KAPITEL 01

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I R I N I

Freiheit erhielt eine ganz neue Bedeutung für mich, nachdem ich alles bedenkliche verlor.

Mein ganzes Leben lang, war Freiheit wie eine kühle Meeresbrise, nach der ich mich das ganze Jahr über sehnte. Es war ein Klang von Frieden, der unvorstellbar war für mich zu erreichen, solange ich in diesen erstickenden Ort gefangen blieb. Solange ich die Verantwortung nicht von mir abschütteln konnte, die als älteste Petridou tief in meinem Blut festgeankert war.

Freiheit war einfach alles, was ich mir jemals erträumte und so viel mehr. Denn natürlich, verband ich damit immer das Verlassen meines Elternhauses, das Zurücklassen meiner Heimatstadt und die Erfüllung meiner unantastbarsten Träume. Ich fokussierte mich so sehr darauf, wie ich Freiheit auf der Spitze meiner Zunge schmecken würde, sobald ich weglief, dass ich die kleinen Dinge völlig außer Acht ließ. Die kleinen Dinge, die meine Seele tiefer berührten, als jegliches Geld auf dieser Welt es könnte.

Ich atme tief ein und schließe meine Augen, während ich einen weiteren Schritt nach vorne wage und meine nackten Füße unwillkürlich auf die raue Oberfläche der Kieselsteine treffen. Die nächtliche Meeresluft streicht dabei einzelne Haarsträhnen nach hinten und bringt mich zum Erzittern. Nichtsdestotrotz hält mich das nicht davon ab, weitere Schritte nach vorne zu treten, bis das kalte Salzwasser zum ersten Mal meine Füße erreicht und die Spitzen meines Kleides völlig durchnässt.

Es ist mir vollkommen egal.

Ich knie mich zum Meeresrand hinunter. Die Wellen gegen mein Kleid bringen es dazu, an meinen Beinen festzukleben, während meine Finger federleicht durch das Wasser streichen. Ich lasse sie in das schwerelose Gefühl des Meeres einsinken, lasse mein Wesen in dieses glorreiche Gefühl eindringen und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht.

Ich bin frei.

Ein Gefühl von Heimat überkommt mich und zwingt sich in jede, lebendige Zelle meines Körpers hinein. Ich würde am liebsten mit dem Wind mitgehen, durch das Wasser schweben. Ich empfinde das Gefühl von Leben nie stärker, als wenn ich hier bin. In diesem Land. In meiner Heimat, die auch wirklich zu meinen Zuhause geworden ist. Mittlerweile besuche ich Griechenland nicht mehr für drei Wochen und kehre dann nach San Francisco zurück, um da mein richtiges Leben fortzuführen. Endlich muss ich nicht jeden Moment der Sommerluft in mir einsaugen und hoffen, dass es für den Rest des Jahres in mir gefangen bleibt.

Ich muss nicht mehr träumen. Nicht mehr nach Freiheit streben, wenn diese doch im selben Moment durch meine Fingerspitzen streicht und ich die Realität davon endlich mit all meinen Sinnen spüren kann.

Auch, wenn es manchmal nicht das ist, was ich mir erwünscht habe.

Denn mit was ich überhaupt nicht rechnete, war Verlust.

Keiner hat mich darauf vorbereitet, wie viele Dinge ich gegen meine Freiheit austauschen müsste. Ich war nämlich an Stabilität gewohnt, nicht an das Auseinanderfallen meiner Freundschaften oder an die Gefährdung der Beziehung zu meinen Eltern. Nicht, an die mangelnde Zeit mit meinen Geschwistern.

Die Worte meiner Mamma stellen sich also ein Stück weit als Wahrheit heraus. Das es nicht so einfach wird, wie ich denke. Das ich mich nach allem sehnen werde, was ich nun hinter mir lasse. Dass ich zurückrennen werde, sobald ich der Realität ins Auge blicke.

Mag sein, dass das meine Realität ist.

Eine Realität, in der ich mich um jede Sekunde meines Lebens mit Sorge bezüglich meiner kleinen Geschwister plagen werde. Eine Realität, in der ich für immer unermessliche Schuldgefühle empfinden werde, jedesmal, wenn ich die Anrufe meiner Eltern wegdrücke.

EleftheriaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt