N e u n z e h n

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„Na gut, wir können gerne noch eine schlechte Liebeskomödie anschauen–"

„Hey!", rufe ich empört.

„Aber dafür gehst du morgen mit mir auf Lukas' WG-Party. Deal?"

Es ist Donnerstagabend, und Pascale hat mich mit einer Flasche Roséwein an der Haustür überrascht. Ich dachte, sie wäre hier für einen gemütlichen Couchabend – aber sie hat offenbar andere Pläne.

„Ich weiß nicht so recht..."

„Oh, komm schon, Girl! Du musst mal wieder das Haus verlassen. Das hier ist doch kein Leben!" Sie schüttelt tadelnd den Kopf, ihre sonnenblonden Haare fliegen wild umher.

„Ich bin doch immer noch gehandicapt", versuche ich, mich halbherzig zu verteidigen.

So ungern ich es zugeben will, Pascale hat nicht ganz Unrecht. In den letzten Wochen habe ich mich tatsächlich sehr zurückgezogen. Was aber weniger an meinem gebrochenen Fuß lag als an meiner Arbeit, die mich 24/7 vereinnahmt. Und trotzdem scheint all meine Mühe umsonst – erst gestern hat Nadine meinen Artikel, an dem ich die ganze Woche lang gefeilt habe, mit einem missbilligenden Lippenkräuseln quittiert. Mehr hat sie nicht sagen müssen, die Enttäuschung in ihrem Blick war deutlich genug. Bei der Erinnerung daran verziehe ich das Gesicht und nippe am Wein.

„Pah, faule Ausrede", ruft Pascale. „Auf der Party gibt's ja nicht mal einen Dancefloor, dafür viele Sofas." 

„Schon gut, schon gut", seufze ich. Bei diesen erstklassigen Argumenten habe ich ohnehin keine Chance. Vielleicht sehne ich mich aber auch ein bisschen danach, mal wieder unter Menschen zu kommen. „Aber ich kann nicht so lange bleiben. Nicole zieht am Samstag um, und ich habe ihr versprochen, beim Kistenauspacken zu helfen."

Pascale stößt zischend die Luft aus. „Dass sie sich traut, hierher zu ziehen, finde ich immer noch total krass."

Ich werfe ihr einen tadelnden Blick zu. „Was denn? Nur weil sie damals dachte, dass zwischen dir und deinem Ex Schluss war, soll das eine Entschuldigung sein für alles, was sie dir angetan hat?" Sie rümpft die Nase.

„Ich hab' dir doch erklärt, dass wir gerade dabei sind, ein halbwegs normales Verhältnis aufzubauen. Ich will das nicht kaputt machen."

Sie schnaubt. „Viel Glück dabei. Als ob man nach der Sache einfach so tun könnte, als wäre nichts gewesen." Stumm presse ich meine Lippen aufeinander. „Ich mein' ja nur." Sie zuckt mit den Schultern und nimmt einen tiefen Schluck aus ihrem Weinglas.

„Wer ist eigentlich Lukas?", frage ich, um das Thema zu wechseln.

„Keine Ahnung, irgendein Typ, den ich letztens im Club getroffen habe", sagt sie beiläufig und zeigt mir den Chatverlauf. Neben einer Adresse besteht die Einladung zu seiner Party aus jede Menge Bier-Emojis. Ich seufze. Noch eine WG-Party, auf der ich außer Pascale niemanden kenne. Meine soziale Inkompetenz macht Luftsprünge.

„Darum geht's aber auch gar nicht, Girl! Gute Musik, gratis Alkohol und süße Typen – was will frau mehr?" Pascale grinst breit. „Und dir wird es auch nicht schaden, mal wieder deinen sexy Hintern hochzuschwingen. Wer weiß, vielleicht lernst du ja jemanden kennen", zwinkert sie mir zu. Ich erspare mir eine Antwort und verdrehe die Augen.

„Das hat natürlich überhaupt nichts damit zu tun, dass du Tom eifersüchtig machen willst, oder?" Ich hebe eine Augenbraue.

Die „Versöhnung" der beiden ist schon wieder Geschichte. Er kommt einfach nicht darüber hinweg, dass Pascale sich nicht binden will. Und solange sie keine monogame Beziehung mit ihm will, will er sie gar nicht. Pascale reagiert auf Toms Ultimatum auf die einzig erdenkliche Weise: auf Partys aufzuschlagen, neue Männer kennenlernen, und das Ganze dann auf Instagram zu dokumentieren – mit einem Ziel: Tom eifersüchtig zu machen. Ich hatte ihr schon gesagt, dass das vielleicht nicht die beste Methode ist, um über ihn hinwegzukommen, aber sie grinste nur und meinte, es sei nur eine Frage der Zeit, bis er wieder ankommt. Das ist nun schon fast zwei Wochen her.

„Darüber reden wir nicht, darüber reden wir überhaupt nicht." Sie zieht eine Grimasse, dann hellt sich ihre Miene auf. „Lass uns lieber darüber reden, was du morgen anziehst. Und wehe, es ist nicht figurbetont!"

Es folgt eine zwanzigminütige Diskussion über meine Outfit-Optionen, zu denen Pascale eine klare Meinung hat: Für meine erste Party seit über einem Monat (sie benutzt das Wort „Come-Back") soll es etwas ganz Besonderes sein. Ich protestiere, als sie mir schon wieder versucht, eines ihrer kurzen Fummeln anzudrehen.

Ich bin wirklich nicht prüde, aber neben Pascale sehe ich immer ein bisschen aus wie das Ehrenmitglied eines Nonnenordens. Ich hasse große Ausschnitte (was vielleicht damit zusammenhängt, dass ich da vorne nicht viel zu bieten habe), sie liebt sie (aus gutem Grund). Pascale ist es gewohnt, in ihren bunten, knallengen Kleidern die Blicke auf sich zu ziehen – dabei braucht sie sie gar nicht. Ihre elfenhafte Figur, ihre sonnenblonden Locken – ihre ganze Ausstrahlung – ist längst ausreichend, um Männer wie Frauen sprachlos zu hinterlassen.

Neben ihr bin ich eher... subtil. Mein Look zieht nicht so viele bewundernde Blicke auf sich – nicht dass mich das stören würde. Natürlich nicht. Ich trage am liebsten das, womit ich mich wohlfühle: dezentes Make-up, ein hochgeschlossenes Oberteil, ein leicht ausgestellter Rock, der bis zur Mitte meines Oberschenkels reicht, und das alles in schwarz. Farben stehen mir bei meiner blassen Haut sowieso nicht.

Doch so sehr ich mir das auch einrede, das Wissen, dass mir neben ihr sowieso niemand groß Beachtung schenken würde, nagt doch ein wenig an mir. Vor allem an Tagen wie heute, wenn meine Unsicherheit auf volle Lautstärke hochdrehen wollte. Natürlich tue ich, als wäre es mir egal – ich bin eine starke, unabhängige Frau, verdammt!

Wir leben im 21. Jahrhundert, und ich sitze hier und zerfließe in Selbstmitleid, weil meine beste Freundin zufällig so aussieht wie Gigi Hadid, nur in zehn Zentimeter kleiner. Ernsthaft, geht es noch erbärmlicher?

Also entweder ich bin ein schrecklich missgünstiger Mensch, oder – und diese Option ist vielleicht noch trauriger – mir liegt viel mehr daran, gesehen zu werden, als ich mir eingestehen will.

Frauen sollten einander unterstützen, nicht neidisch beäugen.

Trotzdem – es wurmt mich. 

Verärgert verscheuche ich den Gedanken. Dieses Konzept von „Liebe auf den ersten Blick" ist ohnehin Blödsinn. Und ganz ehrlich, mit Pascale als Freundin kann ich mir solche romantischen Fantasien sowieso nicht leisten. 

Ich seufze, mal wieder genervt von meinem endlosen Gedankenkarussell. 

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt