„Mom, ich geh draußen nochmal ein bisschen Fahrrad fahren!", rief ich nach oben. Ich merkte, wie sie kurz zögerte und überlegte: „Okay, aber komm nicht zu spät nach Hause und pass bitte auf dich auf Liebes."
„Ja, ja, ist mir schon klar." Ich verdrehte genervt die Augen, griff nach den Schlüsseln, die neben der Tür hingen und machte die Haustür auf. Der warme Frühlingswind spielte mit meinen blonden Haaren und wirbelte mein rotes Sommerkleid umher. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und spürte die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut.Wie eine Wilde in die Pedale tretend fuhr ich durch die blühende Stadt. Ich lachte über mich selbst, aber ich konnte es einfach nicht mehr erwarten, Sam wiederzusehen. Er war mein bester Freund und wir kannten uns schon aus dem Sandkasten. Ich hatte ihn eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen und vermisste ihn unheimlich. Unsere Freundschaft bedeutete mir mehr als sich irgendjemand vorstellen konnte und wie er so schön zu sagen pflegte: „Deine Seele ist auch meine Seele..." In Gedanken versunken fuhr ich an unzähligen Häusern vorbei und erreichte den mit Bäumen gesäumten Stadtrand. Mein Ziel: Eine uralte, knorrige Eiche. Das war unser Platz, unser Rückzugsort. Ich schwang mich von meinem Fahrrad herunter, lehnte ihn gegen den Baumstamm und ließ mich vollkommen außer Puste auf den moosbewachsenen Boden fallen. Das Blätterdach über mir spendete ein bisschen Schatten und ich steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren. Leise schlängelten sich die Töne von „Things we lost in the fire" durch die Lautsprecher und ich wurde schlagartig traurig, ohne zu wissen weshalb. Doch lange Zeit zum Trübsaalblasen hatte ich nicht, denn schon im nächsten Moment sah ich Sam, der eine gekonnte Vollbremsung mit seinem BMX Rad auf dem Gehweg machte.
„Hanna? Hanna! Da bist du ja!", rief er, kämpfte sich seinen Weg durch das Dickicht und reichte mir die Hand, damit ich aufstehen konnte. Ich kämpfte mich hoch und sofort zog er mich an sich, lehnte seine Stirn gegen meine und schloss seine Augen.
„Ich habe dich so vermisst...", hauchte er. Sein Atem kitzelte auf meinem Gesicht und mein Herz zog sich zusammen. Dann öffnete er die Augen wieder und ich sah den üblichen Schalk in seinen Augen aufblitzen. Grinsend griff er nach meinem Kopfhörer und zog mir erst den einen Ohrstöpsel aus dem Ohr, dann den anderen und schnappte sich zuletzt mit einer blitzschnellen Bewegung mein Handy aus der Hand. „Hey! Gib's mir wieder zurück!" Lachend wollte ich ihm es wieder abnehmen, doch er dachte nicht daran, sprang auf sein Fahrrad und neckte mich: „Na wenn du dein Handy wieder zurück haben willst, solltest du dich beeilen!" Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und kaum eine Sekunde später war ich schon damit beschäftigt, immer geradewegs der Musik hinterher zu fahren. Dabei ignorierte ich geflissentlich die komischen Blicke einiger Passanten. Was hatten die denn alle für ein Problem? War es so ungewöhnlich, ein glückliches Mädchen an einem herrlichen Frühlingstag zu sehen? Ich beschloss, mir meine Stimmung nicht vermiesen zu lassen und ignorierte das komische Gefühl, dass sich in meiner Magengegend ausbreitete...Die untergehende Sonne zog uns auf die Lichtung und mit miteinander verschlungenen Händen beobachteten wir den leuchtenden Himmel. Ein Moment der Entspannung, der jedoch nicht lange anhielt. Seufzend schaute ich auf das Display von meinem Handy, welches ich mir schon längst wieder zurückergattert hatte. Mom is calling...
„Ja?", ging ich dran.
„Hey Liebes, wo bleibst du denn? Es wird bald dunkel..."
Ich hörte die Besorgnis in ihrer Stimme. „Okay, ist gut, ich wollte mir nur noch mit Sam den Sonnenuntergang ansehen." Stille am anderen Ende der Leitung. Hatte ich etwas Falsches gesagt?
„Mom? Bist du noch dran? Ist alles okay mit dir?", fragte ich irritiert nach.
Da brüllte sie auf einmal panisch in den Hörer: „DU KOMMST SOFORT NACH HAUSE!!!"
„Aber was ist mit Sam...? Er hat sich so darauf gefreu..."„Verdammt Hanna, Sam ist Tod! Er lebt nicht mehr."
Erschrocken blickte ich zu meiner rechten Seite, aber Sam war weg...
Meine Erinnerungen kehrten wieder zurück und alle Emotionen strömten auf mich ein: Trauer, Wut, Verzweiflung, Enttäuschung. Weinend brach ich zusammen mitten auf der Lichtung zusammen und spürte nichts mehr bis auf den tröstenden Windhauch. Ich werde dich niemals vergessen Sam, nie. Deine Seele ist auch meine Seele...
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Frühlingstraum
RomanceWas ist, wenn du nicht weißt was Realität oder Traum ist? ...oder ob du dir selbst trauen kannst? Eine traurige Kurzgeschichte über die Liebe.