52 ~ Liegt es in den Genen?

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Die nächsten Tage war Marion recht wenig bei Henning zu Besuch. Die Osterferien hatten begonnen und viele Kollegen mit Kindern hatten frei, weshalb sie viel arbeiten musste und einige Doppelschichten schob. Während sie ein schlechtes Gewissen hatte das sie Henning nicht im Krankenhaus beistehen konnte und sich immer wieder bei ihm dafür entschuldigte, war er eigentlich froh über den Abstand zu Marion. Erst einmal musste er sich klar werden, was mit ihm neuerdings nicht stimmte. Die neurologische Untersuchung würde dafür der erste Schritt sein. Doch am wichtigsten für ihn war ob es für ihn möglich sein würde die Auswirkungen seines Unfalls zu verändern oder nicht. Seine Sorge das sein unkontrolliertes Verhalten nun zur Normalität gehören würde, war angsteinflößend. Nicht nur sein Privatleben würde darunter leiden, auch beruflich würde dieses Verhalten extreme Konsequenzen haben. Bis er Gewissheit hatte, war es ihm am liebsten wenn er Marion nicht so oft sah. Zu groß war seine Furcht das er sich doch noch einmal ihr gegenüber daneben benahm. Zwar musste er zugeben das er in den letzten Tagen extrem unter Stress gestanden hatte und das wahrscheinlich sein Verhalten mit beeinflusst hatte, doch auch wenn er nun deutlich entspannter war trauter er sich selber nicht mehr über den Weg.
Als die Untersuchung in der Neurologie endlich anstand war Henning ziemlich nervös. Da er weiterhin sein Knie nicht bewegen durfte, wurde er mit einem KTW in die Neurologie gebracht. Dieses lag drei Gebäude weiter von der chirurgischen Abteilung in der Henning aufgrund seines entzündeten Knies lag. Der große Aufwand war ihm ein wenig unangenehm, immerhin hatten auch die Kollegen der Johanniter die den KTW besetzten sicher eigentlich etwas besseres zu tun. Doch anders war eine Untersuchung aktuell nicht möglich, da er sein Knie nicht bewegen durfte damit die Entzündung wieder abheilte. Jede Bewegung würde aufgrund des falsch verwachsenen Knochenstückes zu einer Reizung des Knies führen, was die eh schon schwere Entzündung verstärken und damit eine baldige Operation seines Knies unmöglich machen würde. Zuerst führte er ein kurzen Gespräch mit dem Neurologen Doktor Limbach, der ihn vor einigen Wochen operiert hatte als er nach dem schweren Angriff in der Nachtschicht in die Uni Klinik eingeliefert worden war. Nachdem Henning ihm berichtete hatte, wie er in den letzten Wochen mehrfach die Nerven verloren hatte und dabei sogar den Küchentisch abgeräumt hatte, erklärte der erfahrene Arzt ihm das diese plötzlichen impulsive Reaktion nach den schweren Kopfverletzungen durchaus möglich waren.

„Sie haben schwere Verletzungen in den Bereichen des Gehirns erlitten, die für Impulskontrolle, Emotionsregulierung und Selbstkontrolle zuständig ist. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie nun bemerken das sich diese Prozesse bei ihnen verändert haben und vielleicht nicht mehr so gut funktionieren wie bisher. Gut ist, dass sie ja anscheinend nur unter Druck, also in einer Ausnahmesituation die Selbstbeherrschung verlieren. Somit scheint es nicht so zu sein, dass schwerwiegende Schäden zu einer Impulskontrollstörung beitragen. Ansonsten würden sie bei jeder Kleinigkeit ausrasten und hätten daher schon deutlich eher Probleme gehabt. Das ist aber nicht der Fall oder haben sie in den letzten Wochen noch mehr Veränderungen in ihrem eigenen Verhalten oder ihrem emotionalen Reaktionen bemerkt?"

Kurz überlegte Henning bevor er antwortete. Natürlich war es ihm nach dem er aus dem Koma erwacht war anders gegangen als vor dem Angriff. Da er zuerst unter starker Amnesie gelitten hatte und sich dadurch an fast zwölf Jahre seines Lebens nicht erinnern konnte, hatte seine Gefühlswelt erst recht durcheinander gebracht. Daher fiel ihm eine ehrliche Antwort nicht wirklich leicht.

„Ich glaube nicht. Also es fällt mir ehrlich gesagt schwer das zu vergleichen. Gerade da ich mich anfangs an so vieles nicht erinnern konnte und die letzte Woche vor dem Vorfall noch immer komplett aus meinem Gedächtnis gelöscht sind."

Doktor Limbach nickte.

„Kein Problem. Wir werden erst einmal eine neue MRT Aufnahme mit Kontrastmittel von ihrem Kopf machen. Dadurch können wir feststellen welche Schäden vorliegen und wie schwerwiegend diese sind. Ich muss allerdings direkt klarstellen, an diesen Schäden können wir nichts mehr ändern. Hirnbereiche die zerstört sind, werden sich nicht einfach wieder reparieren lassen. Es ist zwar möglich das der Körper mit der Zeit neue Neuronen bildet oder die Arbeit der jeweilige Hirnregion durch andere Bereiche übernommen wird, doch das ist nichts was wir beeinflussen können. Daher werden wir die Ergebnisse zwar eingehend kontrollieren, aber eine Therapie oder ähnliches können wir daraus nicht für sie entwickeln. Das einzige was wir tun können ist ihnen zu helfen, mit dieser Verletzung und der Veränderung die sie für ihr Verhalten heißt richtig umzugehen. Deshalb würde ich die Ergebnisse gerne mit einer Verhaltenstherapeutin besprechen. Diese Fachexpertise wird uns helfen ihnen zu helfen. Ist das für sie in Ordnung?"

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