Prolog / 1. Kapitel

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„Schaut euch mal den an!", hörte man Daniel durch den ganzen Klassenraum schreien. Ich verdrehte bloß meine Augen, während ich auf eine meiner drei besten Freundinnen wartete, die gleichzeitig auch meine Sitznachbarin war.
„Was für 'ne Schwuchtel", verspottete sein bester Freund den an ihnen vorbeilaufenden Jungen. Neil war sein Name, doch soweit ich wusste war er nicht mal homosexuell. Nur weil er sich besser kleidete als sie selbst, mussten sie ihn doch nicht gleich so nennen. Nie hatte ich verstanden, wieso meine Klasse so gegen Homosexuelle war, denn ich verstand es einfach nicht. Vielleicht lag das auch daran, dass es einfach keinen Grund gab.
„Tessa?", holte Emily, meine bereits vorhin genannte Sitznachbarin, mich aus meinen Gedanken. Sie ihre Sachen bereits ausgepackt, also tat ich es ihr gleich.
„Du hast Glück, dass Herr Schwarz noch nicht da ist", meinte ich, wo sie mir nur zustimmen konnte. Als die Stunde begann, unterbrachen wir unser Gespräch, um dem Unterricht folgen zu können.
„Ja, Amelia", rief der Lehrer das Mädchen auf, das immer hinten saß. Zumindest sah ich sie nie vorne und auch so fast nie. Da sie stumm blieb, drehte ich mich um und wendete mich ihr zu. Wie klischeehaft das auch klingen mag, ihre Augen trafen auf meine und ich konnte meinen Blick einfach nicht von ihr lösen. Trotz der Entfernung stachen ihre strahlend blaue Augen aus der Menge heraus und erst dann wurde mir bewusst, wie hübsch sie eigentlich war.
Durch einen Stups wurde ich ein weiteres Mal aus meinen Gedanken geholt, schaute kurz Emily an, die mich auf eine seltsame Art musterte und wandte meinen Blick letztendlich auch von ihr ab. Ich wollte doch nur wissen, was sie dachte. Allerdings verflog mir dieser Gedanke ziemlich schnell und ich widmete mich wieder dem Unterricht. Na ja, was heißt hier, sich dem Unterricht widmen? Zumindest versuchte ich es.
Und obwohl ich den restlichen Tag versuchte, nicht an das Mädchen mit den wunderschönen blauen Augen zu denken, gelang es mir nicht. Trotzdem versuchte ich es zu ignorieren. Wieso dachte ich überhaupt an sie? Alles, was ich über sie wusste, war, dass sie offen bisexuell war, generell von allen Klassenkameraden abgelehnt wurde und auch so in der Schule keine Freunde hatte. Mir wurde gesagt, sie sei eine Einzelgängerin. Ich selbst war erst seit einem Jahr an der Schule, hatte aber zum Glück Anschluss gefunden.
Während ich entspannt zur Bahnstation ging, ertönte Musik aus meinen Kopfhörern, zu der ich in meinem Kopf die Lyrics mitsang. Ich musste nur aufpassen, nicht laut mitzusingen, das wäre nämlich extrem peinlich. Da mir Wind entgegen wehte und es begann, kalt zu werden, war ich umso erleichterter, als ich die Treppen zu meiner Bahnstation hochlief. Niemand aus meiner Klasse, mit denen ich gerne fahren würde, befand sich je auf meinem Steg, deshalb sah ich mich sonst auch nie um, doch an diesem Tag war alles anders. Ich nahm die Luft kälter als normalerweise wahr und nur jetzt fiel mir auf, dass schon haufenweise gelb gefärbte Blätter am Boden lagen. Das musste doch schon eine Weile her sein, oder nicht? Ich schloss meine Augen und entspannte mich. Jedoch weckte mich ein quietschendes Geräusch aus meinem Tagtraum. Mit einem Ruck packte ich meine Tasche, die ich vorher auf dem Boden abgestellt hatte und lies die Leute, die aus der Bahn ausstiegen raus. Als ich sie selbst betrat, weiteten sich meine Augen, denn etwas war tatsächlich anders. Das Mädchen, an das ich nicht aufhören konnte zu denken, war auch da. Ohne zu überlegen, setzte ich mich wie aus einem Reflex neben sie.
„Hi", brachte ich grinsend hervor, immerhin hatte sie meine Aktion wohl überrascht.
„Äh h-hal-lo", stotterte sie leicht. Ihr braunes Haar leuchtete goldfarben in der Sonne, die mittlerweile durch's Glas schien.
„Amelia, richtig?", fragte ich nach, obwohl ich genau wusste, wie sie heißt, doch irgendwie fand ich es ganz süß, wie sie eingeschüchtert von mir war. Eigentlich hatte ich nicht so einen Effekt auf Leute. Mir wurde schnell klar, dass nach ihrem Nicken kein weiteres Wort ohne Nachhilfe mehr kommen würde, also musste ich mich wohl überwinden, wenn ich mich mit ihr anfreunden wollte. Denn genau das wollte ich, oder? Aber in ihrer Nähe fiel mir das gar nicht schwer. So lernten wir einander etwas besser kennen, das hielt allerdings nicht lange an, da meine Station aufgerufen wurde. Lächelnd musste ich feststellen, dass wir an der gleichen Station aussteigen mussten.
„Wieso bist du eigentlich heute mit der Bahn gefahren?", fragte ich Amelia, und insgeheim hoffte ich, dass es nicht das letzte Mal war.
„Ich fahr' eigentlich schon seit Beginn dieses Schuljahres damit, ist dir das noch gar nicht aufgefallen?"
„Oh... Nein, ist es nicht. Aber wenn du willst, können wir ab jetzt immer zusammen fahren?", schlug ich vor, was sich aber mehr nach einer Frage anhörte.
„Klar, gerne", erwiderte sie ebenfalls mit einem Lächeln.
Ich musste jedoch feststellen, dass unsere Wege sich schon trennten. Kurz dachte ich darüber nach, wie ich mich verabschieden sollte und eigentlich gab es auch nur wenige Optionen.
„Ich muss da lang", erklärte ich ihr und zog sie in eine Umarmung. Um ihren Duft besser wahrzunehmen, schloss ich kurz meine Augen, während ich sie nicht losließ, da ich keine kurzen Umarmungen mochte. Zumindest redete ich mir das ein.
Als ich mich schon ein paar Meter entfernt hatte, hörte ich sie rufen: „Wird morgen wieder alles so sein wie sonst?"
Ich rief ein schlichtes Nein zurück und wiederholte es noch einige Male für mich selbst. Nein, denn das wollte ich gar nicht.

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A/N Ich wollte schon lange eine girlxgirl-Story schreiben, und es bedeutet mir auch sehr viel, hoffentlich mögt ihr es!

It can be different || girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt