Kapitel I

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Sie rannte so schnell sie konnte. Ihr Atem ging keuchend und unregelmäßig. Die Riemen ihres Rucksacks, den sie sich zuvor schnell übergeworfen hatte, schnitten ihr unangenehm in ihre Schultern. Brennnesseln und Äste von Sträuchern peitschten ihr um die Beine und sie spürte, wie sich die Nadeln am Waldboden in ihre nackten Füße bohrten.

Neben sich hörte sie ihre beste Freundin Clara nach Luft ringen. Sie würden nicht mehr lange durchhalten. Laira verfing sich an den vielen Wurzeln am Waldboden und stolperte, doch Clara zerrte sie gleich wieder hoch und sie rannten weiter, angetrieben von der Panik und dem Wissen, dass ihre Verfolger sie, sollten sie sie jemals einholen, töten würden.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie hatte furchtbare Angst davor, geschnappt zu werden. Die kalte Nachtluft fraß sich durch ihre dünnen Kleider und hinterließ ein taubes Gefühl auf ihrer Haut, während sie sich so schnell wie nur möglich einen Weg durch das Gebüsch schlug. Es war ihr egal, dass sich Dornen in ihre Füße gruben  oder ihre Haare sich an Ästen verfingen, sie  nahm die Schmerzen kaum wahr.

Umso lauter hörte sie jedoch die aufgebrachten Schreie ihrer Jäger, hatte das Gefühl, die Hitze, die die Fackeln ausstrahlten, direkt im Rücken zu spüren. Viel lauter erschienen ihr auch alle anderen Geräusche, die sie sonst nie wahrgenommen hatte.

Die Äste unter ihren Füßen brachen krachend zusammen, als sie durch das Unterholz hetzten. Sie setzte alles auf ein erfolgreiches Entkommen. Dennoch fragte sich Laira langsam, wohin sie ihre Flucht führen sollte. Sie hatten alles an nur einem einzigen Tag verloren. Wo sollten sie hingehen? Wer würde ihnen helfen? Würde ihnen überhaupt jemand helfen?

Sie spürte wie ein dorniger Zweig ihr Gesicht streifte und ihr warmes Blut über die Wange lief.  Gequält schnappte sie nach Luft. Ihre Lungen brannten, jeder Atemzug schmerzte. Sie hätte nie gedacht, dass sie mal in eine solche Situation kommen könnte.

Vor ein paar Tagen noch war alles anders gewesen. Damals hatte sie gedacht, die Schule sei die Hölle, die Zeremonien, die sie abhalten mussten, das lange Training, von dem Laira hinterher meistens Muskelkater hatte.

Doch sie hatte sich getäuscht. Sie hätte dankbar sein sollen für das, was sie gehabt hatte. Eine Familie. Ein Dach überm Kopf. Die Wahl zwischen mindestens zwei Möglichkeiten. Aber meistens bemerkt man erst, dass man etwas liebt und braucht wenn man es verloren hat und es längst zu spät ist.

Das Seitenstechen raubte ihr fast den Atem, doch sie zwang sich weiter zu laufen. Die Angst ballte sich zu einem Knoten in ihrem Magen zusammen. Ihre Verfolger waren viel zu dicht hinter ihnen. Eine Atempause würde sie das Leben kosten. Was gäbe Laira nur dafür, wenn alles noch so wäre wie vor einer Woche. Vor einer Woche. Das schien ihr Jahre her zu sein und doch konnte sie sich klar daran erinnern.

,, Das Kentari ist, wie ihr schon wisst, ein viertägiges Fest, in dem die Göttin Aurora gefeiert wird. In der Geschichte heißt es, sie hätte in diesen Vier  Tagen die Welt erschaffen. Für jedes Element einen Tag. Wir werden uns die nächsten Tage darauf konzentrieren, euch auf den letzten Tag des Festes vorzubereiten, an dem jeder von euch ein Element erhält. Dieses wird bei dem Ritual zu einem Teil eurer selbst, sodass die Seele sich entweder mit dem Feuer, dem Wasser, der Luft oder der Erde vereinigt. Das jeweilige Element bestimmt dann einen großen Teil  eures restlichen Lebens und es ist sehr wichtig, dass ihr wisst, wie das ganze abläuft......"

Laira hörte kaum zu. Wie jeder in ihrer Klasse wurde sie schon seit ihrer Geburt nur auf diesen einen Tag vorbereitet und bekam diese Dinge, vor allem in den letzten Wochen, tausend Mal zu hören. Sie warf einen Blick zu Clara, der es augenscheinlich nicht anders ging. Sichtlich gelangweilt starrte sie die aufgeregte Lehrerin an.

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