Kapitel 1

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Kann es etwas schlimmes geben, als einen Umzug in ein kleines, langweiliges Dorf? Und das auch noch in der Hälfte des zweiten Semesters!
Okay, ich verstehe. Meine Mutter hat einen Karrieresprung bekommen und eine Arbeit im lokalen Institut für medizinische Forschung, also mussten wir umziehen. Aber wieso ausgerechnet jetzt?! Konnten meine Eltern nicht einpaar Monate warten, bis ich das Schuljahr beendet habe? Wäre das wirklich so schwer gewesen?
Nagut, vielleicht sollte ich mich nicht einmischen. Unter bestimmten Bedingungen ist es hier besser. In New York wohnten wir in einem Apartment in einem Hochhaus und jetzt haben wir ein ganzes Haus für uns alleine, sogar mit einem Garten. Mein Hund Pullover quälte sich dort sehr. Er hatte keinen Platz zum Laufen und hier kann er den ganzen Tag draußen verbringen. Und man muss ihn nicht mehr ausführen, das ist ein großes Plus.
Ich fühle mich jedoch nicht ganz wohl hier. Ich habe meine Freunde und mein ganzes bisheriges Leben in New York gelassen. Vielleicht war es ja nicht besonders, aber es war meins. Um ehrlich zu sein, ich vermisse es. Und außerdem war allein die Stadt cool. Nagut, nach Anbruch der Nacht könnte dich jemand überfallen und bestehlen, der Himmel war grau vor Verschmutzung, die Leute unhöflich und der ständige Lärm verursachte, dass man immer tauber wurde, aber das war einfach mein Zuhause. Und jetzt? Jetzt soll mein Zuhause irgendein dummes Wolftown sein, das ich zum ersten mal einpaar Tage zuvor gesehen habe und das mir überhaupt nicht gefiel.
Das Gebäude unseres neuen Zuhauses ist wahrscheinlich Antik (Wer will schon in einem Denkmal wohnen?!), ganz aus Holz, mit einem Dach bedeckt mit alten, von der Sonne verblichenen Ziegeln. Es sieht nicht mal schlecht aus, vorne gibt es eine Veranda mit einer Schaukel. Eine eigene Schaukel! Ich weiß, das ist kindisch, aber ich freue mich wirklich. Bis jetzt hat glaube ich sie mir am meisten Freude bereitet.
Ich kann es aber nicht ausstehen, dass in der Nacht in diesem Haus alles knarrt und knirscht. Es ist so, als ob sich jemand fremdes im Haus befindet. In der ersten Nacht, bin in immer wieder aufgewacht und habe aus meinem Zimmer geguckt, ob nicht jemand ins Haus einbricht.
In der Nähe unseres Grundstückes, gleich hinterm Zaun, liegt ein großer, dunkler, trostloser Wald. Nichts kann diesen Blick morgens ersetzen. Gute Laune für den ganzen Tag garantiert...
Wir wohnen am Ende der Welt, eigentlich außerhalb der Stadt. Hm...Stadt? Im Gegensatz zu New York sieht Wolftown aus, wie ein eingehendes Loch: ein Kino, ein Einkaufszentrum und eine Schule...
Ja und die Stille. Hier ist es überall so leise. Die Hälfte der ersten Nacht habe ich nicht geschlafen, weil man außer des Knarrens hier nichts hören konnte, und die andere Hälfte der Nacht quälte mich ein schrecklicher Albtraum - einer der schlimmsten Albträume die ich jemals hatte. Das ist bestimmt wegen des Hauses und dem Wald gleich vor der Tür.
Mein Zimmer gefiel mir allerdings sehr gut. Es befindet sich weit weg von den übrigen auf diesem Stockwerk und die Fenster befinden sich auf der Seite mit dem Garten. Es ist groß und hat einen eigenen Balkon mit einer Pergole die bis zur Erde reicht. Wenn ich wütend wäre, könnte ich mich an ihr nach draußen schleichen. Ich weiß das, weil ich es schon ausprobiert habe - sie eignet sich sehr gut dafür. Ich habe mich nur einbisschen an den Stacheln der Rosen gekratzt.
Gleich am nächsten Tag nach dem Umzug habe ich angefangen die Kartons mit meinen Sachen auszupacken. Ein Möbelstück hat mich gleich in den Bann gezogen - das Bett. Es ist gigantisch, mit kleinen Säulen und einem Moskitonetz. Endlich werden die Mücken mir das Leben nicht mehr so schwer machen, und ich denke, hier gibt es viele. Um den Wald ist es ja feucht. Ich kann um alles wetten, das hier Mücken sind und sie warten nur darauf, dass ich in der Nacht mein Bein unter der Decke herausstrecke.
Meine gesamte CD Sammlung habe ich neben die Fensternische gleich neben dem Balkon gelegt. Das ist ein traumhafter Platz zum Sitzen und Musik hören. Ich habe mir schon vorgestellt, wie ich dort auf Kissen liege und The Colling mit einem glücklichen Gesichtsausdruck höre.
Ich konnte es nicht abwarten bis ich alles ausgeräumt habe und ich mich einbisschen bei Musik entspanne. Manchmal nerve ich damit meine Familie, aber was soll's - ich liebe Musik. Und außerdem kann jeder zugeben, dass die Familie nerven eine schöne Beschäftigung ist.
Während ich an der Magnettafel meine Bilder angeheftet habe, habe ich meine Mutter rufen gehört:
- Margo, Mittagessen!
Ich hatte keinen Hunger, ich wollte lieber meine Sachen zuende auspacken. Wenn ich hier schon Leben muss, dann wenigstens in meiner vertrauten Umgebung mit meinem Kram. Ich hatte aber keine andere Wahl, ich ging nach unten.
Meine Eltern wussten genau, dass ich nicht umziehen wollte. Sie haben sich bemüht, mir es etwas leichter zu machen. Wirklich - schon dafür, dass ich das größte Zimmer bekommen habe, das sogar ein eigenes Badezimmer hat, sollten sie eine Goldmedaille bekommen.
Wenn nur das eigene Badezimmer meine Freunde vertreten würde.
Meine Mutter hat sich an das Aufräumen des Esszimmers gemacht: in die Mitte stellte sie einen langen Tisch mit einem Leinentuch, in einer Vase stellte sie Blumen zusammen, auf den Fußboden legte sie einen weichen persischen Teppich, und die Pastelgrüne Wand beschmückte sie mit idyllischen Aquarellen. Hm, für meinen Geschmack war es etwas zu süß. In unserer alten Wohnung hatten wir gar kein Esszimmer und wir aßen immer in der Küche. Im Gegensatz zu hier: leben nicht sterben. Riesen Haus, alles passt rein, und Pullover wird verrückt vor Freude, denn er kann den ganzen Tag draußen verbringen. Ich wünschte ich könnte mich genauso freuen wie er...
Die Treppe runter gehend, schaute ich amüsierend auf die in Rahmen hängenden, Volks-Ausschnitte auf weißem Hintergrund. Angeblich original, aus einer Schere für Schafe scheren geschnitten. Geradewegs aus Polen. Das war die Idee meiner Oma von der Seite meines Vaters. Sie bestand darauf, dass in unserem neuen Haus ein bisschen der Geist des Landes, wo ihr Sohn herkam, sein sollte. Ich habe darin keine weiteren Nutzen gesehen, aber wer wird sich schon mit Oma streiten. Meine Mutter hatte aufjedenfall nicht die Absicht. Es verbindete sie die typische Beziehung einer Schwiegermutter und Schwiegertochter, die begann, weil die Schwiegertochter ihren geliebten Sohn aus dem Land exportiert hatte. Und obendrein hatte sie sogar vor ihn über den Ozean zu verschleppen. Ganz einfach dreist.
Unten an der Treppe wäre ich fast wegen eines laufenden Hundes runtergefallen. Beschleunigte 30 Kilogramm ist nicht irgendwas. Ich bin ihm aus dem Weg gesprungen. Ich glaube, er ist in den Garten gelaufen. Mein Vater hat in der Küchentür eine extra Klappe angebracht, damit Pullover selbstständig rein und raus gehen kann. Meine Mutter war anfangs nicht einverstanden damit - schließlich können Einbrecher und wilde Tiere auch dadurch rein kommen. Ich kann mir schon vorstellen, wie Waschbären durch die Klappe rein kommen und in unserem Haushaltsmüll graben. Aber ich glaube daran, dass mein mutiger Hund ungebetene Gäste verscheuchen kann. Und auch wenn nicht...was soll's, ich werde nicht sauer sein, wenn die Waschbären den Müll fressen und ich ihn dann nicht mehr rausbringen muss.
- Was gibt's heute leckeres? - frage ich, mich an den Tisch setzend.
- Gegrilltes Huhn, Kartoffeln und Salat - antwortet meine Mutter lächelnd.
- Schon wieder Huhn? - seufze ich. - Ich kann ihn nicht ab.
Das ist wahrscheinlich das einzige Fleisch, das ich nicht mag. Wirklich...
Meine Oma, die sich gegenüber meiner Mutter setzt, schickt mir einen missbilligenden Blick zu. Schade, dass sie mich nicht ernährt. Ich könnte bis an mein Lebensende ihre selbst gemachten Teigtaschen oder ihre Kartoffelpuffer zu Mittag essen.
- Solange wir keine Einkäufe gemacht haben, müssen wir das essen, was wir haben - sagt mein Vater roh und setzt sich an den Tisch.
Er hat sich vor meiner Oma bewiesen. Normalerweise hätte er mit den Schultern gezuckt und hätte gesagt, dass wenn ich nicht essen will, ich hungern soll. Jedoch passiert das nicht, wenn meine Oma da ist. Wenn meine Oma da ist, muss man alles essen.
Was soll's, ich hab schon eine gute Vorgehensweise für das Huhn. Das heißt - haben wir, ich und Pullover. Mein geliebter Hund sitzt unterm Tisch und ich werfe ihm leise Essen zu. Leider funktioniert der Plan dieses Mal nicht, da Pullover irgendwo raus gerannt ist. Er ist bestimmt irgendwo im hinteren Garten, weil er alleine nicht in den Wald kann. Unser Grundstück ist umgeben von einem hohen Zaun. Pullover kommt nicht rüber, aber hoffentlich auch kein Einbrecher.
Na ja, wahrscheinlich gibt es in Wolftown nicht mal Einbrecher.
Was für ein Loch!

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 24, 2017 ⏰

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