the legacy of desire

Kapitel 1: Die Tochter der Carados

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem mein Leben eine Wendung nahm. Ich war gerade siebzehn geworden und das Erwachsenwerden drängte sich mit jeder Sekunde näher an mich heran. Mein Name ist Lyra und ich bin eine Fee des Stammes Carados. Unsere Geschichte ist lang und blutig, voller Kämpfe und Opfer. Doch ich beginne von vorne.

Meine Eltern, beide große Magier und Helden unseres Stammes, fielen im Krieg gegen die Lyaner, unsere Erzrivalen seit vielen Generationen. Seitdem lebe ich bei meinem Onkel Aradon und meiner Tante Elara, tief im Herzen unseres Waldes. Mein Haar ist feuerrot, lockig und wild, wie die Flammen, die in unseren Legenden vorkommen. Meine grünen Augen, die wie Smaragde leuchten, sollen eine Gabe meiner Mutter sein, die ebenso diese Farbe besaß. Meine roten Wangen und Sommersprossen sind ein Erbe meines Vaters, so wie meine spitzen Feenohren und feuerroten Flügel.

Unser Zuhause ist ein großes, altes Baumhaus, umgeben von dichtem, grünem Laub und den Geräuschen des Waldes. Mein Onkel und meine Tante sind gut zu mir, auch wenn sie die Trauer um ihre verlorenen Geschwister nicht verbergen können. Aradon ist ein schweigsamer Mann, stark und weise, und Elara, warmherzig und sanft, versucht stets, mich aufzumuntern und zu unterstützen.

Nicht jede Fee in Carados besitzt magische Kräfte. Nur diejenigen, die von der alten Gottheit Elandria abstammen, haben diese Gabe. Meine Eltern waren solche auserwählten Magier, und ihr Vermächtnis ruht nun auf meinen Schultern. In wenigen Monaten werde ich achtzehn und muss das Ritual der Erkenntnis vollziehen, um meine Kräfte zu entdecken. Bisher habe ich keine Anzeichen von Magie gezeigt, aber ich kann fliegen, was mich wenigstens ein wenig mit Stolz erfüllt.

Mein Alltag besteht aus langen Flugstunden über den Baumkronen, wo ich mich frei und lebendig fühle. Oft fliege ich mit meiner besten Freundin, Selene, die ebenfalls dem Ritual entgegenfiebert. Wir sammeln Kräuter, spielen Streiche den jüngeren Feen und träumen von der Zukunft. Doch je näher mein achtzehnter Geburtstag rückt, desto mehr verspüre ich die Last der Erwartungen auf meinen Schultern.

Manchmal sitze ich alleine in meinem Zimmer und betrachte die alten Bücher und Artefakte meiner Eltern. Ihre Magie war stark und respektiert, und ich frage mich oft, ob ich diesem Erbe gerecht werden kann. Die Geschichte der Carados ist voller Helden und Märtyrer, und ich fühle mich manchmal verloren in diesem riesigen Schatten.

Abends erzählt mir Tante Elara Geschichten über die großen Schlachten und die ruhmreichen Tage meiner Eltern. Ihre Stimme ist ruhig und melodisch, und obwohl die Geschichten oft traurig enden, geben sie mir Kraft. Onkel Aradon ist weniger gesprächig, aber seine Präsenz allein reicht oft aus, um mich zu beruhigen. Er lehrt mich das Kämpfen und Verteidigen, damit ich mich selbst und unseren Stamm schützen kann. Seine Methoden sind streng, doch ich weiß, dass er es nur gut mit mir meint.

Die Lyaner, unser Nachbarstamm, sind seit jeher unsere Feinde. Die Fehde zwischen uns ist älter als ich und reicht tief in die Geschichte zurück. Viele unserer besten Kämpfer und Magier haben im Kampf gegen sie ihr Leben gelassen. Mein Hass auf die Lyaner ist tief verwurzelt, genährt durch die Geschichten der Alten und den Verlust meiner Eltern.

Ich weiß, dass ich bald eine Entscheidung treffen muss, eine Entscheidung, die mein Leben und das Schicksal meines Stammes beeinflussen wird. Das Ritual steht bevor und mit ihm die Möglichkeit, meine Kräfte zu entdecken. Es ist ein beängstigender Gedanke, doch auch aufregend. Ich träume von dem Tag, an dem ich wie meine Eltern die Magie beherrsche und unsere Feinde in die Flucht schlage.

Doch bis dahin bleibt mir nur zu warten und zu hoffen. Mein Onkel sagt immer, dass Geduld eine Tugend ist, und ich versuche, diesen Rat zu beherzigen. Doch manchmal, wenn ich alleine in der Dunkelheit liege und die Sterne durch das Blätterdach blitzen sehe, fühle ich die Unruhe in mir aufsteigen. Die Zukunft ist ungewiss, doch ich weiß, dass ich meinen Platz in dieser Welt finden werde – als Tochter der Carados, als Erbin der Elandria.