Kapitel 1 - Hass (L)

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»Ich hasse dich, ich hasse dich so sehr. Wie konntest du mir das nur antun?«, schreie ich mit letzter Kraft. Verbittert schluchze ich auf und wische mir die Tränen aus den Augen. Meine Hand liegt auf meinem Herzen. Es krampft sich unheilvoll zusammen, als wollte es gegen meine eigenen Worte rebellieren.

»Bitte, lass mich dir alles erklären, bitte«, fleht mich mein Gegenüber an. Ich glaube, den Schmerz und die Verzweiflung in seiner Stimme zu hören, aber warum nur? Er hat mir doch alles angetan, nicht ich ihm.

»Da gibt es nichts zu erklären, ich habe doch Augen im Kopf. Ich wünschte, ich hätte dich nie kennengelernt«, brülle ich mit hasserfüllter Stimme, die mit Schluchzern und Hicksern dazwischen unterbrochen ist, und versuche, nicht aus Wut zuzuschlagen. Mein Rachen brennt vom Schreien und Weinen und fühlt sich ungewohnt trocken an. Dennoch höre ich ein ersticktes Einatmen von ihm.

Gewalt ist keine Lösung. Wie singt er immer so schön »Treat people with kindness« und ich möchte gerade einfach nur »Tret people with kindness«.

Ich lasse mich entkräftet auf die Knie fallen, halte meine Hände vor das Gesicht und versuche vergeblich, die Tränen zurückzuhalten, was schier unmöglich ist. Es laufen immer mehr nach. Wie ein Wasserfall rinnen sie mir über die Wangen. Sie spannen mittlerweile von den salzigen Tränen, die unaufhörlich weiter über die geröteten Stellen laufen. Sie brennen regelrecht.

Wie viele Tränen kann ein Mensch eigentlich weinen? Warum stelle ich mir gerade in dieser Situation diese Frage? Ich schüttele leicht meinen Kopf.

»Liebling, bitte!«, höre ich seine, mit Tränen, verzerrte, bebende und bettelnde Stimme, mit dem erneuten Versuch, mir alles erklären zu wollen.

Er hört sich gebrochen und hundserbärmlich an. Als hätte er nichts angestellt oder mich so unendlich verletzt. Als würde ich ihn für etwas bezichtigen, was er nicht getan hat. Aber ich habe es doch gesehen. Ganz genau gesehen: Mein Herz blieb stehen und beinahe dachte ich, ich würde tot umfallen. Dieses Gefühl möchte ich nie wieder erleben.

»Nenne mich nie wieder so, du hast dir das Recht verwirkt, mich so zu nennen«, sage ich mit schwacher Stimme. Ich kann ihm nicht mehr zuhören, es ist zu viel für mich. Ich muss mein Herz und meine Seele schützen. Mich schützen.

Ich spüre einen Windhauch nahe an meiner Schulter und zucke unwillkürlich zurück. Rutsche nach hinten, bis ich die Wand hinter mir spüre. Der Holzsockel bohrt sich unbarmherzig in meinen unteren Rücken; es könnte mir gerade nicht egaler sein.

Seine Berührung konnte ich jetzt nicht ertragen, vielleicht nie mehr. Da bin ich mir sicher. Oder habe ich einfach Angst davor, dass mich die Wärme seiner Berührung dazu verleitet, ihm zu verzeihen? Mein Herz schmerzt unglaublich, es schlägt wild, aber nicht mehr den Schlag meines Lieblingsmenschen. Sondern den Schlag der Trennung, der Lüge, des Verrats.

Ich will hier weg, nur dieses Gefühl treibt mich an, aufzustehen, um die Treppe hoch in unser Schlafzimmer zu laufen. Ich packe wahllos Sachen in meine große Tasche. Beinahe so, als würde ich alles mitnehmen wollen. Vielleicht versuche ich es auch gerade, ich greife nach dem Ladekabel, dem Smartphone, die Schlüssel (für was eigentlich, es wird nie wieder unser Haus sein) und meinem Geldbeutel.

Totenstille liegt in der Luft, diese ist noch dazu zum Zerreißen angespannt. Ein Wort von ihm oder mir würde das Fass zum Überlaufen bringen. Und dann würde es hässlich werden, sehr hässlich. Zumindest für ihn. Länger kann ich mich kaum noch zusammenreißen.

Jetzt muss ich nur noch an ihm vorbeihuschen und ich muss den Menschen, der mir das größte Leid zugefügt hat, nie mehr sehen. Ich laufe vorbei und versuche, selbstbewusst und groß zu wirken, obwohl es in mir alles andere als danach aussieht.

Where do broken hearts goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt