One - Welcome at the 3rd Heaven!

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"Hey, Sophia! Sophia Maxwell? Dritter Himmel an Sophia!" Eine Hand wedelte in meinem Gesicht herum.
"Andrew, lass das!" Andrew sah eigentlich ziemlich gut aus. Braune Rehaugen, markante Gesichtszüge, rabenschwarzes Haar. Andrew kannte ich jetzt seit drei Wochen. Drei Wochen war ich jetzt schon tot. Kaum fassbar, wie die Zeit vergeht.
Vor drei Wochen war mein Leben vollkommen normal. Und jetzt hing ich mit Andrew im dritten Himmel beim neunten Chor der Engel rum. Es ist eigentlich ganz entspannend. Heute war meine Eingewöhnungsphase vorbei.
"Super!", denke ich. "Jetzt bist du nicht nur die einzig Normale hier drin, jetzt bist du auch noch der unwissende Neuling!"
"Sophia, jetzt komm, die Principalities warten nicht ewig!", rief Andrew mir im Vorbeifliegen zu. Wie jeder noch so minderwertiger Engel besaßen wir Flügel. Nicht so riesige, so weiß glänzende, dass man denken könnte, der Träger sei vom Zähne bleichen auf Flügel bleichen gekommen.
Meine Flügel gingen mir gerademal bis zu den Kniekehlen und waren von einem schmutzigen Grau.
Was die Principalities betrifft, die Principalities sind sowas wie meine Vorgesetzten. Aber, bis man sich diese ganzen Fachausdrücke gemerkt hatte, vergingen ein paar Tage des Übens.
Dann kamen wir in der Ecke an, in der eine Principalitie saß. Diese war über riesige Papierstapel gebeugt.
"Oh! Du bist doch Sophia aus dem neunten Chor, nicht wahr? Ich bin Kathleen, aus dem siebten Chor. Und du wirst jetzt deine Botenaufgabe kriegen, oder?", sie lachte kurz und zog aus einem winzig wirkenden Aktenschränkchen ein mindestens vier Meter Aktenregister heraus.
"M-.... Max-... Maxwell, Sophia!", murmelte Kathleen. Ihre langen, sonnengelben Flügel wiegten sich im nicht vorhandenen Wind.
Ich strich mir die hellbraunen Haare aus dem Gesicht und sah Kathleen genauer an. Eine junge thailändische Schönheit, die sich konzentriert in meine Akte einlas.
"Ah, du kommst ins Schutzengelkommando. Nach... London!"
London, die Stadt, in der ich geboren und gestorben war. Eine besondere Stadt, die fast schon ein Eigenleben entwickelt hatte.
"Okay, komm Sophia! Ich bringe dich zum Team." Andrew führte mich durch den Bürodschungel der sich dritter Himmel nannte.
Der dritte Himmel war eine Art Mix aus Büro, Wohnzimmer, Terrasse und Flur. Im dritten Himmel standen zwischen Stellwänden gemütliche Sitzecken und von den Wänden gingen viele Türen ab. An jeder Tür stand in goldenen Lettern ein Name.
Andrew zog mich durch das Labyrinth aus Stellwänden zu einer Tür. Dann öffnete er die Tür und sagte in den Raum hinein:
"Hallo Leute! Das hier ist Sophia Maxwell und sie ist neu hier. Viel Spaß mit ihr!"
Ungefähr ein Dutzend Engel starrten mich an.
"Äh... Hi?", fragte ich nach einer Pause und blickte mich hilfesuchend nach Andrew um. Dieser war jedoch schon wieder verschwunden.
"Sei gegrüßt, Sophia Maxwell! Ich bin Jeanne, Jeanne d'Arc. Willkommen im Schutzengelkommando!"
Oh. Mein. Gott! Vor mir stand die leibhaftige Jeanne d'Arc! Diese war eine sehr hochgewachsene Blondine um deren Augen ein Zug des Entschlossenen lag.
"Sehr- Sehr erfreut! Und was macht ihr so? "
"Jeder hier hat einen oder zwei Schützlinge, auf die er aufpasst. Aber du fängst mit einem Schützling an. Die meisten Menschen können dich übrigens nicht sehen", erklärte Jeanne.
"Und was ist mit denen, die mich sehen können? Und warum können die das überhaupt?"
Jeanne lachte.
"Die ignorieren dich meistens, oder die lächeln dich an. Außerdem ist diese Fähigkeit angeboren. Manche sehen uns auch nach einer Nahtoderfahrung oder wenn Sie dem unausweichlichen Tod nah sind. Aber das kommt sehr selten vor. Ich bringe dich hin. Zu deinem Schützling.
Am besten ist, wenn du Tag und Nacht bei deinem Schützling wärst, aber das erwartet kaum einer. Nachts kannst du zurück kommen und ein wenig Abstand vom irdischen Leben nehmen. Wenn deinem Schützling Gefahr droht, merkst du das schon."
Jeanne führte mich durch den bis auf die Engel leeren Raum zu einer Metalltür. Sie öffnete sich auf eine Handbewegung von Jeanne und dahinter lag eine weiße Wand aus Nebel.
Jeanne nahm meine Hand und ging mit mir durch den Nebel.

Jane:
Drei Wochen waren sehr kurz. Aber die waren einsam. Sophia nun seit drei Wochen tot. Mit diesen Gedanken stieg ich in den Bus ein. Ich wartete immer noch darauf, dass sie morgens an der Bushaltestelle auftauchte. Und zwar sprintend, um den Bus zu kriegen.
Vor ein paar Tagen war die öffentliche Trauerfeier gewesen.
Fast die gesamte Schule war gekommen. Der Schulleiter hatte eine Rede gehalten. Er sagte, Sophia sei eine Heldin gewesen.
Aber Sophia war viel mehr als das. Sie war meine persönliche Seelsorgerin gewesen, zum Beispiel als ich mich von Malcolm getrennt hatte stand sie keine zwanzig Minuten später mit einer großen Packung Straciatellaeis und einer "Tatsächlich Liebe"-DVD vor unserer Haustür.
Sie war auch meine Sonne, egal, wie deprimiert ich war, sie brauchte drei Sätze und mir ging es wieder gut.
Hätte ich sie doch nicht vom Schwänzen abgehalten, hätte sie nicht so einen verdammt loyalen Charakter gehabt...
Ich stieg aus und ging Richtung Zuhause.
Dann hätte sie nicht während des Amoklaufes die Tür geöffnet und Amokläufer davon überzeugt, dass das, was er tat, falsch war. Dann hätte sie dafür auch nicht mit ihrem Leben bezahlen müssen. Dann wäre sie noch hier...

Sophia:
Der Nebel verflog schnell und die Kriegerin an meiner Seite lotste mich durch den Londoner Feierabendverkehr. Fliegend, versteht sich. Ich selbst war das noch nicht ganz so gewöhnt.
Langsam erkannte ich ihre Route wieder, die neue Perspektive ließ alles so anders wirken, Jeanne führte mich nach Chelsea, ich sah mein Haus, drei Straßen weiter!
"Da ist dein Schützling, Sophia!" Jeanne deutete auf einen rothaarigen Schopf, der gerade um die Ecke bog.
"Viel Glück, Sophia!", dann verschwand Jeanne d'Arc.
Der Rotschopf war mir sehr vertraut, es war meine beste Freundin Jane.
Mir stiegen Tränen in die Augen.
"Das könnt ihr doch nicht machen!", flüsterte ich in den Wind hinein und ließ mich nach unten gleiten. Ich stand nun direkt vor ihr.
Jane sah schrecklich aus.
Ihr rotgefärbtes kurzes Haar war zerzaust und unter ihren Augen lagen tiefe Schatten.
Wie gerne hätte ich mit ihr geredet...
Auf einmal drehte sich Jane in meine Richtung, sah mich an- und starrte durch mich hindurch.
Es war zum Verzweifeln!
Jane murmelte etwas, das ich nicht verstand und bog nun in den Vorgarten ihres Hauses ein.
Jane schloss die Tür auf und ich schlüpfte mit ihr durch die Tür. Dabei klemmte Jane mir fast die Flügelspitze ein, aber ich rettete meine grauen Federn gerade noch so vor der Tür.
Jane begrüßte ihre Mutter und ihre vierzehnjährige Schwester mit einem Winken.
Janes kleine Schwester Lucie lief zu Jane und machte ein paar Gebärden. Lucie war gehörlos. Mir fiel ein, was man mir gegenüber zu Anfang einmal erwähnt hatte:
"Unterschiedliche Sprachen sind nur für Menschen ein Hindernis. Der Schöpfer hat sie erschaffen um die Menschen zu teilen, nicht die Engel."
Denn ich verstand auf einmal, was Lucie Jane sagen wollte.
"Hallo Jane!"
"Hey Lucie!", dann drehte sich Lucie um und ging wieder zu ihrer Mutter ins Wohnzimmer.
Jane ging nun nach oben, in ihr Zimmer.
Janes Zimmer war über und über mit Fotos tapeziert. Auf den meisten Bildern sah man Jane und mich. Im Einkaufszentrum, am Trafalgar Square, bei den Wachen vom Buckingham Palace oder einfach nur im Hyde Park. Jane hatte mit ihrer Spiegelreflexkamera - ihrem ganzen Stolz- viele Episoden aus unseren Leben festgehalten.
Jane hatte ihre Tasche abgelegt und stand vor den Fotos vom Klassenausflug zum Buckingham Palace. Sie berührte eines, auf dem wir lächelnd neben einer Wache posierten.
"Oh Phia, es tut mir so leid! ich- es es ist doch alles nur meine Schuld...", murmelte sie und sie fing an zu weinen. Sie stand vor ihrer Wand mit Fotos und weinte und weinte.
Oh, ich verfluchte meine Stelle als Schutzengel, aber ich wusste gar nicht, ob ich sie überhaupt anfassen konnte. Ich versuchte es.
Ich war kein Mensch, deshalb fühlte es sich anders an. Es war, als ob ich eine Wolke wäre, fest wirkend, aber vollkommen durchlässig.
Ich konnte Jane nicht wirklich umarmen, aber ich konnte sie umhüllen, wie eine Wolke trostspendene Sophia.

Jane:
"Ich- es war alles doch nur meine Schuld!", schluchzte ich und weinte. Wie fast jeden Tag, stand ich da und war so voll von Trauer, dass meine Tränen sie nicht enmal annähernd hinausschwemmen konnten. Und plötzlich wurde mir warm Angenehm warm, wie wenn die Sonne auf einen fällt.
Es war, als ob Sophia da wäre und gerade wieder einen Kommentar über Mums schreckliche Bluse abgegeben hätte.

Sophia:
Abends wartete ich darauf, dass Jane einschlief und machte mich wieder auf den Weg. Aber, wohin eigentlich? Ich hatte schließlich keine Ahnung, wie ich wieder in den dritten Himmel zurückkam.
Und schwups!, bin ich wieder im Raum für das Schutzengelkomanndo. Echt praktisch, so himmlische Mächte.

"Sophia? Ich weiß, dass du hier bist, ich hab' gerade noch deine Flügelspitze durch die Tür verschwinden sehen! Warum sperrst du dich ein?", das war definitiv Andrew!
Ich öffnete die Tür und starrte Andrew böse an.
"Was ist?"
"Ich wollte nur kurz vorbeischau- warte, hast du etwa geweint?" Andrew kam in mein Zimmer und setzte sich, die anthrazitfarbenen Flügel ordentlich gefaltet, auf den Boden vor mein Bett.
"Ja, die Principalities haben mir meine beste Freundin gegeben!"
Andrew riss seine Augen auf.
"Das haben sie nicht getan!"
"Doch, meine beste Freundin Jane, die sich die Schuld an meinem Tod gibt.
"Wie bist du ... du-weißt-schon.... gestorben?"
"An meiner Schule gab es einen Amoklauf, ich- ich kannte den Amokläufer, er war nur ein paar Jahre älter als ich, und dann- dann bin ich us dem Raum und hab' mit ihm geredet. Das war keine gute Entscheidung. Die Kugel war sehr schnell in meinem Kopf, ich hatte keine Zeit, um Schmerz zu spüren..."
Andrew nickte.
"Welchen Tag haben wir heute?"
"Mittwoch, wieso?"
"Ich bin an einem Dienstag gestorben. War im Flugzeug..."
"Oh, tut mir leid."
"Aber jetzt bin ich ja hierund du auch! Wir lassen uns wegen Jane schon was einfallen."

The Nine Choirs of HeavenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt