Im Schatten von St. Tropez

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Der Mond hing hoch am Himmel über St. Tropez und warf silberne Lichtstrahlen auf die ruhigen Wellen des Hafens. Es war halb eins in der Nacht, und während die Partys in den luxuriösen Villen und Clubs in vollem Gange waren, machte ich mich auf den Weg zur Arbeit. Mein Name ist Nicolas, aber die meisten nennen mich Nico. Ich bin 17 Jahre alt und lebe in einer winzigen, heruntergekommenen Wohnung am Stadtrand, zusammen mit meiner Mutter und meinem kleinen Bruder.

Während die Reichen in ihren Yachten und Villen feierten, schlich ich durch die schmalen Gassen und versteckte mich im Schatten, um nicht gesehen zu werden. Es war eine stillschweigende Abmachung: Die Reichen wollten nicht gesehen werden, wie sie einen Jungen wie mich beschäftigten, und ich wollte nicht die Blicke und das Getuschel ertragen. Also arbeitete ich nachts, wenn der Hafen leer war und nur das ferne Dröhnen der Musik die Stille durchbrach.

Die Nacht war kühl, eine angenehme Abwechslung zu den heißen Sommertagen. Ich zog meine Kapuze tiefer ins Gesicht und versuchte, möglichst unauffällig zu wirken, während ich mich dem Hafen näherte. Die Lichter der Yachten funkelten im Wasser, wie teure Diamanten, die ich mir nie leisten könnte. Doch es war diese Welt der Reichen, die mir und meiner Familie das Überleben sicherte.

Mein erster Stopp war die „La Belle Vie", eine riesige, schneeweiße Yacht, die dem berühmten Geschäftsmann Philippe Moreau gehörte. Er war einer der wenigen, die mich anstellten, und ich wusste, dass ich meine Arbeit gut machen musste, um meinen Job zu behalten.

Ich schlich mich an Bord und begann meine Routine: Erst das Deck schrubben, dann die Fenster polieren und schließlich die Innenräume aufräumen. Es war harte Arbeit, aber ich hatte mich daran gewöhnt. Während ich arbeitete, dachte ich oft daran, wie anders mein Leben sein könnte, wenn ich nicht in Armut geboren wäre. Die Yachten, die ich putzte, waren wie schwimmende Paläste, und manchmal konnte ich mir nicht helfen, mir vorzustellen, wie es wäre, eine von ihnen mein Zuhause zu nennen.

Als ich gerade das letzte Fenster polierte, hörte ich Schritte auf dem Steg. Mein Herz schlug schneller, und ich versteckte mich hinter einer Kiste. Es war nicht ungewöhnlich, dass Partygäste betrunken durch den Hafen schwankten, aber man konnte nie sicher sein. Nach einer Weile verschwanden die Schritte wieder, und ich atmete erleichtert auf.

Es war fast vier Uhr morgens, als ich meine Arbeit beendete. Ich nahm meinen Lohn aus dem geheimen Versteck, das Herr Moreau für mich hinterließ, und machte mich auf den Heimweg. Die ersten Sonnenstrahlen begannen bereits den Himmel zu erhellen, und ich musste mich beeilen, um nicht gesehen zu werden.

Zuhause angekommen, schlich ich mich leise hinein, um meine Familie nicht zu wecken. Ich legte das Geld auf den Küchentisch und sah meinen kleinen Bruder, der friedlich schlief. Für ihn und unsere Mutter tat ich das alles. Es war nicht viel, aber es reichte, um uns über Wasser zu halten.

Während ich mich ins Bett legte, konnte ich das entfernte Lachen und die Musik der Partys hören, die noch immer andauerten. In einer anderen Welt, die so nah und doch so fern war, lebten die Menschen ihr sorgloses Leben, während ich davon träumte, eines Tages mehr als nur ein unsichtbarer Schatten zu sein. Doch für den Moment war ich einfach nur müde und froh, die Nacht überstanden zu haben.

Die Stadt der schönen und TotenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt