Kapitel 1

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Die Tränen stehen mir in den Augen.
„Er ist tot", schluchze ich und schlinge meine Arme um die Taille meiner Mutter.
Auch sie weint. Nur ganz leise, aber ich höre es trotzdem. „Ich weiß, ich weiß", flüstert sie und streichelt mir über den Kopf.
Ich zittere. Nie wieder werde ich sein Lachen hören, wenn ich ihm einen Witz erzähle. Nie wieder wird er sich darüber beschweren, wieso er denn bei seinem Lieblingsspiel nicht gewonnen hat. Nie werde ich ihn sehen, ihn, die Person, die mir am meisten bedeutet hat. Ihn. Meinen Opa.
„Du kannst ihn nicht zurückholen", wispert meine Mutter und ich erkenne deutlich den drohenden Unterton. Auch in dieser Lage. Natürlich weiß ich, wieso. Ich weiß noch nicht wie, aber ich weiß, dass ich ihn zurückholen werde. Und ich weiß, dass ich es schaffen kann. Nein, ich werde es schaffen.
„Ich muss jetzt in die Schule", meine ich leise und löse mich aus der Umarmung meiner Mutter. Meine langen, hellbraunen Haare gleiten durch ihre Finger und verstrubbelten dadurch. Das ist mir egal.
Auf dem Weg aus der Tür hinaus bemerke ich, wie unordentlich das Zimmer ist. So hat es hier früher nie ausgesehen, denke ich suche mir meinen Weg durch das Chaos. Auch für meine Mutter ist sein Tod schwer, deshalb hat sie wohl nicht so viel zeit für das Aufräumen gehabt.
Das Begräbnis ist letzte Woche am Montag gewesen, also genau vor einer Woche. Davor habe ich es nie wirklich wahrhaben können, doch erst nachdem er begraben worden ist, ist mir auf einen Schlag bewusste geworden, was es wirklich bedeutet.
Die Schule ist kein Trost für mich, im Gegenteil. Nicht, dass ich dort Feinde gehabt hätte, aber Freunde habe ich auch nicht gefunden. Ich kann mit allen arbeiten, aber trösten kann mich keiner meiner Klassenkameraden wirklich.
Jeder Schritt ist schwer und mit jedem Mal, wo ich meinen Fuß auf den Boden absetze, entfernte ich mich mehr von der Welt, die es bei mir zu Hause gibt. Nun betrete ich meine eigene Welt, die ich mit niemandem teile. Ich betrete die Welt, von der jeder glaubt, dass sie nicht real ist. Ich betrete meine eigene Fantasiewelt.

Der Eingang ist versteckt und gleichzeitig sehr leicht zu finden. Nur ich kann dieses Reich betreten, es ist ja auch nur in meinem Kopf existent. Dort scheint die Zeit stillzustehen. Ein paar Stunden dort sind ein paar Sekunden hier, so funktioniert die Zeitrechnung. Ich muss mich einfach nur dorthin denken, schon bin ich da. Wenn ich mir wünsche, dass ich dort bin, bin ich dort.
Fantopina habe ich es genannt, damals, als ich entdeckt habe, dass es da ist. 

Flammen aus HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt