E i n u n d d r e i ß i g

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Übel. Mir ist furchtbar übel. 

Ich schlage die Augen auf. Grelle Sonnenstrahlen fallen durch gemusterte Jalousien, ich blinzele verwirrt. Gemusterte Jalousien? Mein Blick wandert weiter – eine blassrosa Tapete ... eine Standuhr ... ein altmodischer Abreißkalender. Wäre darunter nicht auch die Jahreszahl gestanden, hätte ich ernsthaft in Betracht gezogen, durch die Zeit gereist und in den Sechzigern gelandet zu sein. Ich liege auf einem weichen, braunen Ledersofa, über mir ist eine schwere Wolldecke ausgebreitet. Nicht mein Wohnzimmer. Nicht meine Wohnung.

Wo... zur Hölle... bin ich? Panik durchflutet mich. Vorsichtig luge ich unter die Wolldecke. Und atme erleichtert auf: Ich bin vollständig bekleidet. Sex hatte ich gestern Abend schon mal nicht. Gestern Abend... Was ist passiert? 

Ich war mit Pascale unterwegs... und Tom. Im Irish Pub! Da waren noch – Elias, Lukas ... und Erik? Und dann... nichts. Wie viele Drinks muss ich gehabt haben, um einen totalen Filmriss zu haben? Eine ganze Menge, meiner Übelkeit nach zu urteilen. 

Stöhnend setze ich mich auf. Ganz schlechte Entscheidung. Übelkeit steigt in mir hoch. Ich brauche eine Toilette. Und zwar sofort.

Ich springe auf, Schwindel erfasst mich. Auf wackeligen Beinen stolpere ich zur Zimmertür, hinaus in den Flur und – Jackpot – finde das Badezimmer. Ich schaffe es gerade noch, mich über die Kloschüssel zu beugen, bevor sich mein Mageninhalt entleert.

Keine Ahnung, wie lange ich dort sitze. Die verschwitzen Haarsträhnen kleben mir im Gesicht, ich bin sogar zu schwach, um sie zur Seite zu streichen, während ich immer wieder von Schüben der Übelkeit erfasst werden. Was hätte ich nur für ein Haargummi gegeben.

Ich lehne meinen Kopf an die kühlen Fliesen, schließe erschöpft die Augen. Wem auch immer diese Wohnung gehört, dem Einrichtungsstil nach war die Person um die 70 Jahre alt... Erschrocken reiße ich die Augen auf. Moment, wurde ich etwa entführt?! Wenn ja, dann ist es mir im Moment ehrlich gesagt auch egal, solange ich weiterhin diese Toilettenschüssel benutzen kann. Die Nächste Welle der Übelkeit überrollt mich.

Das plötzliche Geräusch von Schritten lässt mich zusammenzucken. Fuck. Nicht so, nicht jetzt. Ich kann nichts tun, nicht einmal den Kopf drehen, um zu sehen, wer da kommt, wenn ich verhindern will, dass sich mein Mageninhalt über den Fliesenboden verteilt. Die Schritte kommen näher. Eine Hand legt sich sanft auf meinen Rücken, eine andere greift meine Haare, schlingt sie zu zu einem lockeren Zopf zusammen. Wer–?

Nachdem ich nur noch würge, mich aber nicht mehr übergeben muss, greife ich nach der Rolle Klopapier und wische mir schnell den Mund ab. Die Hand lässt mein Haar los, die Berührung auf meinem Rücken entfernt sich. Mit allerletzter Kraft betätige ich die Spülung und schicke meinen Mageninhalt in Richtung Kanalisation, genauso wie meine Würde. 

Ich weiß, es gibt kein Entkommen mehr. Drei, zwei, eins. Ich drehe mich um und schnappe nach Luft.

Er?!

Aber – wie?

Mein Kopf dröhnt, ich will etwas sagen, aber alles, was ich hervorbringe, ist ein heiseres Krächzen. Meine Kehle brennt. Genau wie mein Gesicht.

Elias füllt ein Glas mit Leitungswasser und reicht es mir. Gierig trinke ich es in einem Zug leer. Doch der widerliche Geschmack in meinem Mund bleibt.

„Wie fühlst du dich?" Seine Stimme ist ruhig, die blaugrauen Augen liegen wachsam auf mir. Ist das  Sorge? Bin ich in einem Paralleluniversum gelandet?

Ich blicke beschämt zu Boden. „Scheiße", bringe ich heiser hervor.

„Glaub mir, ich hab' schon Schlimmeres gesehen," sagt er, ein kaum sichtbares Lächeln umspielt seine Lippen. Doch dann wird seine Mine hart. „Was weißt du noch von gestern?"

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt