Marzahn ergattert. Dort schaffe ich nun wiederum für andere Kinder Perspektiven, damit sie niemand mehr wie Menschen zweiter Klasse behandelt, nur weil sie nicht in einem der privilegierten Bezirke Berlins aufgewachsen sind.
Doch das alles hab ich mir nichts, dir nichts aufs Spiel gesetzt und einem illegalen Rave zugestimmt. Und deshalb hockt jetzt ein Scheißpolizist auf mir, der dafür sorgen kann, dass ich meinen Job im Kindergarten verliere.
Die Vorstellung hilft. Jetzt bin ich wieder panisch.
》Ist ja gut《, murmle ich. Immerhin schaffe ich es, meinen Kopf ein Stück zur Seite zu drehen. Eine Taschenlampe liegt angeschaltet mit ihrem unteren Ende zu mir auf dem Boden. Als ich aufblicke, stelle ich fest, dass ihr Lichtschein das Gesicht des Polizisten erhellt. Ich erkenne nur eine unrasierte Wange mit hellen Stoppeln und eine Hand, die über das Kinn fährt.
Ich mustere den Polizisten, er kommt mir bekannt vor. Unschön. schlimmer noch, mein Koorperationsversuch ist offenbar nicht bei ihm angekommen, denn in dunklem Unterton antwortet er: 》Gut, dann machen wir es auf die harte Tour. Bist nicht die Erste, die darauf abfährt.《
Und nach dem Spruch befürchte ich, dass ich den Trottel wirklich kenne.
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Where Winter Falls (Ivy Leagh)
RomanceEs liegen WELTEN ZWISCHEN UNS UND doch trennt uns NICHTS Tagsüber arbeitet Ella als Erzieherin, nachts veranstaltet sie als DJane verbotene Untergrund-Partys in Berlin, bei denen sie als unzählige Feierwütige in coolen Locations zum Tanzen bringt...