Montag

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Das Bremer- Städte- Gymnasium ist ein altes, weiß gestrichenes Gebäude mit kleinen Fenstern und einem großen Schriftzug über dem Haupteingang. Der Schulhof ist klein, mit jeweils zweier Sitzgruppen in den Ecken und einem kleinen Brunnen in der Mitte. Umzäunt wird das Ganze von einer etwa drei Meter hohen Mauer, die stark an ein Gefängnis erinnert, wäre da nicht der fehlende Stacheldraht. ,,Ich habe dich gewarnt", kommentiert Michael die Umgebung und lässt seinen Blick verächtlich herumschweifen. ,,Eine Eliteschule ist eine komplett andere Welt. Viel moderner und freundlicher, nicht so... einfach und unhygienisch." Missbilligend schielt er auf einen zerkratzte Mülleimer, um den etliche Fliegen schwirren. ,,Das ist hundert Mal besser, als eine deiner heißgeliebten Eliteschulen", wiederspreche ich ihm spiz, obwohl mir meine neue Schule alles andere als sympatisch rüber kommt. Michael grunzt etwas Undeutliches und zieht unbeachtet von dem Rauchen- verboten- Schild eine Zigarette aus seinem Jackett. Eine Gruppe von Mädchen, etwas jünger als ich, mit kiloweiße Makeup auf dem Gesicht stolziert an mir vorbei, nicht ohne neugierig zu mir herüber zu gaffen und leise miteinander zu tuscheln. Ein paar kichern albern. Ich verdrehe die Augen. Mein Gott sind die kindisch! In diesem Punkt ist eine Eliteschule tatsächlich besser, auch wenn ich das in Michaels Gegenwart nie zugeben würde. ,,Hast du eigentlich keinen Klienten?", frage ich in seine Richtung und werfe ihm einen vielsagenden Blick zu. Was macht er denn noch hier? Nach sechs Umzügen, innerhalb von sieben Jahren bin ich es mittlerweile gewöhnt in neue Schulen zu kommen. Außerdem bin ich kein Kind mehr. Ich schaffe das alleine. ,,Doch, aber ich wollte meinen Sohn unbedingt zu seiner neuen... Schule bringen und habe ihn deswegen verschoben." ,,Soll ich dir jetzt dankbar sein?" Ich hebe spöttisch die Augenbrauen. Wenn ich eines von Helena gelernt habe, dann diesen Gesichtsausdruck. ,,Ein einfaches Danke wäre in der Tat angebracht", nickt er und zieht an seiner Zigarette. Seine braunen Augen sehen mich auffordernd an. ,,Ich habe dich nicht darum gebeten", sage ich nur und drehe mich ohne ein weiteres Wort zu sagen um. Der von allen hochgeschätzte Herr Wagner bleibt alleine unter dem Eingangabogen zurück. Er wird wütend sein und ich werde nach der Schule einen ewiglangen Vortrag über Höflichkeiten von Helena über mich ergehen lassen müssen, aber das ist mir momentan egal. Ich spiele einen Moment mit dem Gedanken einer der Lehrerpersonen, die oben auf der Treppe stehen und Kaffee trinken, die Handtasche zu klauen und mit dem dort vorhandenem Geld abzuhauen- verwerfe ihn allerdings rasch wieder. Der Durchschnitt aller Deutschen hat etwa fünfundzwanzig Euro sechsundneunzig in seinem Portmonee. Damit würde ich nicht einmal vier Tage durchkommen. Außerdem gönne ich meinen Adoptiveltern den Augenblick, in dem ich mit eingezogenem Schwanz bei der großen Villa angekrochen komme nicht. Dieses verdammte Jahr am Bremer- Städte- Gymnasium werde ich auch noch überstehen und dann gleich nach dem Abitur mit dem Geld, dass ich bekommen werde, in die USA oder nach Kanada auswandern. Je weiter weg, desto besser.
Ein gleichgroßer Junge mit weiter Hose und einem schwarzen Pulli rammt mich von der Seite an und reißt mich somit aus meinen Gedanken. Die Bilder von der amerikanischen Landschaft und den Hochhäuserstadten verschwinden, stattdessen sehe ich ein pickeliges Gesicht mit eisblauen Augen. ,,Hey Junge, hast du keine Augen im Kopf?!", fährt er mich gereizt an. Da ich weder auf eine Auseinandersetzung noch eine Schlägerei am ersten Schultsg Lust und Laune habe, lächele ich ihn nur spöttisch an und wende mich ab. Ein paar drehen sich zu mir um und mustern mich eingehend. Darunter auch eine der Frauen, die auf dem Treppenplato stehen. Sie winkt mich zu sich. ,,Guten Morgen!", ruft sie mir mit rauer Stimme entgegen. ,,Morgen", erwidere ich gezwungen. ,,Du musst Lukas Wagner sein. Der Sohn des Anwalts. Unser Neuer Schüler." Sie hält mir ihre rissige Hand entgegen. ,,Ich bin Susanne Kaufmann. Die Sekretärin des Direktors." Der Sohn des Anwalts, wiederhole ich in Gedanken. Ja, der bin ich. Leider. Mit einem schmalen Lächeln erwidere ich den Gruß und trete ein wenig auf die Seite. Die Masse von Schülern strömt an mir vorbei. ,,Deine Eltern haben mir..." ,,Meine Adoptiveltern", unterbreche ich Frau Kaufmann bestimmt. Sie sieht mich einen Augenblick irritiert an, dann lächelt sie verständnisvoll. ,,Entschuldig; deine Adoptiveltern haben uns bereits Bescheid gegeben und die Formalitäten erledigt..." Das Klingeln unterbricht ihren Satz. Sie stoppt kurz, dann legt sie mir ihre Hand auf den Oberarm und zieht mich in Richtung Haupteingang. ,,Du bist in der 12d Klasse", informiert sie mich. Informationen, die Überflüssig sind. Helena hat mir beim Früstück bereits alles mitgeteilt. Ich bin in der 12d und mein Klassenvorstand ist ein gewisser Martin Müller. Außerdem müsste einer meiner Neuen Mitschüler Nickolas Burtscher, der Sohn eines Arbeitskollegen von Michael sein. Wortlos höre ich ihrem Geplapper zu. Sie erzählt irgendetwas von verschiedenen Wahlfächern, dem Mittagsessen und der Abschlussfahrt, die dieses Jahr nach London gehen würde. London. Auch ein Ort in dem ich bereits für eineinhalb Jahre gelebt habe. Dementsprechend bin ich in Englisch, dem Fach das ich jetzt bei meinem Klassenvorstand persönlich haben werde, sehr gut. ,,So, hier sind wir auch schon." Frau Kaufmann deutet auf eine Türe am Ende des Gangs und reicht mir zum Abschied noch einmal die Hand. ,,Wenn du irgendwelche Fragen oder Probleme hast, kannst du mich jederzeit im Sekreteriat melden. Außerdem haben wir eine Vertrauenslehrerin, die jede Mittagspause unten..." Die Türe meiner Neuen Klasse wird geöffnet und ein schwarzhaariges Mädchen mit grün-braunen Augen stürmt aus dem Klassenzimmer direkt auf uns zu. Ihre blassen Wangen sind gerötet und sie hat Tränen in den Augen. ,,Celin?", ruft Frau Kaufmann neben mit und eilt dem Mädchen hinterher. ,,Celin warte! Was ist denn los?" Ich sehe den beiden hinterher bis sie um die Ecke des langen Ganges gebogen sind. Da Frau Kaufmann jetzt weg ist, muss ich mich wohl alleine vorstellen, was mir eigentlich ganz recht ist. Langsam schreite ich auf die offene Türe zu. ,,...so geht es nicht weiter", vernehme ich eine aufgebrachte Stimme. Allerdings nicht die eines Mannes, sondern die einer Frau. Ich räuspere mich mehrmals und klopfe, wie es sich gehört an. Alle Köpfe drehen sich zu mir um. Es sind nicht viele Schüler, vielleicht zwanzig. In meiner alten Klasse waren wir beinahe doppelt so viele. ,,Ja bitte?" Jetzt schenkt mir auch die Lehrerin vorne am Pult ihre Aufmerksamkeit. ,,Ich bin Lukas Wagner. Der Neue Schüler", stelle ich mich vor und hebe kurz dir Hand. Einen Augenblick spiegelt sich ein großes Fragezeichen in den Augen der Frau wieder, dann aber lächelt sie bemüht und nickt. ,,Ja natürlich. Herr Müller hat mir von Ihnen erzählt. Herzlich willkommen im Bremer- Städte- Gymnasium. Ich bin Frau Faber, Sie werden mich in Deutsch und Sport haben." Dass die Frau, deren biologische Uhr sicher schon die 55 überschritten hat Sport unterrichtet verwundert mich. ,,Angenehm." Ich deute kopfnickend auf einen freien Platz vorne in der ersten Reihe. ,,Darf ich mich setzen?" Wenn etwas in allen Schulen gleich ist, dann, dass die erste Reihe von den meisten gemieden wird. Aber bis auf den Platz waren alle, bis auf den von dieser Celia besetzt. ,,Ja natürlich." Sie schenkt mir ein kurzes Lächeln, dann wendet sie sich wieder an die ganze Klasse.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 18, 2015 ⏰

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