Sicht Wincent:
Ich starrte genervt auf mein Handy. Nach zehn Monaten hatte ich das erste Mal wieder von Lina gehört und dann war das alles was sie zu sagen hatte? Keine Erklärung warum sie mich einfach vor die Türe gesetzt, mich ignoriert und sich vor mir versteckt hat?
Ich verstand es einfach nicht, was war mit ihr los?
Als Sie mich so plötzlich komplett ignoriert hatte, hatte ich versucht über Sophia oder Gigi an sie ranzukommen, doch auch die beiden konnten mir nicht weiterhelfen bzw. wollten mir nicht erzählen was eigentlich los war. Ich war so frustriert, doch irgendwann habe ich einfach versucht es zu akzeptieren - bis heute. Dieses Mal wollte ich mich nicht so einfach abspeisen lassen, ich wollte endlich wissen was los ist.
Lina hatte in mir etwas ausgelöst, was ich schon lange nicht mehr gefühlt hatte und auch 10 Monate nach unserem letzten Treffen konnte ich nicht aufhören an sie zu denken.
Ich wählte ihre Nummer, doch es ging sofort die Mailbox ran.
„Wo willst du denn hin?“, fragte mich Fabi irritiert als ich an ihm vorbeilief. „Ich muss was mit Lina klären!“, sagte ich nur und schnappte mir die Jacke von der Garderobe. „Lina?“, fragte er überrascht, doch ich antwortet ihm nicht sondern stürmte nur aus der Wohnung.
Nach 20 Minuten stand ich vor der Wohnung von Lina und Sophia, doch ich brauchte nochmal 5 Minuten bevor ich mich traute zu klingeln.
„Winc?“, öffnete mir eine überraschte Sophia die Tür. „Ist Lina da?“, fragte ich nur „Ich weiß es nicht, ich glaub ich habe vor einer halben Stunde die Tür gehört – ich schau mal in ihrem Zimmer!“, sagte sie und verschwand kurz. „Sorry Winc, ihr Zimmer ist leer!“ „Weißt du wo ich sie finden kann? Ich muss dringend mit ihr reden!“, flehte ich, doch sie schüttelte nur den Kopf. Ich wollte mich schon wieder umdrehen, als sie mich am Arm festhielt. „Ich habe eine Idee!“, sagte sie nur und schrieb mir eine Adresse auf. Ich sah sie verwundert an, doch sie nickte nur, also bedankte ich mich und ging wieder zum Auto. Ich fuhr zu der Adresse die mir Sophia aufgeschrieben hatte.
Verdutzt schaute ich auf die Adresse auf dem Zettel und wieder hoch. Es war die richtige Adresse, aber was wollte Lina auf dem Friedhof und warum hatte mich Sophia hierhergeschickt?
Verwirrt stieg ich aus dem Auto und ging Richtung Friedhof. Es musste einen Grund haben, auch wenn ich ihn noch nicht verstand. Langsam ging ich also auf das Tor zu und in den Friedhof hinein. Ich sah mich um, doch ich sah nur die leeren Gräber. Es war niemand hier.
Ich ging zum anderen Teil des Friedhofes und da sah ich jemanden bei einem Grab stehen. Ich konnte nicht erkennen ob es Lina war, deshalb ging ich ein paar Schritte darauf zu. Die Person vor dem Grab hatte sich hingekniet und ich hörte ein leises schluchzen. Ich ging so weit, bis ich die Inschrift auf dem Grabstein lesen konnte.
Martin Brügger
15.04.1988 – 10.12.2019
Ich werde dich immer lieben <3
Ich starrte auf die Inschrift, doch ich begriff es immer noch nicht. Plötzlich drehte sich die Person vor mir um, es war Lina, die mich entsetzt ansah. „Wincent? ….. Was… Was machst du hier?“, stotterte Sie. „Ich wollte mit dir reden!“, sagte ich leise. „Woher weißt du das ich hier bin?“ „Sophia..!“, fing ich an, doch sie unterbrach mich sofort. „Was hat Sie dir erzählt?“ „Nichts! Sie hat mir die Adresse aufgeschrieben und meinte du könntest hier sein!“ Lina drehte sich von mir weg. „Bitte geh wieder!“, sagte sie leise.
„Lina ….. Bitte erkläre es mir!“, flehte ich. Ich sah den Namen auf dem Grab, es war der selbe Nachname wie Linas, doch mein Kopf wollte nicht verstehen was das hier alles zu bedeuten hatte.
Lina drehte sich wieder zu mir, sie hatte immer noch Tränen in den Augen.
„Was soll ich dir erklären? Das ich Witwe bin? Das ich für den Tod meines Mannes verantwortlich bin? Das eigentlich ich an seiner Stelle sein müsste? Was? Was willst du hören?“, ihre Stimme bebbte und Tränen liefen über Ihre Wangen. Sie sah so verzweifelt und bestürzt aus, dass ich instinktiv auf Sie zuging.
„Bleib weg, ich will dein Mitleid nicht!“, schluchzte sie, doch es war mir egal. Ich überbrückte schnell die 3 Schritte zwischen uns und zog sie in meine Arme. Kurz versuchte sie mich weg zu drücken und schlug mit Ihren Fäusten gegen meine Brust, doch dabei wurde ihr schluchzen immer lauter und deshalb hielt ich sie weiter fest. „Verstehst du das denn nicht? Ich bin schuld! Ich habe es nicht mehr verdient glücklich zu sein!“, sagte sie total verzweifelt. “Lina das stimmt nicht! Egal was passiert ist, jeder hat es verdient glücklich zu sein!” Sie antwortete nicht und ich hielt Sie einfach stumm in meinen Armen, bis sie sich etwas beruhigt hatte.
Nachdem ich sie losgelassen hatte, sahen wir uns einfach nur an. Ich legte eine Hand an Ihre Wange und strich sanft darüber, Sie schloss Ihre Augen und legte Ihren Kopf etwas schief.
“Wincent, es tut mir Leid!”, flüsterte sie mit geschlossenen Augen. “Warum hast du es mir nicht erzählt?”, fragte ich leise.
Sicht Lina:
Wincents Umarmung und seine Hand an meiner Wange gaben mir ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, doch gleichzeitig wurden auch meine Schuldgefühle größer. Meine Schuldgefühle gegenüber Wincent und meines verstorbenen Manns.
Langsam öffnete ich meine Augen und nahm Wincs Hand von meiner Wange.
“Weil ich nicht darüber sprechen kann und ich will kein Mitleid!”, erklärte ich. “Warum Mitleid?” “Weil dich jeder mitleidig ansieht, wenn du erzählst das du mit 26 Witwe geworden bist!”
Wincent sagte dazu nichts, er sah mich einfach nur an. Ich merkte das ihm die Frage auf der Zunge brannte, er sie jedoch aus Respekt nicht stellen wollte.
„Es war ein Autounfall! Wir waren bei meinen Eltern zu Besuch und irgendwie war der ganze Abend angespannt! Im Auto ist es dann eskaliert und wir haben fürchterlich gestritten!
Er war durch mein Geschrei so abgelenkt, dass er fast ein anderes Auto übersehen hätte. Als er ausweichen wollte kam er auf einer Eisplatte ins Schleudern, wir sind von der Straße abgekommen und gegen einen Baum gebrallt. Während ich mir nur ein Bein gebrochen und mehrer Rippen geprellt hatte, hat er so schwere Verletzungen erlitten, dass er 3 Tage später im Krankenhaus gestorben ist!”, während meiner Erzählung wurde ich immer leiser. Ich wusste das Wincent endlich ein Anrecht auf die Wahrheit hatte, doch mir fiel es nach wie vor schwer darüber zu sprechen. “Wenn ich mit ihm nicht so gestritten hätte, wegen Belanglosigkeiten, dann würde er jetzt noch Leben!“, sagte ich und merkte wie mir wieder Tränen in die Augen stiegen. Schnell schluckte ich sie runter. “Lina... das...!”, fing er an. Man merkte das er nicht wusste was er sagen sollte, ihm stand der Schock ins Gesicht geschrieben. “Ich hab meinen Mann auf dem Gewissen und deshalb hab ich mir geschworen keinen mehr so nahe an mich ran zu lassen, ich will keinen gefährden! Ich könnte den Schmerz nicht nochmal ertragen und ich habe es auch nicht verdient!”, versuchte ich Wincent zu erklären. “Lina.... das denkst du doch nicht wirklich? Es war ein Unfall, sowas passiert! Denkst du wirklich das er gewollt hätte das du unglücklich bist? Das er wollte das du keine Liebe mehr zulässt?” “Verstehst du denn nicht? Ich bin Schuld und meine letzten Worte waren: Du bist ein egoistischer Arsch! Ich hab es nicht verdient das mich jemand liebt!”, sagte ich ziemlich schroff und wollte gehen.
“Lina das ist nicht wahr!”, sagte Winc bestimmt und hielt mich am Arm fest. Ich drehte mich zu ihm um. “Bitte Winc lass mich einfach gehen!”, flehte ich fast. Doch Winc sah mich nur an und kam mir näher. “Ich kann es nicht zulassen das du das denkst! Du hast Liebe verdient!”, sagte er ganz sanft und doch bestimmt. Ich schüttelte nur den Kopf. Er legte die freie Hand auf meine Wange und streichelte sanft darüber. “Lina ICH liebe dich!”, flüsterte er fast, legte seine Lippen auf meine und küsste mich ganz vorsichtig. Doch dieser zarte Kuss reichte aus um alles um mich herum vergessen zu lassen.