Kapitel 3: Die ersten Zeichen

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Lucas schaffte es endlich, das verschlossene Herrenhaus zu verlassen, nachdem er mit viel Mühe das Fenster wieder geschlossen und die Tür zum Flur aufgestoßen hatte. Er kehrte in die Bibliothek seiner Mutter zurück, wo er den gesamten Nachmittag über an dem alten Buch und den Briefen gearbeitet hatte. Die düstere Atmosphäre des Hauses ließ ihn nicht los, und die Entdeckungen der letzten Stunden nagten an ihm. Er wusste, dass er Hilfe benötigte, um die Geheimnisse des Herrenhauses zu entschlüsseln.

Seine Mutter, Anne Miller, war eine freundliche, aber geschäftige Frau, die ihre Zeit zwischen den Archiven der Bibliothek und den zahlreichen Aufgaben in der Stadt aufteilte. Lucas erzählte ihr von seinen Entdeckungen im Herrenhaus, doch ihre anfängliche Skepsis wich bald einer besorgten Miene.

„Lucas, ich verstehe, dass du neugierig bist, aber du musst dir bewusst sein, dass die Geschichten über dieses Haus schon seit Jahren im Umlauf sind", sagte Anne, während sie durch die Briefe blätterte. „Es gibt einige Dinge, die besser unentdeckt bleiben sollten."

Trotz ihrer Warnungen konnte Lucas die besorgte Stimme seiner Mutter nicht ignorieren. „Aber Mom, es gibt Hinweise darauf, dass etwas wirklich Schreckliches dort passiert ist. Diese Briefe sprechen von Seelen und einem Fluch."

Anne seufzte. „Ich werde ein paar Nachforschungen anstellen und sehen, ob ich etwas über diese Familie finden kann. Du solltest dich heute Abend lieber ausruhen."

Lucas verbrachte die Nacht wach und versuchte, die gesammelten Informationen zu ordnen. Doch die bedrückende Stille seines Zimmers und die kühle Luft, die durch das Fenster strömte, halfen ihm nicht dabei, sich zu entspannen. Immer wieder hörte er seltsame Geräusche von draußen – das Knarren von Ästen, das entfernte Heulen des Windes. Es war, als ob das Haus ihn immer noch rief.

Am nächsten Morgen machte Lucas sich erneut auf den Weg zum Herrenhaus. Diesmal war er entschlossener und besser vorbereitet. Er hatte seine Taschenlampe aufgeladen, zusätzliche Batterien eingepackt und das Notizbuch voller Entdeckungen bei sich. Die Gedanken an die vergangenen Ereignisse trieben ihn an, und seine Entschlossenheit, das Rätsel zu lösen, war stärker denn je.

Als er das Herrenhaus betrat, fiel ihm sofort auf, dass sich etwas verändert hatte. Die Atmosphäre schien dichter, die Luft schwerer als am Tag zuvor. Er ging die Treppe hinauf und bemerkte, dass die Wände des Flurs nun von merkwürdigen Flecken bedeckt waren. Sie wirkten wie Blut, doch als er genauer hinsah, waren es nur dunkle Verfärbungen, die sich wie ein unheimliches Muster über die Wände zogen.

Lucas tastete sich durch die Räume und fand schließlich den Raum, in dem er die Briefe und das Buch entdeckt hatte. Der Schreibtisch war nun ordentlich aufgeräumt, als ob jemand die Dinge wieder an ihren Platz gebracht hätte. Doch das eigentliche Problem war die Stille, die ihn umgab. Es war eine unheimliche, drückende Stille, die ihn fast erstickte.

Plötzlich fiel sein Blick auf eine seltsame Gestalt, die sich in der Ecke des Raumes bewegte. Eine Schattenfigur schien sich bewegend von der Wand abzulösen, ihre Konturen schimmern im flackernden Licht der Taschenlampe. Lucas spürte einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen, als sich die Gestalt allmählich klarer abzeichnete. Es war kein gewöhnlicher Schatten – es hatte die Form eines Menschen, aber sein Gesicht war verschwommen und verzerrt.

„Wer ist da?", rief Lucas, doch die Antwort kam nicht in Worten, sondern in einem kalten Windhauch, der durch den Raum zog. Die Gestalt schien sich zu bewegen, als ob sie ihn zum Verlassen drängte.

Lucas sammelte all seinen Mut und beschloss, der Gestalt zu folgen. Er bewegte sich vorsichtig in die Richtung, in die sich die Erscheinung zurückgezogen hatte. Der Flur führte ihn zu einer weiteren, versteckten Tür, die er vorher nicht bemerkt hatte. Sie war mit einem alten Vorhängeschloss versehen, das die Jahre nicht überstanden hatte und sich leicht öffnen ließ.

Hinter der Tür fand er einen weiteren Raum, der wie eine Art geheimes Archiv wirkte. Regale voller alter Dokumente, Manuskripte und Bücher standen entlang der Wände. Lucas begann, die Regale durchzugehen und fand ein weiteres, geheimes Tagebuch. Dieses war noch älter und detaillierter als das erste.

Die Seiten des Tagebuchs enthielten detaillierte Aufzeichnungen über die dunklen Rituale, die die Familie Blackwood durchgeführt hatte. Es sprach von einem Ritual, das nur zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr durchgeführt werden konnte, um den Fluch zu binden und zu verhindern, dass die dunklen Kräfte freigesetzt werden.

Ein bestimmter Eintrag fiel Lucas besonders auf. Er erwähnte ein Ritual, das am Abend eines bestimmten Mondzyklus durchgeführt werden musste, um den Fluch zu kontrollieren. Lucas erfuhr, dass der nächste Mondzyklus bald bevorstand und dass dies der Zeitpunkt war, an dem das Haus am gefährlichsten war.

Lucas' Gedanken wirbelten, als er die letzten Einträge las. Der Fluch, von dem die Aufzeichnungen sprachen, schien nicht nur die Familie Blackwood, sondern auch das gesamte Dorf zu betreffen. Die Dorfbewohner hatten anscheinend einen Pakt geschlossen, um das Böse in Schach zu halten, doch es war unklar, ob dieser Pakt noch Bestand hatte oder ob es bereits zu spät war.

Er wusste, dass er dringend mit seiner Mutter sprechen musste und auch die Dorfbewohner in Kenntnis setzen sollte. Vielleicht gab es noch andere, die von diesem geheimen Archiv und dem bevorstehenden Ritual wussten. Doch die Dunkelheit des Hauses war unerbittlich, und Lucas konnte das Gefühl nicht loswerden, dass das Böse näher rückte.

Mit dem Tagebuch und dem Gefühl, dass die Zeit knapp war, verließ Lucas das Herrenhaus und machte sich auf den Weg zurück zur Bibliothek. Seine Entschlossenheit war größer als je zuvor. Er musste herausfinden, wie er den bevorstehenden Fluch verhindern konnte, bevor es zu spät war. Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass die wahre Herausforderung erst noch bevorstand.

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