Das Wasser schwappte mit einem leisen Plätschern gegen den Anlegesteg. Zeit und die Elemente hatten das einst helle Holz dunkel gefärbt und ein paar der Holzplanken knarrten bedrohlich bei jedem Schritt. Finje ging davon aus, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die ersten unter seinem Gewicht nachgeben würden. Er sollte diese Teile austauschen, ehe es zu spät war.
Doch nicht heute. Heute war ein zu schöner, zu warmer Tag, um ihn mit irgendwas zu vergeuden, das auch nur im entferntesten an Arbeit heranreichte. Nein, der heutige Tag rief dazu auf, die Füße ins kühle, klare Wasser zu halten, den Blick in den Himmel zu richten und die Nebelfetzen zu beobachten, die ihren Weg vom Meer bis ins Innere der Insel fanden, wo sie sich allmählich auflösten.
Mit einem tiefen, zufriedenen Seufzen streckte Finje sich auf dem kleinen Steg aus und verschränkte die Hände hinter dem Kopf in der Absicht, diesen einen Tag zu genießen. Doch diese Ruhe währte nur wenige Minuten. Die Vögel aus dem nahen Wald sangen lauthals und erfüllten die warme Luft mit einem Gewirr verschiedenster Stimmen, doch das war es nicht, was Finje störte. Die Vögel konnte er ausblenden.
Nein, es war etwas viel leiseres, das seine Ohren entgegen aller Vernunft erreichte. Das Vogelgezwitscher hätte es überdecken sollen und doch drang ein durchdringendes Brummen an sein Ohr. Murrend wischte er durch die Luft und sein Ohr entlang in der Hoffnung, störende Insekten verscheuchen zu können. Doch seine Hände blieben leer und das Brummen blieb.
Mit einem entnervten Stöhnen stützte sich Finje auf den Unterarmen ab und sah sich um. Er konnte niemanden entdecken und keine Insekten umschwirrten seinen Kopf oder krabbelten über das Holz. Über den Wipfeln des Waldes zog ein Vogel seine Kreise, doch er war nicht für das Brummen verantwortlich. Über der spiegelglatten Oberfläche des Sees tanzten zwei Schmetterlinge umeinander, doch auch sie konnten nicht für das störende Geräusch verantwortlich sein.
In einem letzten Versuch bohrte Finje mit den Fingern in seinen Ohren herum, doch bis auf Ohrenwachs kam nichts zum Vorschein. Auch das Brummen veränderte sich nicht. Doch ehe er weiter darüber nachdenken und sich ärgern konnte, übertönte ein Ruf das Vogelgezwitscher und das Brummen.
„Finje!“
Ein Fischerboot trieb auf ihn zu, die beiden Paddel lehnten an der Reling, wie zwei Arme dem Himmel entgegen gereckt. Auf der Sitzbank stand Patty, ein breites Grinsen im Gesicht, und wedelte mit den Armen, als wolle er einen Schwarm Mücken verscheuchen.
„Finje,“ rief er erneut und ergriff die Paddel, um das letzte Stück zum kleinen Anlegesteg schneller zu überbrücken, als es das treibende Boot aus eigener Kraft vermocht hätte. Als Patty in Reichweite war, warf er Finje ein Tau zu, das dieser auffing und nutze, um das Boot erst näher an den Steg zu ziehen und anschließend zu vertäuen. Zwar war der See so ruhig, dass ein Abtreiben des Bootes unwahrscheinlich war, doch sie beide wollten das Risiko nicht eingehen. Insbesondere, da Finjes eigenes Boot kaum größer als eine Nussschale war und gerade so ihn selbst, nicht aber zwei Personen beherbergen konnte.
Kaum war Patty sicher aus seinem Boot geklettert, als sich Finje schon in der festen Umarmung seines Freundes wiederfand. Lachend klopfte Finje auf die breiten Rücken.
„Du tust so, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. Was ist los, hast du Elya endlich die Frage gestellt?“
An dieser Stelle löste sich Patty und trat zurück, das breite Grinsen noch immer auf seinem Gesicht.
„Nein,“ gestand sein Freund. „Sie hat es getan.“
Finje wollte schon mit seinem Tadel beginnen, einer Ansprache, die er seit gut einem Jahr sicher wöchentlich wiederholte. Sie beide konnten es mittlerweile auswendig, denn es war immer dasselbe – wieso er Finjes Schwester nicht endlich zur Frau nahm, wo sie doch seit Jahren umeinander herumtanzten, dass sie beide nicht jünger wären und es viele andere junge Männer in der Stadt gab, die Elya gerne zur Frau hätten und wenn Patty nicht bald die Sache in die Hand nahm, so fürchtete Finje, würde seine Schwester die Hoffnung aufgeben und sich einem anderen zuwenden.
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Nebelmeer
FantasyJahrhunderte ist es her, dass man die geheimnisvollen Fey zu Gesicht bekam. Nun kehren sie zurück in die Welt der Sterblichen, denn sie brauchen die Hilfe eines untalentierten Schmiedelehrlings.