Gedankenverloren suchte ich die wichtigsten Sachen heraus. Ein paar Klamotten, Zahnbürste, ein Handtuch, mein Handy, ein leeres Heft, Stift und das Bild meiner Großeltern, was auf dem Schreibtisch stand. Ich quetschte alles in den Armeerucksack, den ich von meinem Cousin zum Geburtstag geschenkt bekommen habe und ließ meinen Blick ein letztes Mal durch den Raum schwenken. Ich nickte kurz, als würde ich mir selbst bei meiner Entscheidung zustimmen und mich bestärken. Dann öffnete ich die Tür und ging die Treppen nach unten in die Küche. Mum saß am Küchentisch in einem himmelblauen Kleid, was von einer mit Mehl befleckten Schürze beim Kochen vor Fettspritzern geschützt wurde. Sie starrte so abwesend auf ein paar Beutel, die vor ihr auf dem Tisch lagen, dass sie mich erst bemerkte als ich zaghaft ihre Schulter berührte. Sie zuckte zusammen, sprang auf und schaute mich erschrocken an.
"Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. ", murmelte ich leise. Ich sah ihr in die Augen. Sie waren glasig und gerötet. Mum bemerkte meinen sorgenden Blick und wischte sich schnell mit der Hand eine kleine Träne unter dem Auge weg. Sie zeigte mir ein aufmunterndes Lächeln und legte ihre Hände auf meine Schultern. Ihre blonden Haare waren wüst in einem Zopf nach hinten zusammengebunden, ein paar Strähnen hingen vereinzelt raus. Sie war Ende vierzig, wirkte aber dennoch jung und lebensfroh im Gesicht. Heute allerdings wirkte sie müde und alt.
"Ich muss jetzt gehen, Mum.. ", die Worte fielen mir schwer auszusprechen. Sie nickte. Ihre Augen füllten sich mit neuen Tränen und sie zog mich fest an sich. Ich drückte sich ebenfalls an mich und merkte wie Tränen in mir aufstiegen, schluckte sie allerdings schnell runter. Ich atmete noch einmal ihren Duft ein, spürte, wie sie innerlich vor Tränen bebte. Dann ließ sie mich los, schnappte sich die Beutel und drückte sie mir in die Hand. "Da ist Proviant für unterwegs drin. Teil es dir gut ein."
Ich verstaute die Beutel in meinem Rucksack und ging aus der Haustür. Mum folgte mir, blieb aber in der Tür stehen. Ich drehte mich noch einmal zu ihr um.
Sie zog mich zu sich. "Egal, was passieren wird. Egal, was sein wird. Ich bin stolz auf dich und ich hoffe, dass wir uns wieder sehen werden, Nick. Doch vergiss niemals, ich bin in deinem Herzen immer bei dir. Und nun geh. Pass auf dich auf. " Sie ließ mich los und ich nickte ihr zu. Sah, wie sie gegen die Tränen ankämpfte.
Schnellen Schrittes lief ich die Straße entlang. In Richtung einer unvorhersehbaren Zukunft. Ich wollte mein altes Zuhause hinter mir lassen. Ein neues Leben beginnen. Zwar war ich erst 17, aber ich wollte es so.
Vor mir zeichnete sich der Sonnenaufgang am Horizont ab. Ich genoss den Anblick und atmete die kühle Luft ein. Maschierte geradewegs in einen wundervollen Neuanfang.
Das dachte ich zumindest..
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Das Klauenmädchen
Mystery / ThrillerNick, 15 Jahre alt, will ein neues Leben fern der Heimat beginnen. Nach merkwürdigen Begegnungen mit mysteriösen Gestalten findet er sich im sogenannten "Dark Forrest" wieder. Ein schüchternes Mädchen gewinnt sein Herz mit fatalen Folgen...