POV - June Kent
>>Das dort ist Ihr Büro. 14:00 Uhr ist Abfahrt.<<, kam es knapp von Scarlett während sie auf die Tür links neben sich zeigte, bevor sie ihre eigene Bürotür öffnete, eintrat und sie mit einem Knallen hinter sich schloss. Wir waren endlich zurück in der Kanzlei. Die letzten zehn Minuten Fußweg hatten wir uns konsequent angeschwiegen. Ich musste immer noch die Information verdauen, dass es meine Aufgabe Ende der Woche sein würde Misses Montgomery in einem Scheinprozess zu verteidigen und immer noch war ich alles andere als angetan davon. Wenn ich auf irgendwas gar keine Lust hatte dann darauf.
Ich atmete tief durch und drückte die Klinke der Holztür herunter, die mich in mein neues Büro bringen sollte. Als die Tür aufschwang offenbarte sie mir einen kleinen, aber hellen Raum und mir gegenüber fand sich ebenfalls eine Glaswand die einen Panoramablick auf die Stadt ermöglichte. Davor stand ein schwarzer Schreibtisch, mit passendem Stuhl und an der rechten Wand war ein ebenfalls schwarzes Sideboard auf dem einige Bücher lagen. Ich betrat den Raum und schloss die Tür hinter mir. Das war also mein neuer Schaffensort. Etwas steril und unpersönlich, aber daran konnte ich arbeiten. Ansonsten war es wenigstens ein Büro und kein hässliches Metallabteil. Ich ließ mich auf den Schreibtischstuhl sinken und genoss für einen Moment den Ausblick. Ich hatte es geschafft. Ich war in dieser verdammten Kanzlei und ich würde diesen Fall gewinnen und Scarlett beweisen, dass ich für diesen Job mehr als nur geeignet war.
Ich drehte mich auf meinem Stuhl zurück zum Schreibtisch um mich dem Aktenstapel darauf zu widmen. Mehrere dicke braune Hefter waren aufeinander gestapelt worden und auf dem obersten war ein weißer Klebezettel platziert worden mit der Aufschrift „Miss Kant". Nicht mal meinen Namen hatten sie richtig geschrieben, na das konnte ja heiter werden. Ich zerknüllte den Zettel und warf ihn in den Papierkorb neben meinem Schreibtisch, bevor ich die oberste Akte aufschlug und zu lesen begann.
Der Fall stellte sich als schwieriger und vor allem komplexer heraus als ich zunächst angenommen hatte. Der Angeklagte, unser Mandant, wurde beschuldigt fünf seiner ehemaligen Affären und Liebhaber ermordet zu haben. Der erste, Robert Aux, wurde in der Badewanne seines Apartments ertränkt aufgefunden, der zweite, Daniel Cole, war augenscheinlich an einer Überdosis Crystal Meth verstorben, wobei Fremdeinwirkung nicht ausgeschlossen werden konnte. Der dritte Liebhaber, Eric Lehman, war nachts vor ein fahrendes Auto gestoßen worden, wobei eine Augenzeugin glaubte, unseren Mandaten bei der Tat gesehen zu haben. Der vierte Liebhaber war ein gerade mal zwanzig jähriger Student aus dem Ausland gewesen, den man erwürgt in seinem Wohnheimzimmer aufgefunden hatte. Bassin Sadaha, ursprünglich aus Ägypten und für ein Erasmussemester im Land. Der fünfte und letzte Tote war Nikolas Star, ein Stricher, der auf der Straße den Spitznamen „kleiner Stern" hatte.
Unser Mandant hatte den glorreichen Namen Sebastian Francois van Hülst und war ein großes Tier in der Finanzbranche. Das erklärte auch, wie er es sich leisten konnte, diese Kanzlei zu beauftragen. Er war verheiratet, mit einer Frau, und problematischer Weise, hatte er sich nicht wirklich Mühe gegeben seine Taten zu verschleiern. Zu allen fünf Toten gab es nachweisbare Verbindungen. Fotos und Aufnahmen von Überwachungskameras, gebuchte Hotelzimmer mit seiner Kreditkarte, Chatverläufe, Anrufprotokolle.
Das war mehr als nur scheiße.
Ich klappte die erste Akte zu und griff nach der zweiten.
Immerhin war er so schlau gewesen, bei der Polizei die Klappe zu halten. Er hatte keinerlei Aussagen getätigt, sondern sofort unsere Kanzlei kontaktiert, aber das machte den Fall nicht weniger schwierig.
Ein Freispruch war das einzig tragbare Ergebnis, aber diesen zu ermöglichen, war eine ganz andere Nummer.
Die nächste Stunde verbrachte ich damit mich durch das komplette Beweismaterial zu arbeiten, inklusive aller Korrespondenzen zwischen der Kanzlei und unserem Mandanten. Ich verlor völlig das Zeitgefühl und kam erst wieder in der Realität an, als ohne zu klopfen und mit Schwung meine Tür aufgerissen wurde. Ich zuckte zusammen vor Schreck und sah direkt in das Gesicht von Scarlett Montgomery die mit schwingendem Pferdeschwanz im Türrahmen lehnte.
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The Law Society
RomanceJune Kent ahnt nicht was sie erwartet, als sie ihren ersten Job als Anwältin in einer der renommiertesten Kanzleien des Landes beginnt. Schnell wird ihr klar, dass nicht alles gold ist was glänzt und dass das Recht für einige Menschen beugsamer ist...