Der kalte Herbstwind blies durch die leeren Straßen von Blackwood Falls, einer kleinen, abgelegenen Stadt in den Appalachen. Die Bäume, die einst in lebhaften Farben erstrahlten, standen nun kahl und nackt da, ihre Äste wie knorrige Finger gen Himmel gestreckt. In den verblassenden Sonnenstrahlen wirkte die Stadt wie eine Kulisse aus einem vergessenen Märchen, und die Schatten der Vergangenheit schienen tief in den Ritzen der alten Häuser eingedrungen zu sein.
Lucas Miller, ein fünfzehnjähriger Junge mit lockigem, braunem Haar und neugierigen grünen Augen, trat vorsichtig auf die knarrenden Dielen des alten Bibliothekshauses. Die Bibliothek war ein Relikt aus vergangenen Zeiten, ein Gebäude, das lange vor Lucas' Geburt errichtet worden war und dessen staubige Regale nun seltene, vergessene Bücher beherbergten. Lucas war ein Junge mit einer Leidenschaft für alte Geschichten und Rätsel, und der mysteriöse Ruf der Stadt hatte ihn schon lange fasziniert.
Seine Mutter, die kürzlich im Dorf als Bibliothekarin begonnen hatte, hatte ihn eingeladen, sich mit ihr einzuleben, um eine Auszeit von seiner hektischen Stadtwohnung in Atlanta zu nehmen. Für Lucas war es eine Gelegenheit, sich dem Rätsel zu widmen, das er schon seit Jahren in den Geschichten der Stadt gehört hatte. Die Geschichten von verschwundenen Menschen, von schaurigen Ereignissen und von dem alten Herrenhaus, das am Stadtrand wie ein dunkler Wächter über das Dorf blickte.
Heute hatte Lucas beschlossen, das Herrenhaus aufzusuchen. Es war ein großes, verfallenes Gebäude, das von dichten Wäldern und einem alten Friedhof umgeben war. Gerüchte besagten, dass niemand das Herrenhaus seit Jahrzehnten betreten hatte und dass sich dort das Böse versteckte. Für Lucas war es eine Herausforderung, die er nicht ablehnen konnte. Mit einer Taschenlampe und seinem Notizbuch machte er sich auf den Weg.
Das Herrenhaus war ein unheimlicher Anblick. Seine Fenster waren zerbrochen und die Wände von Efeu überwuchert. Als Lucas durch das rostige Tor schlüpfte und den verwilderten Garten betrat, zog eine kühle Gänsehaut über seinen Rücken. Er konnte sich nicht helfen, aber er fühlte sich beobachtet, als ob die Schatten der Bäume lebendig wären und ihn neugierig musterten.
Lucas öffnete die knarrende Tür des Hauses, die sich mit einem schmerzhaften Quietschen in den Angeln bewegte. Der Staub wirbelte auf, als er eintrat, und die Dunkelheit verschlang ihn. Die Taschenlampe warf flackernde Lichtstrahlen auf die Wände, die von Spinnweben und Schimmel bedeckt waren. Es roch nach Moder und vergangener Zeit.
Er durchsuchte die unteren Räume, fand jedoch nichts Ungewöhnliches, bis er die Treppe zur zweiten Etage entdeckte. Mit zitternden Händen stieg er die Stufen hinauf und betrat den Flur, wo sich mehrere verschlossene Türen befanden. Die Kälte, die ihn hier oben umgab, schien dichter und schwerer zu sein.
Plötzlich stieß Lucas auf eine Tür, die sich überraschend leicht öffnen ließ. Dahinter fand er einen Raum, der wie ein altes Arbeitszimmer wirkte. Auf einem verstaubten Schreibtisch lag ein großer, ledergebundener Ordner. Lucas näherte sich ihm und begann, die Seiten zu durchblättern. Es waren keine gewöhnlichen Dokumente. Stattdessen enthielt der Ordner handgeschriebene Notizen und Zeichnungen, die von seltsamen Symbolen und dunklen Ritualen zeugten.
Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen und Angst. Einige der Notizen beschrieben bizarre Ereignisse und unheimliche Erscheinungen, die im Haus geschehen waren. Ein Eintrag war besonders auffällig: „Der Fluch des Hauses kann nur durch Blut gebrochen werden. Jede Seele, die bleibt, wird zu einem Teil des Ganzen."
Lucas' Herz klopfte heftig. Er wusste, dass er etwas gefunden hatte, das weit über seine Vorstellungskraft hinausging. Doch bevor er weiterforschen konnte, ertönte ein lautes Knarren im unteren Teil des Hauses, gefolgt von einem plötzlichen Ruck, als ob sich das Haus selbst bewegt hätte.
Ein Gefühl der Panik ergriff ihn. Er packte schnell den Ordner und lief zur Tür. Aber als er sich umdrehte, sah er, dass die Tür, durch die er gekommen war, verschwunden war. Der Raum war nun in völlige Dunkelheit gehüllt, und die Wände schienen sich zu bewegen, als ob das Haus selbst atmete.
Lucas fühlte sich wie gefangen. Die Geräusche aus dem Flur wurden lauter, und eine kalte Hand schien seinen Nacken zu berühren. Das Herrenhaus hatte seine ersten Reißzähne gezeigt, und Lucas war mitten in einem Albtraum gefangen, aus dem es kein Entkommen zu geben schien.
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Losing
HorrorLosing ist ein packender Horrorroman, der sich um die düstere Welt des Übernatürlichen und den unaufhörlichen Kampf gegen das Böse dreht. Die Geschichte beginnt in einer ruhigen Stadt in den USA, als der junge Lucas King und seine beste Freundin Ann...