26. Ich bin eine Meerjungfrau, du Blödmann!

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*HUNTERS SICHT*

Ich sah Kate noch hinterher wie sie hastig aus der Kirche stapfte. Die Kleine hatte ohne Frage eine riesen großes Mundwerk. Und dieser Sturrkopf. Das war ja nicht auszuhalten, wie sie mich immer an  zickte. Manchmal bereitete mir das wirklich Kopfschmerzen. Wie konnte man nur so verklemmt sein? Das setzte meinen Plänen immer mehr Steine in den Weg, die ich absolut nicht gebrauchen konnte. 

Schwer stieß ich einen Atemzug aus. Frauen waren kompliziert. 

Da fiel mein Blick wieder auf das Gemälde, was ich eigentlich nur als Vorwand benutzt hatte, um ein halbwegs normales Gespräch mit ihr aufbauen zu können. Ich dachte so erfahre ich ein bisschen mehr über sie, was mir nützlich sein könnte. Mit diesen ganzen Gedanken, die sie dann tatsächlich aussprach, hätte ich nie im Leben gerechnet. Und das auch noch ohne mich anzufauchen. Anscheinend hegte sie eine außerordentliche Leidenschaft für solche künstlerischen Dinge. 

Ich legte meinen Kopf schief und betrachtete den Engel und den, wie sie gesagt hatte, Nebel. Irgendwie stand es schon für Gefangenschaft, so wie Kate gesagt hatte. Ich konnte das gut nachvollziehen, komischerweise. 

Doch ich sah da noch etwas anderes. Etwas trauriges, grausames. Ein Engel war doch normalerweise etwas heiliges, freies und schönes. Natürlich hatte der Engel auch hier seine Schönheit nicht verloren, doch sie war nicht typisch. Es war eine dunkle Schönheit, die zerfressen wirkte. Es wirkte fast so als würde der Nebel den Engel grausam und brutal von Innen zerstören. Immer auf den größten Schaden bedacht. Als würde er den Engel langsam aber sicher schwarz färben. Bis nichts mehr von dem, einst weißen, Kleid übrig bleibt. 

Unwillkürlich bildete sich ein unangenehm enges Gefühl in meinem Hals. Dieses Gefühl kam immer genau dann, wenn ich an diesen einen bestimmten und zerstörenden Moment dachte. Jedes Mal, wenn mir diese Bilder in den Kopf schossen spürte ich alle Gewichte, die sich auch damals auf meine Lunge gelegt hatten, erneut beschwerlich im Brustkorb liegen. Es war mit Abstand der schlimmste Moment meines Lebens, den ich wohl nie vergessen werde. Ein Moment, der mich für alle Ewigkeiten gezeichnet hatte. Bei dem Gemälde kam alles in meine Erinnerung geschwirrt. Ein grauenvoller Schmerz, begleitet von quälenden Bildern zogen mein Herz zusammen. Seit dem damaligen Moment war ich wie der Engel auf dem Bild. Auf der Flucht vor den Erinnerungen, die mich langsam einholten und begannen zu zerstören. Das eigentlich grausige an dem Ganzen ist: Die Flucht davor führte immer weiter auf eine Schlucht zu, die mich ebenfalls in die Tiefe reißen wird. Es gab also kein Entkommen, egal wie tief ich mich duckte, wie weit ich mich in eine Höhle verkroch. Am Ende holten mich die Bilder sowieso wieder ein. Ich schluckte ein Mal schwer. 

War es nicht schwach von mir, dass ich bloß dieses eine Bild in der Kirche anschauen musste und sofort in den damaligen Moment zurückversetzt wurde?

War es nicht schwach, dass ich bei den Gedanken daran immer noch das Gefühl verspürte jeden Moment erdrückt zu werden? 

Ja, war schwach

Ich konnte zwar nicht Ewigkeiten fliehen. Aber ich konnte auf dem Weg zur Schlucht solange wie möglich ausschweifende Zick- Zack- Linien laufen. Ich konnte den Weg eine gewisse Zeit ausdehnen. Solange ich es schaffte mich anderweitig abzulenken und die Bilder in meinem Kopf erfolgreich zu verdrängen, war das der Weg den ich weiter verfolgen würde. 

Ausweichen vor meinen Gedanken: Das Spielchen beherrschte ich inzwischen im Schlaf, da ich den Hindernislauf bestimmt schon fünfzigtausend Mal gegangen war. Irgendwann wird es normal die Hürden zu umgehen anstatt drüber zu springen. 

Mit einem beschwerlichen Gefühl wendete ich meine Augen von der Wand ab. Noch länger konnte ich mir das nicht anschauen. Zu viele Gedanken steckten in dem Gemälde. 

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