Kleider machen Leute |Neue Fassung|

150 4 1
                                    

Es war ein kalter Novembertag, als ein armer Mann, Mitte/Ende 30, durch Stuttgart schlurfte. Er hatte weder Geld, noch eine Wohnung und lebte von Obdachlosenhilfen. Eigentlich hatte er einmal bei Schlecker gearbeitet, war sogar Filialenchef geworden, doch dann ging Schlecker pleite, und der Mann wusste nicht mehr weiter. Schon bald verlor er seine Wohnung und war Obdachlos. Doch er wollte trotzdem immer hübsch aussehen und ließ sich einen Schein machen, mit dem er Kleidung und Nahrung bei Hilfsstellen um sonst bekam. So sah er immer tadellos aus, in seinem weißen Anzug mit Fliege am Hals und Sonnenbrille in der Brusttasche des schwarzen Hemdes. Natürlich sah er zu reich aus, um betteln zu können (seine weiße Hose wäre bestimmt auch dreckig geworden, wenn er sich auf die Straße gesetzt hätte), und so machte er sich eines Tages auf den Weg in die nächste Stadt. Er lief über den kleinen Weg am Rand der Autobahn. Plötzlich kam eine Limousine vorbei. Sie glänzte weiß und sah sehr teuer aus. Der Fahrer hielt etwas weiter vorne am Autobahnrand. Als der Obdachlose an ihm vorbei kam, öffnete der Fahrer das Fenster und rief ihm zu: „Ey, Bruda! Meine App", er hielt ein iPhone 6 in die Höhe, „zeigt Regen! Steig ein!" Der Obdachlose stieg also in die Limousine ein. Der Fahrer aber hatte den Auftrag, zu dem teuersten Nobelrestaurant in Stuttgart zu fahren. Also bog er bald darauf links ab und fuhr mit dem armen Mann zu diesem Restaurant, das den Namen Waage trug. Da wir in einem schnellen Zeitalter leben hatten auch schon unzählige Anwohner und Reporter von der Presse von dem angeblich reichen Mann in der teuren Limousine gehört, und versammelten sich vor dem Nobelrestaurant Waage. Der reiche und berühmte Koch Giovanni Nigleo staunte nicht schlecht, als der Obdachlose in die Waage kam, obwohl ihn eher die Leute hineindrängten. Zwei Securitymänner hielten die Türen vor den Menschenmassen zu und der Koch führte den vermeintlich reichen und wichtigen Gast zu einem Tisch. Erst begriff der arme Mann nicht, was passierte, doch als man ihm die schicke weiße Jacke abnahm, realisierte er, dass er aufgrund seines Aussehens für einen Millionär, wenn nicht sogar Milliardär gehalten wurde! Nigleo hatte schon den Befehl zum Anrichten gegeben, doch seine Köchin widersprach. „Heute Abend kommen doch die drei Bundesminister zu einem Gespräch." „Das ist egal. Wir haben einen Gast, n'est-ce pas?" Er sprach mit starkem französischem Dialekt. ( „wir 'aben einen Gast!") Die Köchin murmelte etwas unverständliches, aber fröhlich hörte sich das nicht an. „Hol schon mal das Hähnchen, ich hohle den Kaviar und das Wildschweinpastete." („'änschen") Die Köchin gab sich geschlagen. Während dessen hatte der arme Mann verzweifelt versucht, einen Ausweg zu finden, doch das Haus erschien ihm so groß, dass er sich vermutlich bei einem Fluchtversuch verlaufen hätte. Dennoch war er das Risiko eingegangen und hatte seine Jacke geholt, um wieder zu gehen. Doch in diesem Moment war ein Kellner gekommen, der dachte, der „reiche" Mann suche die Toilette und führte ihn dort hin. Der arme Mann ging einfach mit und schloss sich in der Toilette ein. Was nun? „Und jetzt? Ich wollte doch eigentlich aus Stuttgart abhauen und weiter ziehen. Naja..." Er kam auf den Gedanken, einfach weiter der reiche Milliardär zu bleiben, mitzuspielen. Schließlich hatte er Hunger und das hier war ein Nobelrestaurant. Er zog sich seine Jacke über, um sie nicht immer halten zu müssen und wollte noch schnell die Hände waschen. Da erschrak er, als die Toilettenbrille sich plötzlich im Kreis drehte und sich selbst reinigte. Er hatte so etwas noch nie gesehen und er verduftete lieber schnell. Giovanni Nigleo dachte, als er den armen Mann sah, wie er mit Jacke zurück an seinen Tisch ging, dass er fror und ließ sofort die Heizungen höher stellen. Um die 50 Kellner und Kellnerinnen gingen los, um alle Heizungen, inklusive Boden-, Wand- und Deckenheizung an den Touchsreenschaltern, die im ganzen Restaurant verteilt waren, aufzudrehen. Nochmal 5 Kellner kamen, und servierten dem Gast eine Vielzahl an Vorspeisen. Es war ein Zehn- Gänge- Menü und das Besteck war demnach auch zehnfach gedeckt. Um die schöne Anordnung nicht durcheinander zu bringen nahm der arme Mann das äußerste Messer und die äußerste Gabel. Nigleo und die Küchencrew waren begeistert. Ein Mann mit Manieren! Sie servierten ihm Suppen in 10facher Ausführung, sieben verschiedene Brote, Kaviardipps, Fischplatten, Wurstplatten, Gemüse, Obst, Eier in 4facher Ausführung und das Ganze nur zur Vorspeise. Der arme Mann aß und aß, aber nicht gierig, denn er war sehr schüchtern und auch etwas verlegen. „Wundervoll! Ein Gast, welcher sich nicht benimmt, als wäre er bei einem Kindergeburtstag bei McDonalds!", freute sich die Köchin. Der Mann aß sich durch alle Gänge hindurch, Nudeln, Fisch, Fleisch, französisch, italienisch, deutsch, Salat, Spezialitäten, Vorspeise und zum Schluss Nachspeise. Doch nie trank er etwas. Das fiel Nigleo auf, und er bat dem Obdachlosen an, seinen besten Wein zu holen. Der Obdachlose beging nun seine zweite eigenständige Lüge, und Giovanni Nigleo holte seinen teuersten französischen Wein aus dem Weinkeller und gab dem Mann zu trinken. Der Fahrer der Limousine hatte sich auch in das Lokal gesetzt, und ein weniger teures Essen genossen. Bevor er aber weiter musste, fragte Nigleo ihn: „Wer ist das? Der reich aussehende Herr, der hier meine Speisekarte ausprobiert." „Bruda, ich sag dir, das ist reicher Mann mit Milliarden! Hat Aktiengeschäfte gemacht und is jetzt Milliardär. Strapinzki heißt er. Ich muss gehen, Bruda. Die Rechnung geht auf ihn. Ach, und der... Milliardär hat gesagt, er will hier übernachten. Ich geh, tschau, ge!" Damit war der verlogene Fahrer auch schon weg. Er musste wohl den Obdachlosenschein des Mannes gesehen haben, denn der hieß wirklich Strapinzki. Werner Strapinzki. Etwas später kamen die eigentlichen wichtigen Gäste des Abends. Es waren drei Bundesminister, die sich wegen einer baldigen Tagung im Reichstag Berlin schon einmal besprachen, denn anscheinend hatten ein paar Parteien die gleichen Meinungen zu dem Thema, über das gesprochen wurde. Die Bundesminister sahen Werner und setzten sich zu ihm. Er sagte zwar nicht viel, und doch hatte der Wein ihn aufgeschlossener gemacht, und die Bundesminister luden ihn prompt ein, mit ihnen nach Frankreich zu fliegen, weil dort ein bekannter in einer großen Villa mit riesen Grundstück wohnte. Strapinski ließ sich darauf ein. Sie fuhren noch am gleichen Tag, sogar noch in dieser Stunde an den Stuttgarter Flughafen heran, und Strapinzki verkündete, er würde den Privatjet selber fliegen. Er hatte einmal beim Militär gearbeitet, als Pilot bei der Bundeswehr, als Deutschland kurz davor war, sich in einen Krieg irgendwo im Irak oder so einzumischen. Seinen Pilotenschein zeigte er nun vor und so flog er noch an demselben Tag mit den Bundesministern nach Frankreich. Der Bekannte freute sich über den Besuch, und die Minister und er beschlossen, Poker zu spielen. Werner verstand anfangs nicht viel von dem Spiel, doch nach und nach bekam er ein Gespür davon und räumte mächtig ab. Fast 3 000 € gewann er an diesem Nachmittag. Es schien alles super zu laufen, wenn der Co Pilot des Privatjets nicht misstrauisch geworden wäre. Doch Werner Strapinzki war es nicht aufgefallen. Am späten Abend wollte Werner abhauen, wieder zurück nach Deutschland. Er schlich sich leise über das Villengelände, als er plötzlich eine schöne Frau vor sich stehen sah. Sie war ebenfalls um die 30 Jahre jung und trug ein wundervolles Kleid. Sofort war er bis über beide Ohren verliebt, aber würde das ein gutes Ende nehmen?

Epilog

Wieder erwachte der falsche Milliardär aus einem schrecklichen Traum über Lügen und das Gefängnis, das ihm sicher drohte. Seit er mit der Lügerei angefangen hatte, schlief er fast gar nicht mehr, dabei war er bis über beide Ohren verliebt und er hätte zu gerne von seiner schönen Paula geträumt. Aber nein, stattdessen plagten ihn jede Nacht Schuldgefühle, nur, damit er am nächsten Morgen wieder der falsche Milliardär mit der erfundenen Villa auf Mallorca sein konnte. Er schaltete wie immer den Flat Screen Fernseher an und schaute Criminal Minds, und plötzlich fühlte er sich nicht mehr, wie der nette, gute Mann, der er einmal war, sondern wie ein elender Verbrecher.



Kleider machen Leute |Neue Fassung|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt