S e c h s u n d z w a n z i g

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Ich stehe wieder an genau derselben Stelle wie vor drei Wochen. Das Marienhospital ragt wie der verdammte Schicksalsberg vor mir auf. Zum Glück fängt Nicole erst nächste Woche hier an – sonst hätte sie mich nach meinem Termin garantiert zu einem Kaffee gezwungen, und ich will keine Sekunde länger hierbleiben, als unbedingt nötig. Die Angst, Sebastián, Steffi oder Karl-Heinz zu begegnen, ist schon schlimm genug. Aber das alles verblasst im Vergleich zu der eisigen Panik, die mich packt, wenn ich nur daran denke, Elias über den Weg zu laufen... Übelkeit steigt in mir auf.

Widerstrebend steuere ich auf den Fahrstuhl zu. Diesmal finde ich ohne Umwege den Weg zur Station für Orthopädie und Unfallchirurgie. Ich melde mich am Empfang und werde direkt ins Wartezimmer geschickt.

Nichts lieber als das. Im Wartezimmer bin ich in Sicherheit. 

Ich drehe mich um, bereit, den kurzen Weg zum Wartezimmer zu krücken –

Da durchfährt es mich wie ein Blitz. Ich bekomme kaum Luft.

Hilfe.

Weg. Ich muss hier weg. Sofort.

Elias lehnt lässig an der Tür schräg gegenüber vom Wartezimmer, ins Gespräch mit einer Schwester vertieft, völlig entspannt. Es gibt keinen Weg, an ihnen vorbeizukommen, ohne entdeckt zu werden. Mein Körper reagiert schneller als mein Kopf. Rückzug! Auf dem Absatz drehe ich um, humpele so schnell ich kann in die entgegengesetzte Richtung. Bitte, bitte lass ihn mich nicht gesehen haben.

Nur noch ein kleines Stück. Hinter der nächsten Ecke bin ich in Sicherheit–

Ich knalle gegen etwas Hartes.

Verwirrt blinzelnd finde ich mich auf dem Boden wieder. Irgendwo spüre ich einen dumpfen Schmerz, doch der wird von einem einzigen Gedanken übertönt: Weg, ich muss hier weg. 

Panisch blicke ich mich um. Mein Zusammenstoß mit irgendwas – irgendwem – hat mich auf den Boden geschleudert, aber –

Erleichtert atme ich auf. Ich befinde mich im nächsten Korridor, außerhalb von Elias' Blickfeld.

Danke! Dankedankedanke 

„Alles in Ordnung? Haben Sie sich verletzt?"

Mein Herz bleibt stehen. Moment, diese Stimme kenne ich. Langsam drehe ich den Kopf.

Sebastián.

Er beugt sich leicht über mich, ein besorgter Ausdruck in den Augen. Diese Augen. Ich schlucke schwer. Erkennt er mich wieder? 

Als ich nicht sofort reagiere, geht er in die Hocke und legt sanft seine Hand auf meine Schulter.

„Äh, j-ja", stammele ich. Auch ohne seine Berührung fällt es mir schon schwer genug, einen klaren Gedanken zu fassen. „Alles gut, glaube ich."

Mein Steißbein schmerzt ein wenig, weil ich mal wieder so geschickt war, genau auf die Krücke zu fallen. Auch mein Fuß pocht unangenehm, als ob er mich daran erinnern will, dass er noch nicht bereit ist für solche Eskapaden. Ich verziehe das Gesicht.

„Kommen Sie, ich helfe Ihnen." Mit einer Hand umfasst er fest meine Taille, mit der anderen legt er meinen Arm über seine Schulter und hilft mir, mich wieder aufzurichten.

Wenn ich vorher schon kaum klar denken konnte, ist es jetzt völlig unmöglich. Von zwei Menschen, denen ich unbedingt aus dem Weg gehen wollte, bin ich dem einen wortwörtlich in die Arme gefallen, während ich dem anderen nur knapp entkommen bin. Jeder Muskel in mir ist angespannt. Elias könnte noch immer jeden Moment um die Ecke biegen. Wie ein gehetztes Tier blicke ich mich um.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt