Reise zu den Schatteninseln

32 4 0
                                    


Wir schreiben das Jahr 1872. Kriege zwischen der Demaricianischen Allianz und den Schergen des Schattenkönigs haben das Land zerstört und den Schatteninseln ihren Namen verliehen. Die Macht der alteingesessenen Großchampions ward getrübt. Viele Verluste galt es zu beklagen. Zahlreicher als die vielen Sterne des Himmelszeltes, wie einige Überlebende stets zu behaupten pflegten. Doch eine unendlichere Zahl, als die der Sterne gab es nicht. Schleichend, über Jahrhunderte hinweg, legte die Natur ihren prachtvollen, farbenfrohen Mantel über die Knochen der gefallenen Kämpfer, die nicht von Schändern entwendet worden waren. Jedoch schien es, als sei die Gegend um den Schauplatz der größten Schlacht in der Geschichte Demarcias von der Pracht der Natur regelrecht gemieden worden. Die Schatteninseln waren von tiefen, unergründlichen Gewässern umgeben, auf dessen Grund grausige Kreaturen lebten. Die Wälder waren überwuchert mit Dornensträuchern, wegbahnenden Wurzeln und wilden Kräutern. Ein dichter Nebel, undurchdringlich für das menschliche Auge, lag, wie ein grauer Schal, über der Inselgruppe. Abgeschottet vom Rest der Welt lag das Geheimnis.

Kühler Wind fuhr durch ihre Haare. Mit der einen Hand hielt sie sich an der Reling der Flotte fest, mit der anderen strich sie sich die schulterlangen Haare aus dem Gesicht, um erkennen zu können, was sich am Horizont gemächlich aufbaute. Drei Tage lang fuhr sie nun auf der Flotte. Vor nicht einmal zwei Wochen war sie und fünf weitere ausgewählt worden, um zu den Schatteninseln zu reisen und dem einst gesprochenen Fluch des Königs den Garaus zu machen. Wer ihre Mitstreiter waren, wusste sie nicht. Wie sie mit ihnen auskommen würde, konnte sie nicht ahnen. Was ihre Aufgabe sein würde, stand in den Sternen. Jenes, was sie wusste, war, dass es ein gefährliches Unterfangen werden würde, dessen Gelingen von ihr und ihren Mitstreitern abhing. Ihre magischen Fähigkeiten konnten ihr und ihren Verbündeten im Ernstfall das Leben retten.

Den Blick von links nach rechts schweifend, verließ sie das Schiff.

Eine bordeauxrote Kutsche wartete an der gepflasterten Straße auf sie. Ohne Umschweife stieg sie hinein. Das mit schwerer, roter Seide verhängte und mit Ebenholz umrandete Innenleben, ließen die Kutsche behaglich wirken. Selbst die ausziehbare Trittstufe mit Geländer war auf Hochglanz poliert und sah gänzlich unbenutzt aus. Langsam, mit Bedacht, ließ sie sich auf den Polstern wieder. Zwar hatte sie Zuhause ähnlichen Luxus erfahren, jedoch wiederstrebte ihr es, diesen in vollen Zügen zu nutzen oder gar verschwenderisch zu sein.

Ruckelnd setzte sich das Gefährt in Bewegung. Sie blickte aus dem Fenster. Ihre Augen verfolgten schrittweise die vorbeigleitende Landschaft. In gemächlichem Tempo verließen sie den gräulichen, mit Fischgeruch verhangenen Teil des Hafens und bogen in eine angrenzende, mit kleinen, pastellfarbenen Villen gesäumte, Allee ein. Diese wurde in der Mitte durch einen kleinen Kanal abgegrenzt, zu dessen linken und rechten Bänke und Bäumchen standen. Die Wasseroberfläche schimmerte im Licht der Sonne türkisblau.

„Wunderschön oder?"

Blitzschnell schoss ihr Kopf herum. Zeitgleich hatte sie sich erhoben und war in Kampfstellung gegangen. Mit zugekniffenen Augen blickte sie zu ihrem Widersacher.

Im Fensterrahmen hockt eine junge Frau. Lange, blaue, zu Zöpfen geflochtene Haare umrahmten ihr blasses Gesicht. Rote Augen starrten ihr verschmitzt entgegen.

Abschreckender, als ihre roten Augen oder die blauen Haare, waren die beiden Handfeuerwaffen, die sie mit sich trug. Auffallend waren außerdem die knappe Lederkleidung, der Magazingürtel um ihre Hüfte sowie die Tattoos, die ihren Oberkörper zierten.

Geschmeidig, wie eine Katze, sprang sie ins Kutscheninnere. Ein keckes Lachen entwischte ihr.

„Du kannst die Hände wieder runternehmen."

Sie ließ sich auf die Polster fallen und legte ihre Beine auf die gegenüberliegende Sitzbank.

„Ich bin Jinx."

Reise zu den SchatteninselnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt