Kapitel 1

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Das Mädchen war eingesperrt. Stumm betrachtete sie die riesige Scheune, die bis zur Decke mit trockenem Stroh gefüllt war. Bis zum Sonnenaufgang musste sie dieses ganze Stroh zu Gold gesponnen haben, sonst würde man sie mit dem Tod bestrafen.

Aber wie sollte sie das schaffen? In diesem Augenblick verfluchte sie ihren Vater. Dafür, dass er seine Zunge nicht im Zaun halten konnte, dafür, dass er ständig Märchen über sie verbreitete und sie anscheinend auch noch selbst glaubte, denn schließlich war er es gewesen, der ihr, bevor man sie in diesen Raum eingesperrt hatte, voller Zuversicht zugenickt hatte.

Sie war verzweifelt. Sie konnte kein Stroh zu Gold spinnen. Wie konnte ihr Vater das nur behaupten? „Ach Vater...", murmelte sie, während sie sich in eine dunkle Ecke kauerte und ihr Gesicht in den Händen verbarg, „Warum nur?"

Die Zeit verging und mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde dem Mädchen mehr und mehr bewusst, dass sie sich bald von ihrem Leben verabschieden musste.

Natürlich blieb sie nicht untätig. Ein paar Mal hatte sie versucht das Stroh auf die Spindel des Spinnrades zu wickeln, doch es brach immer wieder ab und selbst wenn es ihr gelang, wurde, wenn sie das Rad in Betrieb setzte, aus den trocknen Fasern, noch lange kein Gold. Es klappte einfach nicht und irgendwann gab sie auf.

Heiße Tränen kullerten über ihre geröteten Wangen. Die ganze Zeit hatte sie ihre Trauer zurückhalten können, doch jetzt schien ihr das nicht mehr möglich.

Sie wusste nicht genau wie lange sie dagesessen und geschluchzt hatte, doch auf einmal spürte sie einen eiskalten Windhauch. Sie zuckte leicht zusammen, wagte es aber nicht auf zu sehen. Ein leicht würziger, süßlicher Duft kitzelte in ihrer Nase und als sie die Augen öffnete, klappte ihr Mund auf.

Vor ihr saß ein Mann. Doch keinesfalls ein gewöhnlicher Mann. Seine Haut war leichenblass, was durch sein schwarzes Haar und seine schwarze Kleidung noch mehr hervorgehoben wurde. Sein Gesicht war schmal und wirkte durch die hohen Wangenknochen, sehr kantig. Doch am meisten faszinierten sie seine Augen. Sie waren dunkelblau und etwas geheimnisvolles und dunkles verbarg sich in ihnen.

Sie konnte sich nicht erinnern, jemals einen schöneren Mann gesehen zu haben und doch hatte er etwas an sich, dass sie zurückschrecken ließ.

Sie sah wie sich seine schmalen Lippen öffneten und er zum Sprechen ansetzte, doch sie kam ihm zuvor:

„Wer...Wer seit Ihr?", flüsterte sie und ihre Stimme bebte. Der Unbekannte zog die Brauen zusammen, so als wäre er sehr wütend darüber, dass sie ihn unterbrochen hatte.

„Ich wüsste nicht, was dich das anginge!" Diese Stimme....Sie jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie hatte die Worte, die ihr galten gar nicht richtig wahrgenommen. Viel mehr der Ton mit dem Sie gesprochen wurden, erregte ihre Aufmerksamkeit. Er schien verärgert zu sein.

Er erhob sich und schritt langsam und geschmeidig, wie eine Raubkatze auf sie zu. Sie wollte ebenfalls aufstehen, doch ihr Körper bewegte sich nicht. Sie war wie gelähmt.

Er kniete sich vor sie hin und betrachtete innig, ihr Gesicht.

Dass seine Augen sie so anstarrten, war ihr mehr als unangenehm und trotzdem spürte sie wie ihr Herz schneller schlug, während er sie so beäugte.

„Hast du geweint?", fragte er, doch es hörte sich nicht so an, als würde es ihn wirklich interessieren.

„Ja...", gab sie leise zur Antwort und schluckte.

„Warum?"

„Weil...Mein Vater überall im Dorf erzählt hat, dass ich die Gabe besitze, Stroh zu Gold zu spinnen. Und nun soll ich meine Fähigkeit unter Beweis stellen. Aber wenn es mir nicht gelingt all das hier, bis zum Sonnenaufgang in Gold zu verwandeln, dann werden sie mich zum Tode verurteilen..." Während sie die Worte sprach bahnten sich noch mehr Tränen, den Weg über ihre Wangen.

Pakt mit der FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt