„Nein, völlig unbrauchbar. Was schlägst du vor, Lena?"
Es ist Freitag, 9:15 Uhr, Zeit für die wöchentliche Redaktionssitzung, in der Themen für die nächste Ausgabe entwickelt werden sollen. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt, Nadine, meine Chefredakteurin, sogar für ihre Verhältnisse schlecht gelaunt.
Gerade kneift sie ihre Lippen zusammen und fixiert mich durch ihre Brillengläser. Ich versuche, die aufsteigende Nervosität zu ignorieren, und räuspere mich. „Eine Interviewstrecke mit den CEOs der Münchner Fin-Tech-Unternehmen. Aber statt–"
„Nicht besonders innovativ, nicht wahr?", unterbricht sie mich scharf.
Ich schlucke schwer, zwinge mich aber weiterzusprechen. „Aber anstatt der üblichen Karrierefragen könnten wir das Privatleben der CEOs thematisieren. Man erfährt selten etwas Persönliches, und das würde sie für unsere Leser nahbarer machen." Zugegeben, es ist nicht mein kreativster Vorschlag, aber die letzten Wochen waren ein einziges Chaos, und ich hatte kaum Zeit, etwas „Innovatives" zu entwickeln.
Nadine nickt langsam. „So etwas Ähnliches haben die Kollegen in Berlin letztes Jahr mit Politikern gemacht." Sie überlegt kurz. „In Ordnung. Ich möchte dein ausgearbeitetes Konzept am Montag früh auf meinem Tisch haben. Gibt es weitere Vorschläge?" Was bedeutet, dass ich eine weitere Wochenendschicht einlegen muss... Ich unterdrücke ein Seufzen, doch bin auch erleichtert, etwas halbwegs Brauchbares gesagt zu haben.
Nadines Blick wandert weiter zu Sina, die ein Jahr länger dabei ist als ich und damit die Zweitjüngste im Team ist. Als sie eine Idee zur Inflation und ihren Auswirkungen auf den Markt pitcht, wird sie unter Nadines strengem Blick immer leiser.
„Wie oft muss ich das noch sagen, dass–" Der Klingelton eines Handys lässt sie innehalten. Verärgert blickt sie sich im Konferenzraum um, und auch ich scanne den Raum.
Das Klingeln ist ganz nah. Fast so, als–
Fuck.
Das Klingeln wird lauter, als ich nach meiner Tasche greife, panisch darin herumwühle und schließlich mein klingelndes Handy herausziehe. Ich drücke die unbekannte Nummer weg und schließe die Augen in dem verzweifelten Versuch, den Hitze zu verdrängen, die mein Gesicht in Signalfarbe leuchten lässt. Wie konnte ich nur vergessen, mein Handy auf lautlos zu stellen?
„Entschuldigung", murmele ich. Nadine verengt die Augen zu Schlitzen, sagt aber nichts, während sie sich wieder an Sina wendet. Am Ende der Redaktionssitzung kratzen Stühle über den Boden, alle machen sich eilig daran, zu ihrer Arbeit zurückzukehren.
„Lena, ein Wort", ruft Nadine mir hinterher, als ich schon fast zur Tür hinaus bin. Ich erstarre und drehe mich langsam zu ihr um.
„Ja?"
Nadine wartet, bis der letzte Kollege gegangen ist, dann fixiert sie mich mit ihren eisblauen Augen. „Du bist seit einem Jahr hier, dazu noch die Jüngste im Team. Du weißt, dass ich an deine journalistischen Fähigkeiten glaube, sonst wärst du nicht hier." Sie macht eine vielsagende Pause. „Aber deine Arbeit hat in der letzten Woche stark nachgelassen hat. Was auch immer los ist – regel es."
Ich traue meiner Stimme nicht, deshalb nicke ich nur. Scheinbar zufrieden damit, wendet sich Nadine ab, ordnet die vor sich ausgebreiteten Papiere. Unsicher drehe ich mich um, habe den Konferenzraum schon fast verlassen, als mich ihre Stimme ein weiteres Mal innehalten lässt: „Die Interviewstrecke sollte besser gut sein, Lena. Ich würde nur ungern feststellen, dass ich mich in dir getäuscht habe."
Wieder zurück an meinem Schreibtisch bin ich fix und fertig mit den Nerven. Nadine hat ja Recht: ich bin völlig neben der Spur. Wegen der Albträume bekomme ich kaum noch Schlaf, und tagsüber schweifen meine Gedanken immer wieder zu jener Nacht zurück, zu dem Besuch auf der Polizeistation, der anstehenden Gerichtsverhandlung... und überall sehe ich sein Gesicht. Ich erschaudere.
Aber dieser Job bedeutet mir alles, verdammt! Die Interviewstrecke muss gut werden. Nein, besser als gut – mein bester Artikel überhaupt. Deshalb mache ich mich sofort an die Arbeit, vertiefe mich in den nächsten Stunden in die Recherche, arbeite sogar die Mittagspause durch. Doch dann vibriert mein Handy erneut.
Seufzend greife ich danach.
Wieder diese unbekannte Nummer. Wahrscheinlich die Telefongesellschaft, die mir einen neuen Vertrag aufdrängen will. Ich drücke den Anruf weg und tippe weiter. Kurze Zeit später vibriert es erneut. Genervt nehme ich den Anruf an.
„Was ist?", blaffe ich die Person am anderen Ende der Leitung an.
Stille. Dann eine vertraute Stimme.
„Lena? Hier ist Elias."
Oh. Mein Herz setzt für einen Moment aus. Woher hat er meine Nummer?
„Ähm, hi!", sage ich etwas zu hastig, während meine Stimme eine Oktave höher rutscht. „Sorry, ich dachte, du bist die Telefongesellschaft."
„Die Telefongesellschaft?" Ich kann das Grinsen in seiner Stimme hören.
Ich schließe die Augen. Prima, Lena. Souverän wie immer.
„Vergiss es", nuschele ich. „Was gibt's?"
„Ich hab' deine Blutergebnisse." Mein Herz setzt einen Schlag aus. „Sorry, dass es etwas gedauert hat. Willst du sie am Telefon hören, oder lieber im Krankenhaus vorbeikommen?"
„Sag sie mir jetzt", flüstere ich.
„Dein GHB-Spiegel war stark erhöht," sagt er langsam. „Dir wurde also definitiv Liquid Ecstasy verabreicht." Wie erstarrt sitze ich da. Da ist es, das kalte, bittere Gefühl der Bestätigung. Trotzdem bin ich... irgendwie erleichtert. Jetzt habe ich immerhin Gewissheit.
„Du meinst, Erik hat es mir verabreicht." Meine Stimme klingt bitterer als beabsichtigt.
Stille am anderen Ende der Leitung.
„Du weißt es also." Keine Frage.
„Lena, es tut mir leid." Seine Stimme ist rau und tief. „Ich hatte gehofft, du müsstest es nicht erfahren."
„Es stand dir nicht zu, mir so etwas zu verheimlichen", knurre ich. Obwohl ich weiß, dass Elias es nur gut gemeint hat. Und ein Teil von mir kann es ihm nicht mal verübeln. Seitdem ich weiß, dass Erik mich ... dass er es war, haben meine Albträume ein Gesicht, das mich überall hin verfolgt.
„Ich weiß", sagt er leise. Er klingt so ... so Elias-untypisch, dass es meinem Herz einen Stich versetzt. Dann höre ich ihn leise atmen, so nah, als würde er direkt neben mir stehen. „Ich habe den Bericht bereits der Polizei übergeben," murmelt er, seine Stimme fast ein Flüstern. „Ich hoffe, das ist okay für dich."
Bei seinen mit Schuldgefühlen beladenen Worten bekomme ich einen Kloß im Hals. Ich fühle ich so viel auf einmal – Dankbarkeit, Trauer, Wut, Schmerz und etwas, das ich nicht ganz begreife. Elias hat für mich gekämpft, als ich es selbst nicht konnte. Und dafür werde ich ihm ewig dankbar sein. Froh, dass er mich durch das Telefon gerade nicht sehen kann, zusammengekauert über dem Schreibtisch, blinzele ich die aufsteigenden Tränen weg und versuche meiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. „Danke, Elias."
Es vergehen wieder ein paar Sekunden, bis er antwortet: „Ich wünschte, es wäre nicht nötig gewesen." Er zögert. „Und falls du jemanden brauchst ... zum Reden oder so ..." Die letzten Worte hängen unausgesprochen zwischen uns.
„Danke. Ich melde mich, wenn ich ... soweit bin."
„Mach das."
Das Schweigen zwischen uns dehnt sich aus, schwer von allem, was wir nicht aussprechen. Elias ... er ist wie ein unkontrollierbarer Wirbelsturm, der mich gleichzeitig anzieht und zurückstößt. Da ist all das Dunkle, das Ungewisse, das ihn wie ein dichter Nebel umgibt – ein Nebel, der mich reizt, ihn zu durchdringen, auch wenn ich Angst habe, was sich dahinter verbirgt. Und dann ist da dieses Band zwischen uns, das uns immer wieder zusammenführt – egal, wie oft wir versuchen, voneinander loszukommen.
„Ciao, Lena." Seine Stimme klingt ungewohnt sanft, und mit einem leisen Tuten ist der Anruf beendet.
Ich lege das Handy weg und schließe die Augen, lasse den Wirbelsturm an Gefühlen in mir toben, ungefiltert und wild. Doch inmitten dieses ganzen Chaos gibt es einen festen Anker, eine Person, die mir Halt gibt:
Morgen – morgen ist das Date mit Sebastián.
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Between Heartbeats
Romance***Band 1 abgeschlossen*** Lena dachte, mit 25 hätte sie ihr Leben im Griff - falsch gedacht. Ein Jogging-Unfall bringt sie nicht nur ins Krankenhaus, sondern mitten in eine Achterbahn der Gefühle. Elias, der arrogante, aber faszinierende Assistenza...