Aura

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Seit du denken kannst, hat die Welt für dich nur aus Dunkelheit bestanden.
Manchmal ist da auch ein leichter Schimmer.
Wie ein Wirrwarr aus Farben.
Aber ansonsten ist da nur Schwärze aus der deine Welt besteht.
Dennoch bist du zufrieden mit dieser kleinen, friedvollen Welt gewesen.
Du hast gelernt dich in ihr zurecht zu finden.
Hast gelernt mit ihr zufrieden zu sein.
Der Gedanke, dass es außer dieser Welt, dieser normalen kleinen Welt, noch eine andere so viel größere geben könnte, wäre dir niemals in den Sinn gekommen, wenn du nicht bereits seit einigen Wochen darin leben würdest.
Eine Welt, in der es Hexen und Zauberer gibt.
Die erfüllt ist von Dingen, von denen du niemals auch nur zu träumen gewagt hättest.
Wie könntest du auch?
Wie hättest du auch jemals glauben können, dass es Einhörner, Kobolde und Elfen tatsächlich geben könnte?
Doch es gibt sie.
Das weißt du 100%-ig.
Genauso wie es Flüche gibt, die Geist und Seele schänden bis man um den Tod bettelt.
Tränke, die das Leben verjüngen, das Aussehen verändern oder den Geist verwirren.
Allein der Gedanke, an all diese Möglichkeiten, lässt dir das Blut in den Adern gefrieren.

Du weißt, dass du Glück gehabt hast.
Deine Augen mögen blind sein, aber dein Gehör ist dafür umso besser und du weißt, dass die Malfoys eine einflussreiche Zaubererfamilie sind.
Allesamt Reinblüter — ja solche Begriffe sind dir nun geläufig — bis auf ein paar wenige Ausnahmen, die jedoch aus dem Stammbaum der Familie, wie ungeliebtes Ungeziefer, getilgt worden sind.
Muggle, so betitelt man dich in dieser Welt — und das ist noch einer der harmloseren Namen.
Ein nicht magischer Mensch, der hier nichts wert ist und der Zauberergesellschaft allemal als Sklave dienen kann.
Ein Schicksal von dem auch du nicht verschont geblieben bist.
Todesser, das weißt du, pflegten es Muggle für allerlei Gräueltaten zu missbrauchen.
Auch wenn du bis jetzt von einem solchen Schicksal verschont geblieben bist, ist dir doch deutlich klar, dass du eine der wenigen Ausnahmen bist.

Es ist nur so ein Gefühl, aber du bist dir ziemlich sicher, dass du das vor allem dem Bruder deines Herrn zu verdanken hast.
Die Familie Malfoy hat dich von Anfang an nicht übermäßig schlecht behandelt.
Natürlich haben sie dich nie vergessen lassen, was du bist.
Doch bist du dir ziemlich sicher, dass es Amos' Zuneigung ist, die dich vor Schlimmerem schützt.
Du weißt nicht genau wie tief diese Zuneigung tatsächlich geht.
Doch so oder so wäre die Zusammenkunft eines Reinbluts und einer Sklavin einfach undenkbar.
Ganz abgesehen davon, dass du nicht wirklich etwas für Amos empfindest.
Zumindest keine romantischen Gefühle.
Du bist ihm dankbar.
Dankbar für all die Freiheiten, die er dir lässt.
Dass du jeden Raum das Herrenhaus der Malfoys nach Belieben betreten darfst.
Doch vor allem freust du dich über die Bücher, die er so verzaubert hat, dass auch du sie lesen und verstehen kannst.

Es ist einer dieser Nachmittage, an denen du deine sonstigen Aufgaben erledigt hast, die du in der Gesellschaft der Bücher verbringst.
Die kleine Bibliothek, die sich in einem ruhigeren Teil des Anwesens befindet, ist mit der Zeit zu deinem Rückzugsort geworden.
Du hast bereits die Hälfte aller Bücher gelesen.
Amos neckt dich häufig für deine unstillbare Wissbegierde.
Aber so bist du eben.
Vielleicht noch umso mehr, da dir so etwas Triviales wie ein Buch zu lesen aufgrund des Zustands deiner Augen schon immer verwehrt gewesen ist.
Und außerdem, so erschreckend diese magische Welt und ihre Geheimnisse auch sind, so sehr faszinieren sie dich auch.
Zudem scheint es nicht in Amos Absicht zu liegen, dir all das Wissen zu verwehren.
Häufig sogar will er deine Meinung zu den für dich wundersamen Dingen hören.
Dann diskutiert ihr stundenlang über ein bestimmtes Thema und vergesst die Zeit dabei.
Oder manchmal bittet dich Amos darum, ihm einfach nur etwas vorzulesen, damit er stundenlang deiner Stimme lauschen kann.

Du bist nicht glücklich.
Wirklich glücklich wärst du dann, wenn du wieder zu Hause wärst.

Bei deiner Familie, weit fort von irgendwelchen Zauberern, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Menschheit zu versklaven.
Aber du hast im Rahmen deiner Möglichkeiten versucht zumindest nach kleinen Funken des Glücks zu suchen.
Du kannst und willst nicht aufgeben.
Noch lebt in dir die Hoffnung, dass du vielleicht eines Tages wieder frei sein wirst.
Und selbst wenn nicht, falls deine Familie nicht mehr lebt und falls du auf ewig eine Gefangene sein wirst, weißt du, tief in deinem Innern, dass ihr, auf die eine oder andere Weise, irgendwann wieder vereint sein werdet.
An dieser Gewissheit konnte nichts rütteln.
Dieser Glaube ist so tief in dir verankert, dass ihn niemand zerstören konnte.
Und davon zerrst du jeden Tag.

Du führst die dampfende Tasse an deine Lippen und nimmst einen Schluck von dem frisch gebrühten Tee, bevor du dir ein weiteres Stück Gebäck nimmst, das du in Gedanken versunken kaust.
Auch wenn du die Zeit von keiner Uhr ablesen kannst, so besitzt du doch eine gewisse innere Uhr, die dich langsam wundern lässt, wo Amos wohl bleibt.
Normalerweise gesellt er sich immer so gegen 17Uhr zu dir und ihr verbringt dann den Abend miteinander. Er verspätet sich nur sehr selten und gewiss nicht um eine ganze volle Stunde.
Ob ihm wohl etwas zugestoßen ist?, überlegst du.
Eigentlich kannst du dir das nicht vorstellen.
Amos ist ein kluger Mann, der keine vorschnellen Entscheidungen trifft.
Doch kannst du nichts dagegen tun, dass du ein wenig unruhig wirst.
Liebe ist es nicht, die dich sorgen lässt, aber so etwas wie Freundschaft ganz sicherlich.

Du erhebst dich.
Nimmst deinen Stock an dich, um dich besser zurecht zu finden.
Eigentlich brauchst du ihn hier nicht mehr. Du bist die Gänge schon sooft entlang gegangen. Hast sie schon sooft erkundet, dass sie sich tief in dein Bewusstsein eingebrannt haben. Aber irgendwie gibt dir dieser Stock ein Gefühl von Sicherheit.
Mag dieser Gedanke auch noch so unsinnig sein.
Du öffnest die Tür.
Das Holz klackt über den Boden, ansonsten ist kaum ein Geräusch zu vernehmen.
Du gehst ein Stockwerk tiefer und dann: Stimmen zu deiner Rechten.
Du folgst ihnen.
Du weißt, dass das was du tust nicht richtig ist.
Wenn dich irgendjemand sieht, wirst du sicher bestraft werden.
Auch Amos' Wohlwollen wird dich nicht davor bewahren können, da bist du dir sicher.
Aber du kannst einfach nicht anders.
Du schleichst näher.
Kannst die Stimmen besser verstehen, aber nicht das was gesagt wird.
Noch ein kleines Stückchen näher.
Nur ein paar Schritte.
Die Tür wird so plötzlich aufgerissen, dass du für ein paar Sekunden wie erstarrt bist.
Du spürst die Präsenz eines Mannes vor dir.
Eine Aura, die dir völlig neu ist.
So dunkel, so intensiv, dass es dir für einen kurzen Moment den Atem raubt.
,,Du wagst es?!'', kreischt eine Frauenstimme — du weißt sofort wer da spricht — ehe ihre flache Hand auf deine Wange trifft.
Du fällst zu Boden.
So hart hat sie dich geschlagen.
Du bist klug genug dort sitzen zu bleiben und nicht zu wagen den Kopf auch nur einen Millimeter nach oben zu heben.
Dein langes Haar fällt dir ins Gesicht und verbirgt deine restlichen Züge.
Fest schließt du deine Augen, hoffst und betest, und öffnest sie erst wieder, als du wieder ganz alleine auf dem Gang bist.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 27, 2024 ⏰

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