Kapitel 3: Die Welle der Erkenntnis

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Als meine Füße den Boden berühren, breitet sich eine immense Welle der Energie aus meinem Inneren aus. Es ist, als würde ein unsichtbarer Windstoß von mir ausgehen und über den Versammlungsplatz fegen. Die Zuschauer erschrecken sich, treten einen Schritt zurück und erstarren in ehrfürchtigem Schweigen.

Dann bricht der Jubel aus. Klatschen und Rufe füllen die Luft, und ich sehe die strahlenden Gesichter meiner Stammesmitglieder. Doch mitten in dem Trubel merke ich, dass etwas nicht stimmt. Ich fühle eine Vielzahl von Emotionen auf mich einströmen – Verwunderung, Bewunderung und eine unterschwellige Angst, besonders von den Ältesten.

In diesem Moment erkenne ich, dass ich die Gabe der Menschenkenntnis erlangt habe. Die Gefühle der Menschen um mich herum fluten mein Bewusstsein, ihre Ängste, Hoffnungen und Gedanken. Eine überwältigende Macht durchzuckt mich, und ich weiß, dass diese Gabe weit mehr umfassen könnte. Die Vision, Menschen zu kontrollieren, ihre Gedanken und Handlungen zu beeinflussen, erscheint vor meinem inneren Auge. Die Macht dieser Erkenntnis ist beispiellos.

Die Ältesten ziehen sich zurück, um zu beraten. Ich bleibe auf dem Platz stehen, meine Gedanken wirbeln wild durcheinander. Selene tritt zu mir, ihre Augen voller Sorge. „Lyra, was ist geschehen? Dein Ritual war anders als alle anderen."

Ich schüttele den Kopf, unfähig, eine Antwort zu finden. Meine Gedanken sind bei den Ältesten, die nun in einer intensiven Diskussion vertieft sind. Durch meine neue Gabe spüre ich ihre Verwirrung und Sorge. Die Macht, die mir verliehen wurde, ist unvorstellbar.

Schließlich tritt Onkel Aradon vor und führt mich zu den Ältesten. Ihre Gesichter sind ernst, ihre Blicke durchdringend. Einer von ihnen, der weise Magier Elowen, beginnt zu sprechen.

„Lyra, dein Ritual hat uns gezeigt, dass du eine besondere Gabe besitzt, die Gabe der Menschenkenntnis. Eine solche Macht ist sowohl ein Segen als auch eine Verantwortung. Wir müssen sicherstellen, dass du diese Gabe zum Wohl unseres Stammes und nicht zum Schaden einsetzt."

Die Ältesten nicken zustimmend, und ich spüre ihre Besorgnis. Ein leises Murmeln geht durch die Runde, bis Elowen erneut das Wort ergreift. „Wir haben beschlossen, dass du einen Meister und Lehrer an deine Seite gestellt bekommst. Ein weiser Magier, der dich auf deiner Reise begleiten und dich in der Nutzung deiner Gabe unterweisen wird. Ihr werdet auf Reisen gehen und erst zurückkehren, wenn du deine Ausbildung abgeschlossen hast."

Mein Herz schlägt schneller. Die Vorstellung, von meiner Familie und meinem Stamm getrennt zu sein, erfüllt mich mit Angst. Doch gleichzeitig spüre ich auch eine seltsame Aufregung. Die Möglichkeit, meine Kräfte zu entfalten und meine Bestimmung zu finden, lockt mich.

„Wer soll mein Meister sein?" frage ich mit bebender Stimme.

Elowen tritt vor, gefolgt von einem älteren Magier, dessen Gesicht mir vertraut vorkommt. „Dies ist Meister Alden, einer der weisesten und erfahrensten Magier unseres Stammes. Er wird dich leiten und beschützen."

Meister Alden tritt näher und legt mir sanft eine Hand auf die Schulter. „Lyra, gemeinsam werden wir diese Reise antreten. Ich werde dich lehren, deine Gabe zu verstehen und sie zum Wohl unseres Volkes einzusetzen."

Ich nicke, Tränen der Erleichterung und Dankbarkeit steigen in meine Augen. Die Entscheidung ist gefallen, und es gibt keinen Weg zurück. Gemeinsam werden wir die Geheimnisse meiner Gabe ergründen und herausfinden, wie ich sie zum Wohl unseres Stammes einsetzen kann.

Die Nacht bricht herein, und wir machen uns bereit für die Reise. Selene umarmt mich fest, und ich spüre ihre Unterstützung und Freundschaft tief in meinem Herzen. Die anderen Mitglieder des Stammes versammeln sich, um uns zu verabschieden. Es ist ein bittersüßer Moment, erfüllt von Hoffnung und Abschiedsschmerz.

Schließlich treten Meister Alden und ich den ersten Schritt auf unserem Weg an. Ich blicke ein letztes Mal zurück auf das vertraute Gesicht meiner Tante Elara, die mich mit einem liebevollen Lächeln verabschiedet. Dann richten sich meine Augen nach vorne, in die ungewisse Zukunft. Die Reise hat begonnen, und ich bin bereit, meine Bestimmung zu erfüllen.

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