Kapitel 1: Ein gefallener König

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Nebel. Geruch von Rauch. Die Flammen in seiner Hand erloschen. Wo war er? Der Klang von Vogelgezwitscher. Das Plätschern eines Baches. Warum war er hier? Bilder zuckten vor seinem inneren Auge hin und her, erst verschwommen, dann immer klarer. Feuer. Gewaltige Flammen, die er mit seinen Gedanken steuerte und eine Gestalt, in einen schwarzen Umhang gehüllt. Violette Augen. Ein unerträglicher Schmerz. Er rappelte sich auf. Seine Knochen schmerzten, er konnte jeden einzelnen spüren. Bemüht, endlich wieder einen klaren Gedanken zu fassen, trat er einen Schritt zurück und blickte auf die Stelle, auf der er gelegen hatte. Ein kleiner Krater in der Form eines Menschen, aus dem Rauch aufstieg, der Boden hatte Risse bekommen, das Moos und das Gras waren verbrannt. Er musste gefallen sein, unglaublich tief. Sein Helm lag inmitten des Kraters, doch als er ihn berührte, zerfiel er zu Staub. Er hustete. Er steckte sein Schwert zurück in den Gürtel, der Bogen samt Köcher waren noch auf seinem Rücken befestigt. Der Nebel lichtete sich. Er stand auf einer Klippe, vor ihm lag ein großes offenes und an vielen Stellen dicht bewachsenes Tal. Hinter ihm und um ihn herum standen Bäume, die den Anschein machten, als stünden sie schon seit Ewigkeiten an dieser Stelle. In den Wäldern seiner Heimat waren die Bäume inzwischen alt und grau. Diese hier waren anders. Dicke Stämme mit reichlich Ästen und grünem Laub. Über sieben Meter ragten sie vor ihm auf. Er trat auf sie zu und legte seine Hand auf die Rinde. Die tiefen Furchen gaben ihm ein Gefühl, das er schon lange nicht mehr gespürt hatte: Ruhe. Seit sein Vater gestorben war er immer auf der Suche danach gewesen. Mit 17 Jahren König zu werden hatte ihn schwer belastet. Er hatte es gehasst. Vielleicht, weil es ihn an seinen Vater erinnerte, vielleicht, weil er die Regierungsaufgaben nicht leiden konnte. Immer wenn er die Gelegenheit hatte, hatte er sich in den Wald zurückgezogen, um zu jagen. Doch fünf Jahre später hatte er erkannt, wie wichtig die Aufgaben eines Königs für das Volk waren und er hatte sich bewusster um sie gekümmert. Wieder fluteten Erinnerungen seine Gedanken. Die Flammen. Zerstörte Gebäude. Und diese violetten Augen. Wer war diese Gestalt unter dem Umhang? Ein Rascheln in einem Busch riss ihn zurück in die Realität. Seine Hand schloss sich um den Schwertgriff, instinktiv nahm er eine Verteidigungspose an. Seine Augen verengten sich, seine Sinne schärften sich. Konnte es sein, dass sich die Kapuzengestalt ebenfalls in dieser fremden Welt befand? Ein kleines seltsames Tier sprang aus dem Busch. Silvyan wich ein paar Schritte zurück. Beinahe wäre er von der Klippe gefallen. Das Tier war ein kleines braunes Wesen mit spitzen Ohren und einem buschigen Schwanz. Genauso hatte er sich immer diese Eichhörnchen vorgestellt, als seine Mutter ihm von den Tieren erzählt hatte die früher ein einmal gelebt hatten. Vor der großen Ausrottung. Das kleine Tier fiepste und näherte sich Silvyan mit vorsichtigen Tapsern. Er legte seine Hand flach auf den Boden und ließ es auf seine verkokelten fingerlosen Handschuhe krabbeln. Vorsichtig hob er es vom Boden auf und setzte es auf seine Schulter. Silvyan erhob sich, setzte seine Kapuze auf und zog sich die Maske über Mund und Nase. Seine gesamte Rüstung war zu Staub zerfallen, nur das Schwert hing noch im Gürtel. Wo verdammt war er? Was tun? Zuerst einmal atmen. Ein und aus. Die Gedankenfetzen in seinem Gehirn verschwanden. Ein und aus. In solchen Situationen musste man einen kühlen Kopf bewahren und sich aufs Wesentliche konzentrieren. Das hatte sein Vater ihm immer wieder eingebläut. Ein und aus. Er war doch schon oft in ähnlichen Situationen gewesen, als er in den Wäldern seiner Heimat vor seinem Schicksal davongelaufen war. Dem Schicksal eines gefallenen Königs. Hätte er es doch nur geschafft, diesem Schicksal zu entkommen. Doch das war er nicht. Stattdessen hatte er alles verloren. Alles... Ein leises Fiepsen auf seiner Schulter erinnerte ihn an den wichtigsten Punkt einer Liste, die er sich in seiner Zeit im Wald zurechtgelegt hatte: Konzentration. Silvyan schloss die Augen und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Wichtig war jetzt, dass er Prioritäten setzte, das wusste er. Und im Moment hatte Konzentration oberste Priorität. Er öffnete seine Augen und fing an, sich von der Einschlagsstelle zu entfernen. Erst langsam, mit kleinen Schritten, als würde er von ihr angezogen werden, doch je weiter er sich von ihr entfernte, desto leichter wurden seine Schritte, desto freier konnte er atmen. Langsam gewann er seine Kraft zurück und die dunklen Gedanken verschwanden. Nach wenigen Metern begann er zu rennen, nicht verzweifelt oder verängstigt, sondern merkwürdig instinktiv. Er sprang über umgestürzte Bäume oder duckte sich, um unter gigantischen durchzuschlüpfen. Irgendwann blieb er vor einer kleinen Lichtung stehen und lies sich bei einer Buche ins weiche Moos sinken. Sein Kopf war leer, er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Erschöpft saß er auf dem Boden, an den Baum gelehnt. Ohne, dass er etwas dagegen tun konnte, fielen ihm die Augen zu.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 31 ⏰

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