Kapitel 1

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Ich hätte es mir denken können. Natürlich waren meine Eltern nicht begeistert, dass ich im Studentenwohnheim wohnen wollte. Sie hatten es nie verstanden und ich wusste, dass sie die ganze Fahrt über kaum ein anderes Thema finden würden.

„Ich verstehe einfach nicht, warum du in ein so kleines Zimmer ziehen musst, wenn wir dir ein schönes Apartment besorgen könnten, nur ein paar Blocks entfernt," sagte meine Mutter, ihre Stimme wie immer ruhig und kontrolliert, doch ihr Stirnrunzeln verriet ihre Unzufriedenheit.

„Wir wollen doch nur das Beste für dich, Lily," fügte mein Vater hinzu und schaute kurz zu mir nach hinten. Er hielt den Blick ein wenig länger als nötig, als ob er hoffte, ich würde es mir doch noch anders überlegen.

„Es ist nur für eine Weile," sagte ich. „Ich möchte die Uni richtig erleben, nicht wie eine Außenseiterin, die allein in einer Wohnung sitzt. Ich werde schließlich die meiste Zeit auf dem Campus verbringen."

Meine Mutter sah mich an, als wäre das keine zufriedenstellende Erklärung. Sie atmete tief durch, sah zum Fenster und schüttelte leicht den Kopf. „Als wir in deinem Alter waren, hätten wir uns über so eine Chance gefreut," meinte sie und ich wusste, dass sie an ihre eigenen hohen Erwartungen erinnerte, die sie stets an mich weitergab.

Wir fuhren die letzten Straßen zu meinem neuen Zuhause entlang. Der Trubel von New York war für mich immer noch überwältigend, auch wenn ich schon ein paar Mal hier gewesen war. Menschen strömten über die Bürgersteige, die Geräusche waren unaufhörlich, das Leben überall greifbar und doch unpersönlich. Ein merkwürdiger Gedanke, dass dies mein neues Zuhause werden sollte.

„Also gut," sagte mein Vater schließlich und parkte den Wagen vor dem Wohnheim. „Wenn es das ist, was du willst..." Er schüttelte den Kopf und stieg aus, um die Koffer aus dem Kofferraum zu holen.

Ich folgte ihm, spürte, wie sich ein Knoten in meinem Magen bildete. Trotz meiner Vorfreude fühlte es sich plötzlich schwer an, dass ich hier sein würde, in einer neuen Stadt, mit neuen Erwartungen. Aber ich hatte mir das selbst ausgesucht, das war der Plan, den ich mir seit Jahren ausgemalt hatte.

Meine Mutter betrachtete das Gebäude mit einer Mischung aus Skepsis und Stolz. „Ich hoffe, du weißt, was du tust, Lily," sagte sie. „Wir haben hohe Erwartungen an dich. Columbia ist kein Spielplatz."

„Das weiß ich, Mom," sagte ich ruhig. „Und ich bin dankbar, dass ihr das alles für mich ermöglicht. Aber ich möchte auch eigene Erfahrungen sammeln."

Sie nickte langsam, ohne mich ganz zu verstehen, doch ich wusste, dass sie mir in ihrem Herzen alles Gute wünschte – auch wenn ihre Blicke immer wieder über die Fassade des Wohnheims glitten, als wäre es ein Zeichen des Untergangs.

Nachdem wir die Koffer in mein neues Zimmer gebracht hatten, stand ich einen Moment da und ließ den Blick umherwandern. Das Zimmer war klein und einfach eingerichtet, mit zwei Betten, zwei Schreibtischen und einem Schrank, der gerade genug Platz für zwei Personen bot. Doch während meine Seite noch leer und unberührt wirkte, war die andere bereits mit dem Leben meiner Mitbewohnerin gefüllt.

Die Bettseite gegenüber war mit Polaroid-Fotos und Postern dekoriert, und auf dem Schreibtisch lagen einige Bücher verstreut, zusammen mit Notizblöcken und Stiften in knalligen Farben. Ein Paar klobiger Stiefel stand in der Ecke neben einer Lederjacke, die über dem Stuhl hing – als würde ihre Besitzerin jeden Moment wieder hereinkommen. Meine Mitbewohnerin war bereits im zweiten Semester und hatte sich hier offensichtlich schon eingerichtet.

Ein Gefühl der Aufregung stieg in mir auf. Ich konnte kaum glauben, dass ich jetzt Teil dieser Welt war. Mein eigenes kleines Reich, wenn auch geteilt – und dennoch der erste Schritt in ein Leben, das ich selbst gestalten würde.

Das Summen meines Handys holte mich aus meinen Gedanken. Meine Eltern warteten draußen im Auto, bereit, sich zu verabschieden.

Ich stellte meinen Koffer neben das Bett und strich unbewusst über die Decke, die noch in der Folie lag. Ein Anflug von Nervosität mischte sich in die Vorfreude – als ob dieses Zimmer der erste echte Schritt in ein Leben war, das mir endlich gehören würde.

Ein letztes Mal blickte ich auf die Seite meiner Mitbewohnerin, versuchte, mir ein Bild von ihr zu machen. Bunt, lebendig, jemand, der sich traute, Platz einzunehmen. Ob sie sich wohl über meine Ankunft freuen würde? Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, vibrierte mein Handy erneut. Meine Eltern warteten.

Ich schloss die Tür und machte mich auf den Weg zurück zum Parkplatz, wo sie in unserem SUV saßen. Der Anblick meiner Mutter, wie sie mit einem bekümmerten Gesichtsausdruck auf die Uhr sah, und mein Vater, der ungeduldig auf das Lenkrad trommelte, ließ mein Herz einen Moment schwer werden. Als sie mich erblickten, stiegen beide aus und kamen mir entgegen.

„Da bist du ja," sagte meine Mutter, die mich in eine feste Umarmung zog. Ich konnte den vertrauten Duft ihres Parfüms riechen – eine Mischung aus Jasmin und etwas Frischem, das mich an Sommerabende in Los Angeles erinnerte.

„Pass bitte auf dich auf, okay?" Ihre Stimme klang weich, doch ich spürte die unterschwellige Sorge, die wie ein Schatten mitschwang.

„Mach dir keine Sorgen, Mom. Ich bin hier sicher. Außerdem ist Columbia eine gute Uni, und es gibt immer jemanden, der ein Auge auf mich hat," antwortete ich und versuchte, so beruhigend wie möglich zu klingen.

Mein Vater stand daneben, die Hände in den Taschen seines maßgeschneiderten Sakkos. Er wirkte ruhig, wie immer, doch ich kannte ihn gut genug, um zu sehen, dass auch er nicht ganz loslassen konnte.

„Du weißt, dass es immer noch eine Option ist, in einem Apartment zu wohnen," sagte er, mit einem leichten Stirnrunzeln. „Ein Studentenwohnheim ist... naja, du weißt schon. Laut und chaotisch."

Ich schmunzelte, auch wenn ich genau wusste, dass er es ernst meinte. „Dad, ich wollte unbedingt ins Wohnheim, das weißt du doch. Ich möchte die volle Erfahrung, den Campus und die ganzen anderen Studenten um mich herum. Ein Apartment wäre so... einsam."

Er atmete tief ein und nickte schließlich. „Gut, das ist deine Entscheidung. Aber wenn irgendetwas ist, rufst du uns an, verstanden? Egal, wie spät es ist."

„Versprochen." Ich schenkte ihm ein Lächeln, auch wenn ein kleiner Kloß in meinem Hals steckte. Es fühlte sich seltsam an, Abschied zu nehmen.

Meine Mutter strich mir sanft über die Wange und sah mich mit feuchten Augen an. „Unsere kleine Lily in New York. Ich kann es kaum glauben."

„Ich auch nicht," murmelte ich und zwang mich zu einem Lächeln, das meine Unsicherheit verbergen sollte. Ein Teil von mir wollte noch bleiben, ein letztes Mal mit ihnen zurück nach Hause fahren. Doch ein anderer Teil wusste, dass das hier der Anfang von etwas Großem war.

Nach einer weiteren Umarmung und einem langen Blick verabschiedete ich mich schließlich. Ich sah ihnen nach, wie sie ins Auto stiegen und der Wagen langsam vom Parkplatz rollte, bevor er um die Ecke verschwand.

Nun war ich allein – allein in einer fremden Stadt, in einem fremden Zimmer und mit einem Leben, das ich mir erst noch erarbeiten musste.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 08 ⏰

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