V i e r u n d v i e r z i g

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Die Herbstsonne steht tief und wirft lange Schatten auf den schmalen Kiesweg im Englischen Garten. Ich atme tief ein, die kühle Luft riecht nach Erde und Laub, aber sie schafft es nicht, den Knoten in meinem Magen zu lösen. Meine Schritte knirschen auf dem Kies, als ich eine Parkbank ansteuere, abseits vom Trubel des Sonntagnachmittags.

„Danke, dass du gekommen bist," sage ich leise, als Sebastián neben mir stehen bleibt. Seine Schultern sind leicht nach vorne gebeugt, die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben. Er nickt kurz, keine Spur von seinem üblichen Lächeln.

Ich setze mich, klammere mich an das kühle Holz der Bank. „Sebastián, ich wollte dich nicht warten lassen. Ich dachte..." Mein Blick fällt auf die sich wiegenden Blätter über uns, während ich nach den richtigen Worten suche. „Ich dachte, wir müssen reden."

Er lacht leise, aber es klingt mehr nach einem Seufzen. „Das hört sich nie gut an."

Mein Magen zieht sich noch fester zusammen. Ich wage es nicht, ihn anzusehen. „Es tut mir leid", flüstere ich, bevor er noch mehr sagen kann. „Ich weiß, das ist jetzt... nicht fair von mir."

Er lehnt sich leicht zurück, dabei streift sein Knie meins. Reflexartig ziehe ich mein Bein zurück. Sein Blick wandert zu mir, scharf, prüfend.

Ich zwinge mich, ihn anzusehen, in diese warmen, kastanienbraunen Augen, die heute keine Wärme ausstrahlen. „Ich mag dich wirklich, Sebastián. Mehr, als du wahrscheinlich denkst." Die Worte klingen ausgesprochen noch hohler, noch klischeehafter, als sie es in meinem Kopf getan haben.

Seine Augenbrauen heben sich leicht, und ein schiefes Lächeln huscht über sein Gesicht. „Lena, bitte sag jetzt nicht, dass ich wie ein Bruder für dich bin."

„Nein, das ist es nicht", sage ich schnell. „Es ist nur..." Ich beiße mir auf die Unterlippe, lasse meine Hände in den Schoß sinken. „Ich glaube, das funktioniert nicht."

Sein Gesicht bleibt regungslos, doch ich sehe, wie seine Finger in einem unruhigen Takt auf seinen Oberschenkel trommeln. „Das funktioniert nicht", wiederholt er leise. „Warum nicht?"

Ich öffne den Mund, doch nichts kommt heraus. Wie erkläre ich ihm, dass er nicht das Problem ist? Dass ich es bin? Dass da jemand anderes ist, jemand, der ungewollt und doch unaufhaltsam immer mehr Raum in meinem Kopf und meinem Herzen einnimmt? Ich hasse mich dafür.

„Ich... ich habe das Gefühl, dass ich dir nicht das geben kann, was du verdienst", sage ich schließlich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Es ist die Wahrheit. Zumindest ein Teil davon.

Er lacht kurz auf. „Du kannst mir nicht das geben, was ich verdiene?" Er schüttelt den Kopf und lehnt sich nach vorne, stützt die Ellbogen auf seine Knie. „Wir haben doch nicht mal richtig angefangen, Lena. Letzte Woche hatten wir unser erstes Date. Wir haben uns geküsst, verdammt." Sein Blick trifft meinen, durchdringend und voller Schmerz. „Ja, ich weiß, ich hab's vermasselt, als ich dich bei Steffis Namen genannt habe. Aber wir haben gesagt, wir gehen es langsam an. Und jetzt?" Seine Augen fixieren mich, sind dunkel, unnachgiebig. „Jetzt willst du plötzlich alles hinschmeißen?"

Ich presse die Lippen zusammen, suche nach einer Antwort – nach einer Möglichkeit, das Chaos in meinem Kopf zu erklären, ohne ihn noch mehr zu verletzen.

„Lena." Seine Stimme ist sanft, aber eindringlich. „Sag mir bitte, was wirklich los ist. Ich will's nur verstehen."

Vielleicht sollte ich es ihm sagen. Vielleicht verdient er die Wahrheit. Aber die Wahrheit würde alles noch schlimmer machen. 

„Ich habe einfach gemerkt, dass ich nicht bereit bin für das, was du willst", lüge ich und hasse mich für diese Unehrlichkeit.

„Bullshit", sagt er leise, aber mit Nachdruck. „Es ist wegen ihm, oder?"

Mein Atem stockt, und ich wende den Blick ab.

Er lacht bitter, fährt sich durch seine dunklen Locken. „Es ist also wirklich wegen Elias?" 

„Sebastián, ich..." Mehr bringe ich nicht heraus.

Er steht auf, abrupt, und tritt einen Schritt von der Bank zurück. Für einen Moment sieht er so aus, als wolle er etwas sagen, doch dann schüttelt er den Kopf. „Weißt du, was mich am meisten abfuckt?" Seine Stimme ist rau, brüchig. „Dass ich gedacht habe, du wärst anders. Dass ich gedacht habe, du wüsstest, was du willst."

Ich zucke zusammen. „Das tue ich", sage ich leise. „Deshalb bin ich ehrlich zu dir."

„Ehrlich?" Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Ehrlich wäre gewesen, von Anfang an zu sagen, dass ich nur ein Lückenfüller für dich bin."

„Das bist du nicht", protestiere ich und stehe auf, greife nach seinem Arm. Doch er zieht ihn weg.

„Nein, Lena", erwidert er eisig. „Ich bin nicht wie er. Und ich werde mich nicht mit halben Sachen zufriedengeben. Wenn du dich für ihn entschieden hast, dann sag es. Aber verschwende nicht meine Zeit."

Ich schlucke hart, Tränen brennen hinter meinen Augen. Ich will ihm sagen, dass er falsch liegt, dass ich das niemals wollte, dass ich das alles selbst nicht verstehe. Aber ich weiß, dass das nicht fair wäre.

„Es tut mir leid", flüstere ich. „Ich wollte nie, dass es so endet."

„Das ist der Punkt, Lena", sagt er und tritt einen Schritt zurück. „Das hier hat nicht mal richtig angefangen."

Ich bleibe wie angewurzelt stehen und sehe ihm nach. Die Herbstsonne taucht alles in warmes Licht, aber in mir ist nichts als Kälte.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt