Die Rückkehr der Schatten

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Ein Jahr war vergangen, seit Anna der Ashwood Villa und dem Fluch, der auf ihr lastete, entkommen war. Doch die Geschehnisse dieser Nacht hatten sie nie wirklich verlassen. Jede Nacht, wenn sie die Augen schloss, kehrten die Schatten zurück – die unheilvollen Stimmen, die Schreie, und das schreckliche Gefühl, dass etwas auf sie wartete. Etwas Dunkles, Unvollendetes.

Es war Herbst, als Anna beschloss, zurückzukehren. Sie hatte es lange vor sich hergeschoben, in der Hoffnung, dass die Albträume von selbst verschwinden würden. Doch die Villa rief sie – wie ein Flüstern, das sie tief in ihrem Inneren hörte. Sie musste zurück, um dem Geheimnis endgültig auf den Grund zu gehen, oder sie würde nie wieder Ruhe finden.

Der Nebel hing schwer in der Luft, als sie mit ihrem Auto die schmale Straße entlangfuhr, die tief in den Wald führte. Die Bäume standen starr wie Wächter auf beiden Seiten, ihre knorrigen Äste wie drohende Finger, die sich in die Dunkelheit erstreckten. Es war, als würde die Zeit stillstehen, als sie die vertrauten Umrisse der Villa in der Ferne erblickte.

Ashwood Villa war noch immer da, unberührt und verlassen. Ihre einst prachtvollen Mauern waren vom Verfall gezeichnet, das Dach war an einigen Stellen eingestürzt, und die Fenster waren schwarz und leer wie tote Augen, die in die Leere starrten. Doch das Schlimmste war, dass die Luft um das Haus schwer und drückend war – als wäre der Ort von einer unsichtbaren Kraft umgeben, die alles Leben verschlang, das sich ihm näherte.

Anna parkte den Wagen vor der Einfahrt und stieg aus. Die Kälte umhüllte sie sofort, biss in ihre Haut und ließ ihren Atem in der Luft gefrieren. Es fühlte sich anders an als beim letzten Mal. Dunkler. Tiefer. Fast so, als wäre die Dunkelheit selbst gewachsen, stärker geworden, während sie fort war.

„Warum tue ich das?" flüsterte sie zu sich selbst, während sie ihren Blick auf die Villa richtete. Aber sie wusste die Antwort. Sie hatte keine Wahl.

Langsam näherte sie sich der Haustür, die nur noch an einem rostigen Scharnier hing. Mit zitternden Fingern schob sie die Tür auf. Das Knarren der Scharniere hallte in der stillen Nacht wider, und Anna spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Die Dunkelheit im Inneren war fast greifbar, wie eine lebendige Substanz, die sich an ihren Körper heftete, sobald sie einen Schritt in die Villa setzte.

Die vertrauten Räume begrüßten sie – der verfallene Salon, die zerbrochenen Möbel und der faulige Geruch von Moder und Verfall. Aber etwas hatte sich verändert. Ein leises, unheilvolles Summen erfüllte die Luft, als ob die Wände selbst sie beobachteten. Anna erinnerte sich daran, wie sie hier vor einem Jahr fast den Verstand verloren hatte, und jetzt war sie zurück, wissend, dass sie sich erneut der Dunkelheit stellen musste.

„Was willst du von mir?" flüsterte sie ins Leere. Ihre Stimme hallte zurück, als wäre sie die einzige Seele in dieser toten Welt. Doch plötzlich – ein Geräusch. Ein dumpfer Schlag, irgendwo im Haus, gefolgt von einem leisen Kratzen, das durch die stillen Räume hallte.

Anna hielt inne, ihre Muskeln angespannt. Sie war nicht allein. Etwas war hier, etwas, das auf sie gewartet hatte.


Das Geräusch war nicht zu überhören – ein langsames, rhythmisches Pochen, als würde jemand oder etwas von der anderen Seite der Wände klopfen. Es schien, als würde das Haus selbst atmen, als ob es nach langer Ruhe wieder zum Leben erwachte. Anna spürte, wie sich die Angst in ihrem Magen zusammenzog, doch sie zwang sich, weiterzugehen.

Das Geräusch führte sie in die hinteren Flure, dorthin, wo sie nie gewesen war. Die Tür zum alten Weinkeller stand weit offen, und die Dunkelheit dort unten war so undurchdringlich, dass sie für einen Moment zögerte. Doch das Pochen kam von dort, tief aus dem Inneren des Kellers. Sie musste hinunter.

Mit einem tiefen Atemzug nahm sie ihre Taschenlampe und stieg die steinernen Treppen hinab. Der modrige Geruch wurde stärker, und die Luft wurde kühler, je tiefer sie ging. Der Keller war kalt und feucht, und die Wände schienen von Schimmel überzogen zu sein. Das Licht ihrer Taschenlampe flackerte, als sie das Ende der Treppe erreichte und in einen langen, schmalen Gang trat.

Das Pochen wurde lauter, beinahe pulsierend, als würde etwas hinter den Wänden hämmern, verzweifelt darauf bedacht, freigelassen zu werden. Anna ging weiter, bis sie eine große Holztür erreichte, die am Ende des Ganges stand. Die Tür war alt, die Holzlatten schief und verwittert, aber das Geräusch kam eindeutig von der anderen Seite.

Ihre Finger zitterten, als sie die Klinke berührte. Sie wollte nicht wissen, was sich hinter dieser Tür befand, doch etwas zwang sie dazu, sie zu öffnen. Mit einem Ruck zog sie die Tür auf.

Der Raum dahinter war leer, bis auf einen alten, verrosteten Schacht, der in die Tiefe führte. Das Pochen war nun ohrenbetäubend. Es kam aus dem Schacht – tief unten, aus einem Bereich, der unter der Villa zu liegen schien.

„Das kann nicht wahr sein..." murmelte Anna, doch die Realität ließ keinen Zweifel. Etwas war tief unter der Erde begraben, und es wollte freikommen.

Plötzlich flackerte das Licht ihrer Taschenlampe und ging aus. Dunkelheit hüllte sie ein. Ein scharfer, kalter Windstoß wehte aus dem Schacht und brachte das Flüstern mit sich. Die Stimmen waren zurück.

„Es ist noch nicht vorbei... es beginnt gerade erst..."

Anna stolperte rückwärts, doch der Schacht gab ein weiteres, dumpfes Grollen von sich, und der Boden unter ihren Füßen begann zu beben. Der Raum um sie herum verzerrte sich, und für einen Moment sah sie Schatten an den Wänden entlangkriechen, groteske Gestalten, die aus der Dunkelheit emporstiegen.

Dann kam das Schreien. Ein tiefes, schreckliches Schreien, das von unten aus dem Schacht drang – als ob tausende gequälte Seelen gleichzeitig in die Welt zurückkehren wollten. Die Wände des Kellers schienen unter dem Druck der Dunkelheit zu beben, und Anna spürte, wie die Angst ihren Körper lähmte.

Sie musste hier raus – jetzt. Ohne einen weiteren Blick zurück zu werfen, rannte sie die Treppe hinauf. Doch die Dunkelheit verfolgte sie, als würde sie lebendig werden, sich nach ihr ausstrecken und sie in die Tiefe reißen wollen. Ihr Atem ging keuchend, als sie die Kellerstufen hinaufstolperte und ins Erdgeschoss zurückkehrte.

Die Villa ächzte, als würde sie jeden Moment einstürzen, doch Anna spürte, dass es nicht das Haus war, das sie in Gefahr brachte. Es war das, was unter der Villa lauerte. Der Fluch war nicht nur ungebrochen – er war gewachsen, hatte sich tief in die Erde gegraben und war bereit, sich zu entfesseln.

Anna war außer Atem, als sie das Haus verließ und die schwere Eingangstür hinter sich zuknallte. Doch das Gefühl der Erleichterung hielt nicht lange an. Der Wald, der sie umgab, war seltsam still. Kein Rascheln, kein Flüstern des Windes in den Bäumen – nur Stille. Und in dieser Stille war es, als ob der gesamte Wald die Dunkelheit in sich aufgesogen hatte, die aus der Villa quoll.

Anna wusste, dass dies erst der Anfang war. Die Dunkelheit hatte sie erneut gefunden, und diesmal würde sie nicht so leicht entkommen.

Der zweite Teil des Fluchs hatte begonnen.

Das Erwachen des TerrorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt