Kapitel XLIV

190 26 10
                                    

Alles in mir sträubte sich dagegen, mich erneut auf Mirahs Rappen zu hieven. Der lange Ritt am Vortag war mühselig und anstrengend gewesen. Außerdem hatte ich in der Nacht kein Auge zugetan. Wenigstens hatte Bastian mir versprochen, in meiner Nähe zu reiten, damit ich nicht völlig allein mit Mirah war. Leider konnte Kons genauso wenig reitern wie ich, weshalb uns kein eigenes Pferd zugeteilt werden konnte. Zusätzlich hatte Mirah ja auch noch den Auftrag, mich sicher zu Suvenja zu bringen und war gezwungen, über mich zu wachen. Als ob ich ein Kindermädchen bräuchte! Mir gefiel es nicht, eine Aufpasserin zu haben, denn ich war schließlich nicht die einzige, die viel auf sich nehmen musste.

Ich brachte mich dann doch irgendwie dazu, meinen linken Fuß auf den Steigbügel zu stemmen, um das rechte Bein über den Pferderücken zu hieven. Konstantin stieg ebenfalls auf sein Reittier. Severin und Robyn mussten leider laufen, da man den Großteil der Pferde der Angriffstruppe zur Verfügung stellte. Der Ablenkungstrupp würde ohnehin keine Reittiere brauchen, wenn er erst in den Bergen war. Dort musste die Gruppe sich nämlich still und unbemerkt durch unwegsames Gelände bewegen.

##

Bereits nach wenigen Stunden war es so weit. Die drei Truppen mussten sich aufteilen. Severin und Robyn würden sich weiter nach Nordosten bewegen, während der Befreiungstrupp nach Nordwesten und der Angriffstrupp geradewegs nach Norden ziehen würden. Die beiden Clananführer gestatteten es den Menschen, sich kurz zu verabschieden. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass sie sich nie wiedersehen würden. Kons und ich stiegen von den Pferden. Bastian und Mirah waren höflich genug, uns allein mit unseren Nomadenfreunden unterhalten zu lassen.

Niemand wusste, was nun zu sagen war. Keine Abschiedsworte waren bedeutungsvoll genug.

„Leb wohl, Konstantin.", sagte Severin schließlich trocken.

„Du auch.", entgegnete dieser. Sie wichen den Blicken des jeweils anderen aus. Robyn unterdrückte ein Schniefen. Und als hätte jemand einen Hebel umgedreht, fielen wir uns endlich alle gegenseitig um den Hals. Ich schämte mich nicht für die Tränen, die mir an den Wangen hinabliefen. Auch Konstantin versuchte seine Tränen unauffällig wegzublinzeln. Ich nahm an, dass ihm dieser Moment noch schwerer fiel als mir. Er hatte sich zuerst mit den Nomaden angefreundet. Er hatte mit ihnen gewettet und gejagt. Er hatte es ihnen zu verdanken, dass mich jemand aus dem Wüstensturm gerettet und gesund gepflegt hatte. Wir schuldeten ihnen so viel. Und jetzt zogen sie sogar in eine Schlacht für uns.

„Wir können euch nicht genug danken.", schniefte ich und wischte mir mit dem Ärmel über das Gesicht.

„Wisst ihr", sagte Severin, „Ich habe euch wirklich für verrückt gehalten. Am Anfang. Aber... ihr seid gute Menschen. Und ihr seid gute Freunde."

„Ich würde alles noch einmal genauso machen, wenn ich könnte. Ich bereue nicht eine einzige Sekunde, euch aus der Wüste geholt zu haben." Robyns Stimme brach. Sie schluchzte von uns allen am meisten.

„Und ich hätte mich von niemandem lieber retten lassen als von euch.", sagte Kons und legte Severin brüderlich eine Hand auf die Schulter, während ich Robyn die Hand drückte. Ich schluckte schwer, um nicht erneut in Tränen auszubrechen.

„Wenn das vorbei ist, könnt ihr mir beibringen mit der Schleuder zu jagen.", meinte Kons.

Severin lächelte. „In Ordnung, Hübscher. Im Gegenzug lehrst du uns aber das Fallenstellen."

„Versprochen."

Ein letztes Mal schlossen wir uns in die Arme.

„Passt auf euch auf. Alle beide.", rief Severin schließlich, packte Robyns Oberarm und zog sie sanft mit sich. Ich schaute den beiden wehmütig hinterher. Robyn drehte sich noch einmal zu mir um und schenkte mir ein trauriges Lächeln. Ihre Augen glitzerten betrübt. Dann drehte auch ich mich weg und wir marschierten getrennte Wege.

Die Sage der WüstenhexeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt