Kapitel 12 - Potenzielles Vergewaltigungsopfer

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Ironisch lache ich auf und verschränke die Arme. „Du musst nicht den Helden spielen, weißt du das?", sage ich und sehe zu, wie er sich eine Kappe aufsetzt und seine Haare darunter verschwinden. „Ich verstehe ja, dass du Soldat bist und so, aber du hast mit der ganzen Sache nichts zu tun und außerdem –''

„Okay, lass uns gehen", unterbricht er mich und geht einfach an mir vorbei in Richtung des kleinen Waldes.

Doch ich sehe ihm nur verdutzt hinterher. Das kann er doch nicht ernst meinen. Als ob Harry wirklich mit mir nach Ägypten gehen will. Er weiß, worum es geht und wie gefährlich die ganze Sache werden kann. Außerdem kann er doch nicht einfach so seine Stationierung hier verlassen. Er ist amerikanischer Soldat und kein Nomade.

Obwohl. Es würde irgendwo Sinn machen. Es sah aus, als hätte er schon lange gepackt und wahrscheinlich hat er nur darauf gewartet, bis ich losgehen will. Ich bin mir sicher, Dad hat ihm auch einen Brief geschrieben, indem stand, dass er mit mir kommen soll, damit ich nicht allein bin.

Deswegen laufe ich ihm schnell leise hinterher und so langsam entfernen wir uns von dem Lager, weswegen ich mich traue, mehr zu reden. „Wie konntest du dir so sicher sein, dass ich losgehen will?", frage ich ihn, während er vor mir läuft und etwas auf einer Art Handy rumtippt.

Wir betreten eine bewaldetere Fläche und jetzt hört man mehr Tier, als man normal hört. Ich bin mir sicher, hier sind nicht nur harmlose kleine Salamander unterwegs.

„Weil dein Vater das Gleiche getan hätte", sagt er abgelenkt von dem Teil in seiner Hand, während wir durch die Büsche laufen und es immer dunkler um uns herum wird.

Argwöhnisch betrachte ich das Gestrüpp und die verschiedenen skurrilen Pflanzen, die sicherlich nicht weniger giftig als manche Tiere sind. Gerade als ich einem Ast ausweiche, der mitten auf unserem Weg hängt, frage ich: „Und du weißt hoffentlich, wo du lang läufst?"

„Ja", antwortet Harry und steckt das elektronische Teil in seine Hosentasche.

„Dad hat mir eine Karte gegeben", sage ich zu Harry und krame den Brief aus meiner Hosentasche. „Er meinte, wir sollen-''

„Stop", unterbricht Harry mich erneut und ich knalle gegen seinen Arm, den er vor mich hält.

Fast fliegt mir der Brief aus der Hand und ich sehe ihn genervt an. „Du machst das aber jetzt nicht alle fünf Meter, wenn du etwas hörst oder? Denn sonst kommen wir nie voran."

Harry sieht sich mit aufmerksamer Miene um und scheint wieder irgendetwas zu wittern, wovon ich keinen blanken Schimmer habe.

Ich verdrehe die Augen und laufe einfach geradeaus weiter, derweil ich den Brief auffalte, um die Karte zu lesen. „Das ist bescheuert. Du bildest dir das nur ein. Ich sagte doch, dass diese Überreaktionen irgendwann aufhören, so war es bei Dad auch immer." Ich sehe mit zusammengekniffenen Augen auf die Karte in meinen Händen und versuche etwas zu erkennen, während ich weiterlaufe. Ich schalte die Taschenlampe lieber nicht an, denn das Licht könnte Tiere oder gar Leute aus dem Lager hier herlocken, das Risiko gehe ich nicht ein. „Dad hat ein Kreuz bei irgendeinem Fluss gemacht", rede ich zu Harry hinter mir. „Es könnte vielleicht-''

Plötzlich ertönt ein schriller, gedämpfter Schrei und ich schwinge automatisch herum.

Es zeigt sich mir ein Bild, indem Harry ein zappelndes Blondchen auf den dreckigen Grund unter uns drückt.

Ich schüttle kurz den Kopf, weil ich denke, ich versehe mich, doch Niall ist tatsächlich hier. Ihn hätte ich ja fast vergessen. Wo kommt er denn plötzlich her?

„Verdammt, lass mich los!", schimpft dieser unter Harrys Gewicht, der ihn mit seinem Knie im Nacken zu Boden drückt und seine Arme am Rücken verdreht. „Musst du mir ständig die Gelenke verdrehen?"

1323Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt