Kapitel 1

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Sonntag, 13. April
19.23 Uhr

Ich setze die Klinge an und warte auf Erinnerungen, Gedanken, irgendwas, doch es bleibt leer und still. Seufzend lasse ich von meinem Arm ab und rutsche die Tür nach unten. Wieder nichts. Seit 2 Jahren versuche ich mich zu erinnern. Irgendwelche Fetzen aufzuschnappen und wie ein Puzzle zusammen zu setzen. Meine Mutter erzählt viel von gemeinsamen Erlebnissen, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Ich sehe jedesmal den Schmerz in ihren Augen und so sehr ich möchte dass ich mich an die vielen Tiergarten Besuche erinnere, ich sehe nichts als Schwarz.

An alles was in den vergangenen zwei Jahren passiert ist, kann ich mich jedoch klar erinnern. Davor, meint meine Mutter, lag ich im Koma. Warum, dass weiß sie nicht. Ich wollte mit meinen Ärzten sprechen, doch sie verbat mir das. Ich sollte die alte Wunde nicht noch weiter aufreißen und mir womöglich Angst machen.

Ich erzähle meiner Mutter jedesmal, wenn ich irgendwelche Sachen ausprobiere um mich zu erinnern. Sie heißt das nicht gut und dieses mal habe ich in ihren Augen wohl übertrieben. Denn sie meint, dass wir nach Berlin ziehen, damit ich den ganzen Scheiß vergessen kann. Und entgegen meiner Erwartung finde ich die Idee klasse.

Ein Jahr danach

Mittwoch, 15. Juli
17:15 Uhr

"Nach den Ferien begrüßen wir einen neuen Wirtschaftsdozenten, Herr Maier. Nun wünsche ich Ihnen aber erst einmal angenehme Semesterferien und kommen Sie gesund wieder." Seufzend stehen Mel und ich auf und schlängeln uns durch die Massen. Endlich waren Semesterferien. Vor dem Gebäude umarmen wir uns. "Ich werde dich schrecklich vermissen" seufzt Mel. "Ich dich auch, aber mach dir einen schönen Urlaub mit Josh." Josh ist ihr Freund und dieses Jahr fliegen die beiden das erste mal zusammen weg. Dass soll nicht durch Abschiedsschmerz getrübt werden. "Ich wünsche dir auch einen schönen Urlaub mit deiner Mutter. Vielleicht kommt ja mal ein heißer Typ nach Berlin." Wir fangen beide an zu lachen und liegen uns in den Armen, bis Josh ankommt und Mel abholt. Ich schaue dem glücklichen Paar hinterher und als ich sie nicht mehr sehen konnte, gehe ich langsam nachhause. Meine Mutter würde noch nicht da sein und so kann ich uns was leckeres kochen. Seit meinem Erwachen aus dem Koma, haben wir es nicht leicht. Nicht, dass ich mich an die Zeit davor erinnern könnte. Meine Mutter versucht mich wie ein Musterkind zu erziehen und es stört mich, dass ich mich nicht erinnern kann, wie ich früher war. Ich muss die Erziehungsmethoden meiner Mutter übernehmen, da ich keine eigene Persönlichkeit habe. Trotz allem, liebe ich sie. Und so stelle ich mich in die Küche und mache für uns Chilli con Care, weil ich weiß, dass sie es liebt mich kochen zu sehen.

Hier in der kleinen Randstadt von Berlin, weiß so ziemlich jeder, dass mein Leben bis auf die letzen zwei Jahre ein schwarzes Loch für mich ist. Meine Mutter meinte, es würde mir nur schwerer fallen, wenn ich vortäuschen müsste normal zu sein. Allerdings zieht diese Aussage schiefe Blicke und viele Spekulationen mit sich. >Die hat sich ins Koma gesoffen< >Die hat sich zugekifft< und weitere Vermutungen wurden über mich angestellt und so war ich nicht gerade beliebt. Mel ist meine einzige richtige Freundin. Auch die Typen halten sich von mir fern, sodass ich mit meinen 19 Jahren noch keine Erfahrungen machen konnte. Zudem meint meine Mutter mich vor Männern zu beschützen, was mir ziemlich kindisch vorkommt.

Meine Gedanken werden durch das fröhliche 'Hallo' meiner Mutter unterbrochen. Ich lächele sie an und decke den Tisch. "Wie war dein Tag?" frage ich sie, während sie sich setzt. "Gut, konnte einigen Mandanten helfen.". Meine Mum arbeitet als Anwältin und ich bewundere ihre Hingabe, Menschen zu helfen, die nicht alle unschuldig sind. Ich frage mich wie sie das mit ihrem Gewissen vereinbaren kann. "Hallo, Erde an Rory?" "Oh, entschuldige. Was hast du gesagt?" "Ich wollte wissen, wann du morgen in dem Hotel anfängst." Über die Semesterferien habe ich mich für einen Ferienjob in einem Hotel beworben, um unser knappes Geld ein wenig aufzustocken. "Um 6 Uhr." Ich seufze und räume ab. Mehr haben wir uns zur Zeit nicht zu sagen, deshalb gehe ich auf mein Zimmer und setze mich an den Laptop. Für das nächste Semester muss ich in Pädagogik eine Hausarbeit über die Psyche der Mädchen, nach einer Vergewaltigung schreiben. Bei dem Thema wird mir immer flau im Magen und ich wünschte ich könnte die Psyche einer Magersüchtigen analysieren, das Thema was Mel gezogen hat. Allerdings bringt es nichts das Thema aufzuschieben und so recherchiere ich.

Ich fühle Panik in mir aufsteigen. Langsam und kalt kriecht sie meinen Nacken hoch und saugt sich an meinem Hals fest. Es fühlt sich feucht und warm an, als würde eine Zunge über meinen Hals lecken. Gänsehaut überkommt mich. Ich will das Gefühl abschütteln, welches sich um meine Taille schlingt und mich zu erdrücken scheint. Ich vernehme Stimmen, ein Murmeln, bis ich laut aufschreie und mich aus der Trance befreie.

Hastig und mit Schweiß auf der Stirn klappe ich den Laptop zu. Ich habe zu viel recherchiert. Ungelenk stehe ich auf und gehe ins Bad. Unter der Dusche atme ich heftig aus und stelle mich unter den kalten Strahl. Meine Knochen entspannen sich und auch ich werde wieder ruhiger. Nach dem Duschen föhne ich meine Haare, creme mich ein und wünsche meiner Mutter eine Gute Nacht.







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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 31, 2015 ⏰

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