Wir lebten in einem kleinen Dorf irgendwo am Lande. Zu der Zeit, als sich diese Geschichte zutrug war ich ca. acht Jahre alt.
Ein ganz besonderer Festtag stand vor der Tür und wir mussten Gedichtlein auswendig lernen.
Meine Freundin, nennen wir sie Ricky, war ein trauriges und träumerisches Kind. Warum sie so traurig war, wusste ich damals nicht, heute denke ich anders über sie nach.
Ricky lud mich zu sich nach Hause ein um dieses Gedicht zu lernen.
Irgendwann musste ich aufs Klo. In ihrem Haus musste man dafür einen Flur hinunter gehen, von dem weg es mehrere Türen gab. Von einer Tür wusste ich, dass es die Küchentür war. Diese Tür war zur einen Hälfte aus gerippten Glas, sodass man vielleicht wahrnehmen konnte, wenn sich jemand darin aufhielt, aber man konnte nicht wirklich sehen, wer es war. Ich kam also an dieser Küchentür vorbei und da sah ich etwas, das mir einen furchtbaren Schock verpasste: In der Küche befand sich gegenüber der Tür ein Fenster, durch die die untergehende Sonne Schatten warf. In der Küche selbst bewegte sich jemand hin und her. Für mich war klar, dass sich die Mutter von Ricky hier aufhielt. Aber, es sah so aus, als würde Rickys Mutter in der Küche am Fensterkreuz hängen und ihr Körper würde hin und her pendeln!
Ich lief zurück in Rickys Zimmer, holte meine Sachen und verließ blitzartig das Haus. Zu Hause erzählte ich, Rickys Mutter hätte sich in der Küche erhängt.
Tatsache war aber, dass die Mutter meiner Freundin soeben mit dem Rad an unserem Haus vorbeigefahren ist. Meine Mutter regte sich über meine zu stark ausgeprägte Phantasie auf!
Als dann der bewusste Festtag kam hörten wir im Dorf die Totenglocken läuten.
Rickys Mutter hatte sich vier Tage nach meinem Erlebnis in der Küche am Fenster erhängt.
Irgendwie blieb mir diese "rege Phantasie" erhalten. Denn ich spüre und ahne Dinge, die vorher nicht offensichtlich sind. Und immer sind vier Tage dazwischen!