Ich fühlte Wärme, jene Wärme, die ganz eindeutig von meinem Bruder ausging. Nicht lange war es her, als die neuseeländische Presse ein natürlich erschreckendes Gerücht in die Welt setzte. Oft kam so etwas vor, doch Levi und ich waren schon immer sehr naiv gewesen, glaubten alles, was man uns erzählte. Unsere Eltern klärten uns dann meistens auf. Auch diesmal wollten sie uns davon abhalten, diesen angeblich lächerlichen Behauptungen nachzugehen. Sie sagten, wir sollten uns mit wichtigeren Dingen beschäftigen, als mit den Lügen ahnungsloser Wichtigtuer. Ich konnte mir nie wirklich erklären, warum sie uns alles ausreden wollten, warum sie Lügen erzählten, um jene anderer zu Nichte zu machen. Genauso wenig verstand ich, wie sehr Levi und mich dieser Drang verfolgte, auf alles und jeden eine logische Erklärung oder gar die Definition dafür zu finden.
Wir wussten nur eins. Die Welt steckt voller Lügen und erfundener Geschichten, aber das sollte einen nicht davon abhalten ein Fünkchen Wahrheit in alles herein zu interpretieren. Niemand konnte ahnen, dass jenes Gerücht, welches diesmal die Umlaufbahn unserer Vorstellungskraft umsegelte, tatsächlich der Wahrheit entsprechen könnte und somit den Ruf als Gerücht verloren hätte. Nicht einmal ich ahnte das. Ich dachte, ich hätte von meinen Eltern gelernt was richtig sei und gab den Drang ,jedem zu glauben, auf. Doch mein Bruder wusste es besser. Bis zum Schluss hielt er an seiner Meinung fest, gab sich voll und ganz dem hin, was angeblich auf uns warten würde. Das Gerücht, welches sich für ihn in eine reine Bestimmung verwandelte, hörte nie auf um die Umlaufbahn seiner Vorstellungskraft zu segeln.
Das Gerücht, dass alles enden würde.
Sie sagten den Menschen, ihnen würden nur noch wenige Wochen bis zur direkten Katastrophe bleiben. Alles würde angeblich vorbei sein, wenn es erst einmal soweit sei. Das sagten sie. Und niemand außer Levi wusste, dass sie auch bis zum Schluss Recht behalten sollten. Nur er glaubte an das, was sie uns sagten. Die ganze Menschheit verhielt sich wie ich und ich verhielt mich wie die ganze Menschheit. Wir ignorierten das. Was sie uns sagten war für uns viel zu unrealistisch: Ein gewaltiger Gammablitz sollte in Kürze die Ozonschicht durchbrechen und dabei die gesamte Menschheit auslöschen.
Selbstverständlich sehr unglaubwürdig. Aber nicht fatal, sondern tatsächlich möglich. Gammablitze sind kosmische Spektakel der Extraklasse- und dennoch verdammt tödlich. Binnen kürzester Zeit wird mehr Energie freigesetzt, als die Sonne in Milliarden von Jahren abgibt. Angeblich soll diese Katastrophe durch verschmelzende Neutronensterne entstehen. Vielleicht würde nur die Hälfte der Erdbevölkerung von der eigentlichen Katastrophe vernichtet werden, doch die andere Hälfte hätte dann mit dem Schwinden der Ozonschicht zu kämpfen: stärkere UV-Strahlen als je zuvor, extremer Klimawandel, somit auch Hungersnöte und eine geringe Wahrscheinlichkeit auf guten Landwirtschaftsbetrieb. Ein Gammaausbruch solchen Maßes sollte nicht ungefährlich für uns enden. Levi konnte all dem entgegenblicken. Wir, die anderen dagegen, wendeten unsere Augen von der Wahrheit ab. Nicht einmal ich selbst wusste, ob wir alledem nur aus Angst keine Beachtung schenkten oder aus Verhöhnung. Es war wahrscheinlich beides. Levi und ich waren Zwillinge, eigentlich sollten wir gleichen Gemütes sein, doch Eltern reißen selbst das auseinander, das am stärksten miteinander verbunden ist. Bereits seit Tagen erzählte Levi etwas von einem Ort, an welchen er glaubte. Dort wollte er hin. Immer wieder hatte er mir davon berichtet, wie es dort aussah. Ein riesiger See, umgeben von Bergen, einem Pinienwald und den flauschigsten Wolken die er je gesehen hatte. Alles das spiegelte sich im Wasser wider, doch anders als normal, sagte er. Als wäre der See ein Spiegel aus flüssigem Silber. Und viele kleine Glühwürmchen sollten aus dem Wasser aufsteigen, ein wundervolles Leuchten erzeugen und in aller Pracht und Schönheit gen Himmel fliegen. Doch das seltsamste was er sagte, war, dass man dort auf dem Wasser laufen könnte, gar schweben, so leicht wie eine Feder. Bevor es zu Ende ginge wollte er dort hin, besonders überraschte mich seine Willenskraft, die ich ihm nie zugetraut hätte. Mehr als alles andere wollte er an diesen Ort, nichts und niemand ließ ihn davon abhalten. Er wollte, dass ich mitkomme.
Und dann stand ich auf dem Wasser. Neben mir Levi, der alles zu genießen schien. Seit einer gefühlten Ewigkeit blickte er in den Himmel und ich schaute ihm dabei zu, wartete darauf, dass er etwas sagen würde. Doch es blieb ewig ruhig. Noch einmal schaute ich mich um, bewunderte die Landschaft. Das Grün, welches die flachen Berge zierte, schien endlos und ging bis in diese Ewigkeit hinein. Es war bereits seit ein paar Stunden Nacht geworden, die Mondsichel erleuchtete den Himmel, in dieser Nacht waren seltsamerweise keine Sterne zu sehen.
«Was denkst du, was danach ist?», kam es auf einmal von Levi, der mich mit seinen smaragdgrünen Augen anblickte. Ich wusste nicht genau, wie er das meinte, in letzter Zeit waren Fragen das, was ich am meisten mied. Irgendwie zog es mich runter, dass er so traurig war, so bedrückt. Auch wenn ich in diesem Moment immer noch nicht an das glaubte, was geschehen sollte, versuchte ich seiner Frage nachzukommen und ihn wenigstens ein bisschen zu erleichtern.
«Bestimmt alles, was du dir jemals gewünscht hast.», flüsterte ich ein wenig unsicher.
«Du meinst also, es gäbe dann so etwas wie den Himmel oder das Paradies?», ein Hauch von Freude lag in seiner Stimme.
«Ja, ich denke schon...», das meinte ich ernst. Jedenfalls dachte ich, dass ich es ernst meinte. Selbst wenn ich nicht der Meinung war, wir würden in den nächsten Stunden schon nicht mehr existieren, konnte ich dennoch der Meinung sein, es gäbe ein Leben nach dem Tod. Und wenn der Tod jetzt nicht kommen mag, dann möge er hundertprozentig irgendwann anders kommen. Levi schien sich wieder dem Himmel zugewendet zu haben. Sicher dachte er über meine Worte nach. Währenddessen wehte der zarte und kühle Wind durch meine kurzen braunen Haare. Ich war zwar ein Mädchen, aber so eine aufgeplusterte Mähne, wie die Mädchen sie in meiner Klasse trugen, hätte mich nur gestört. Levi ist ein typisch neuseeländischer Name, genau wie Aria. Das sind unsre Namen, unsere Eltern sind viel zu abhängig, arbeiten stets nur mit den Traditionen unseres Landes und unabhängig werden sie davon in tausend Jahren nicht.
Im Moment wollte ich Levi gerne fragen, was ihn nur dazu verleitet, stets am Untergang festzuhalten, doch ich war mir sicher, es würde ihn noch weiter runterziehen, wenn er dächte, dass niemand ihn versteht und alle ihm im Stich lassen. Sowas wäre nicht gut für ihn gewesen.
«Du fragst dich sicherlich, warum ich so hartnäckig bleibe und an das glaube, was sie uns einst sagten.», es überraschte mich sehr, dass er von selbst darauf zu sprechen kam. Ich antwortete nicht, musterte ihn nur. Dann sprach er weiter: «Was mich hält ist die Wahrheit, die mich aus meinen Träumen zieht.»
Sein Blick hing immer noch am Nachthimmel.
«Aus diesenTräume, in denen ich sehe, wie vor mir alles verschwindet.», sein Flüstern wurde unheimlich, als würde er nicht mit mir, sondern mit sich selbst sprechen. Was er sagte ließ mich bedenken.
«Du meinst, es war so etwas wie eine Prophezeiung?», innerlich musste ich beinah lachen, als ich Prophezeiung aussprach. Dieses Wort war so lächerlich...und dennoch traf es zu.
«In der Art...bestimmt, Aria.», erst jetzt hatte ich das Gefühl, er würde mit mir reden.
«Aber ich weiß auch, dass du nicht an all das glaubst, an den bevorstehenden Ausrottungsprozess. Das tut weh, weißt du?», ein tiefer Stich bohrte sich den Weg zu meinem Herzen frei und augenblicklich fühlte ich einen brennenden Schmerz, der sich durch tausende und abertausende meiner Adern zog. Er hatte recht. Ich verletzte ihn mit meinem Unglauben.
Mein Blick blieb an meinen Füßen hängen, welche sich selbst erst einmal daran gewöhnen mussten, auf Wasser zu stehen. Wieder begann Levi: «Wahrscheinlich denkst du, dass die Ausrottung der Menschheit viel zu fern für uns ist, da liegst du aber falsch. Vor rund siebzigtausend Jahren gab es schon mal eine Katastrophe. Weißt du, ein Super-Vulkan auf einer Insel zwischen Nord- und Südamerika brach aus. Es war einer der härtesten vulkanischen Winter für die Menschen. Für eine längere Zeit wurde die komplette Erde verfinstert. Wir waren so kurz vorm Aussterben. Nur wenige Tausende überlebten. Dank ihrer Fortpflanzungen leben wir heute. Deshalb sind wir Menschen uns auch alle so ähnlich. Wenn man den Stammbaum unserer DNA weiter zurückverfolgen würde, könnte man eindeutig einen Punkt entdecken, ab dem man sagen würde, wir sind die Nachfahren dieser wenigen Überlebenden. Verstehst du was ich damit sagen will?», selbstverständlich war ich erstaunt über sein weit ausgeprägtes Wissen, aber beeindrucken tat mich das nicht. Denn auch, wenn wir einmal ganz knapp vor der Vernichtung der Menschheit standen, überlebt hatte unsere Spezies auch bis heute noch.
«Schon, dennoch hab ich nicht wirklich Verständnis für diese Aussage.», erwiderte ich und merkte dabei, wie sich sein Kopf senkte, fast schon, als wäre er enttäuscht von mir; oder von allem was ihm im Weg stand, so darüber zu denken.
«Es geht mir auch nicht wirklich um das Aussterben, eher darum, dass du nicht merkst, wie wir uns mit einem Schlag verlieren werden. Uns alle!», langsam schien er ungeduldig zu werden, «Stell dir vor, ich sag dir Lebewohl. Dann würdest du erkennen, wie ich mich die ganze Zeit gefühlt hab, in dem Wissen, dass alles bald vorbei sein wird. Dass alle gehen werden; und auch du und ich.», fügte er leise hinzu. Ich hörte es trotzdem, so laut wie das Schlagen meines Herzens und das Hämmern in meinem Kopf, welches beides dem Klang einer Stereoanlage glich.
«Hast du denn Angst davor?», wollte ich wissen. Ich wollte es wirklich unbedingt wissen.
«Davor, dass wir uns verlieren werden?», hakte er nach. Sanft schüttelte ich den Kopf und lächelte ihn an. Ich merkte, wie seine Augen glitzerten, wie sich Tränen darin bildeten.
«Vor dem Tod.», als er meine Worte aufnahm, schloss er die Augen und ließ eine einzige unwillkürliche und auch so unbedeutende Träne über seine zarte Haut fallen.
«Ich weiß nicht recht. Vielleicht. Aber ob es die Angst vor dem Tod ist oder die Angst davor, dass wir unser Leben nach dem Tod nicht gemeinsam, sondern getrennt gehen werden, ist mir nicht klar. Nein, es will mir einfach nicht klar werden! Will einfach nicht in meinen Kopf rein!», seine Stimme schwankte und zitterte sehr. Mir wurde die Bedeutung von allem langsam klar. Mir wurde ebenso bewusst, was passieren würde. Und nun wusste ich es. Ich wusste, dass wir alledem, was sie uns sagten, aus Angst keine Beachtung schenkten und nicht aus Verhöhnung. Wir wussten, dass es stimmte. Aber wir wollten es nicht wahr haben. Deshalb war Levi auch der einzige der es nicht ignorierte, sondern Tag für Tag versuchte zu lernen, es zu akzeptieren und damit umgehen zu können.
In dem Moment tat mir so vieles leid, zum Beispiel, dass ich ihm nicht geglaubt habe, dass ich ihm nicht dabei geholfen hab es zu akzeptieren. Ich hätte nie gedacht, dass es sich schließlich doch so entwickelt. Dass ich wirklich einmal Lebewohl sagen müsste. Oder träfe es Sterbewohl eher? Mies fühlten sich solche Gedanken an. Bedrückt schaute ich ihn wieder an.
«Ich fass es nicht...», murmelte ich nur, versuchte noch immer damit klar zu kommen. Levi schaute nun auf.
«Ich habe es von Anfang an nicht fassen können, tröstet dich das ein bisschen?», lächelte er.
«Vielleicht. Meinst du, dass es jetzt alle verstanden haben? Ich meine, nachdem ich es verstanden habe.», fragte ich ihn, hoffte auf eine erleichternde Antwort. Ehrlich gesagt wollte ich, dass sie es nicht verstanden hatten, denn nur dann würden sie alledem stets keine Beachtung schenken und müssten sich nicht mit solch fürchterlichen Gedanken rumschlagen, wie ich oder Levi.
«Nein, das bezweifle ich. Nicht mehr in diesem Leben.», meinte er.
«Hör auf zu scherzen...», mahnte ich ihn, konnte dennoch ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken. Er schien zu überlegen, anscheinend suchte er nach Worten.
«Was glaubst du wie das aussehen wird? Also wenn dieser Blitz kommen soll, der Untergang. Ich meine, die Welt zerbricht und wir stehen hier, mittendrin.», seine zitternde Stimme hatte sich schon vor ein paar Sätzen wieder gerichtet, sodass er nun mit aller Sicherheit sprach. Ich musste kurz nachdenken.
«Wahrscheinlich wird es schrecklich aussehen...und schrecklich für uns werden.», entschied ich nach wenigen Sekunden. Und einige dieser Sekunden später fühlte ich mich beobachtet, blickte auf und sah in das Gesicht meines Bruder, welches mit einem aufmunterndem Lächeln geziert war.
«Was wenn es ganz und gar nicht schrecklich wird? Stattdessen schön? Wirklich wunderschön, das Gefühl der Freiheit, nicht länger an so tief gehende Depressionen gebunden zu sein.», kaum hatte er zu Ende gesprochen, überkam ihn ein lautes Lachen. Es war ein richtig herzliches und warmes Lachen, so eines hatte ich schon lange nicht mehr hören können. Von niemandem. Die letzten Wochen waren so, als hätte die gesamte Erdbevölkerung schlechte Laune gehabt, alles war grau, jeglicher Kontrast fehlte, jegliche Lebenslust war geschwunden. Dabei meinte man, dass es sie nicht bekümmerte, was die Presse von sich gäbe, dass es sowieso nicht soweit kommen würde. Als hätten sie eine Vorahnung gehabt, hätten tief in sich gespürt, dass es der Wahrheit entsprach. War deshalb alles so leer gewesen? Hatte ich es mir nicht eingebildet?
«Ich denke, es ist bald soweit...», nuschelte Levi leise und zeigte mit seinem Finger zum Horizont.
Bei seinen Worten senkte ich zuerst den Kopf und schloss die Augen, wollte noch kurz die Welt, so schön wie sie einst war, in meinem Kopf sehen, mit Bildern, die ich nie vergessen wollte. Selbst im Tod nicht. Bilder, als das Leben noch voller Farben, voller Leidenschaft, Freude und Kontrast war. Das waren die schönsten Zeiten. Ein zwölfjähriges Leben war gewiss viel zu kurz, um noch das Beste dieser Welt zu sehen und zu erleben.
Langsam öffnete ich wieder die Augen, fürchtete mich vor dem, was kommen würde. Am Horizont war ein Schleier zu sehen, so rot wie Blut. Dabei war es noch nicht einmal Zeit für die Dämmerung des Morgens. Es war ein seltsames Gefühl, als ich merkte, wie die besagten tausend Glühwürmchen aus dem Wasser aufstiegen. Eine gewaltige Menge an kleinen, großen, breiten und schmalen Kugeln, die vor Energie ein bezauberndes Leuchten abgaben, schwebten gen Himmel, der Anblick war kaum zu definieren.
«Was passiert hier?», flüsterte ich fassungslos und gleichzeitig fasziniert.
«Es beginnt jetzt. Der Ausrottungsprozess. Du weißt sicher noch, wie ich dir von den Glühwürmchen erzählte?»
«Ja...», es wunderte mich sehr, wie mein Bruder gerade so gelassen das Wort Ausrottungsprozess aussprach, als wäre es nicht weiter bedeutend, genau wie das Wort Schrank oder Wand. Irgendwie war das unheimlich.
«Nun, ich bezeichnete diese prächtigen Phänomene der Natur, als Glühwürmchen, aber nur, weil ich es selbst nicht besser wusste. Diesen Ort hier sehe ich zum ersten Mal lebendig. Mit all seinen Schönheiten, den Bäumen, die sachte vom Wind durchweht werden, den Vögeln, die nach Süden ziehen und sich dabei im Spiegel aus flüssigem Silber widerzeigen, der Mondsichel, wie sie den schönsten Fleck der Erde zum Strahlen bringt. Bisher sah ich diesen Ort nur in meinem Gedächtnis. Darum wollte ich so unbedingt hier hin, wollte wissen, ob es ihn wirklich gibt.», erzählte er, fast nebensächlich, als wäre es kaum von Nöten gewesen, dies zu erwähnen.
«Worauf willst du hinaus?», versuchte ich ihm diese so fern liegende Antwort zu entreißen.
« Es sind weniger leuchtende Insekten, als negativ-, positiv- und nichtgeladene Atome, welche von der Energie des auftretenden Unglücks aufgeladen werden und erstrahlen, dabei sind sie doch so winzig. Kaum zu glauben, was? », schwärmte er von dem, was er wahrscheinlich in Büchern gelesen hatte. Doch es war tatsächlich atemberaubend. Wie ein Orchester, dass die schönsten und letzten Lieder der Menschen spielte und dabei vor Freude und Leidenschaft strahlte. Wie die Sonne, welche in tausende Teile barst, ihre Funken, die auf die Erde nieder fielen, wieder zurück in den Himmel schickte. Wie das schönste Buch, das ich las. Wie ein einst erloschenes Feuer, das sich wie aus Zauberhand selbst entzündete und einige Sterne gebar. Anders war es nicht zu beschreiben.
«Wie schön...», träumte ich und merkte nur ein paar Sekunden später, wie sich der komplette Nachthimmel in Weiß tauchte.
Es geschah so schnell. Als hätte man mir nicht noch mehr Zeit geben wollen, um Abschied zu nehmen. Wie eine stechende Nadel erschien ein tieforange leuchtender Strahl am Himmel und sauste nieder. Dennoch geschah alles für mich wie in Zeitlupe. Es strahlte ein Licht, die Städte, die in den Becken der Berge lagen, wurden hell erleuchtet. Die tausend Lichter wehten nun stumm umher, wie von einem heftigen Sturm gerührt, wilderten beinahe durch die Lüfte.
«Sieh hin, zu unsrer Welt, wie sie erstrahlt...», hörte ich Levi flüstern, obwohl mich das ohrenbetäubende Surren des Windes beinah taub machte.
Ich fühlte nichts. Es war reine Existenz, mehr nicht. In diesem Moment schien ich nur zu existieren, für nichts anders von Gebrauch zu sein.
«Lass uns gemeinsam gehen...», wieder nur ein Flüstern, doch trotzdem vernehmbar.
Ich merkte kaum wie mein Bruder meine Hand packte und sie fest drückte.
Mein Blick hing stets an der hauchdünnen Nadel, welche uns den Tod bringen sollte. Es gab nichts mehr zu ändern.
«Ich werde dich immer lieben, so wie du es verdienst und so, wie ich es zwölf Jahre auch schon getan hatte.», beinah ein Schreien, dabei so leise.
Ich wollte antworten, den Mund aufmachen, stattdessen fühlte ich nur die heißen salzigen Tränen, die mir über die Wange rollten. Es schien, als würde diese Flüssigkeit meine Lippen miteinander verschmelzen und für immer versiegeln. Aber gleichzeitig lösten sie mich aus der Starre. Zitternd fiel ich auf die Knie. Levi kniete sich neben mich und streichelte mir beruhigend über den Handrücken. Dann sah ich ihn an.
«Ich...auch. Ich werde dich immer lieben und dich nie vergessen, genau wie Mutter und Vater.», schluchzte ich, es war kaum verständlich, doch ich wusste, dass Levi es verstand. Aufmunternd drückte er noch ein bisschen fester meine Hand. Ich konnte es nicht. Ich konnte dem Untergang nicht entgegenblicken, nicht wie mein Bruder es konnte. Derweil blickte ich nur ihn an. Bis wir in verschiedene Welten gerissen werden sollten, wollte ich nur ihn ansehen, bis zum Schluss.
Trotzdem dachte ich daran, wie die Menschen wohl alle gerade reagierten. Irgendwie amüsant.
«Willst du es nicht sehen?», fragte er mich heiser. Mir liefen nur die Tränen, ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle.
«Dann komm...», sagte er noch einmal, bevor er sich auf den Rücken fallen ließ und mich dabei mit runterzog. Und dann wand sich die Himmelsglocke in voller Pracht zu meinem Augenlicht.
Augenblicklich spürte ich die prickelnde Kälte des Wassers, das mich umgab. Wir sanken weiter und weiter. Tief, bis zum Grund des Sees. Die ganze Zeit hielt er meine Hand, er würde es nicht wagen, sie loszulassen. Unterwasser schienen meine Tränen geschwunden, ich konnte nicht erkennen, ob Levi auch weinte, ob er genauso empfand wie ich. Mir war die Luft knapp, das störte mich jedoch wenig. Ich schaute die ganze Zeit ins sein Gesicht, suchte einen Beweis dafür, dass auch er zerstört war. Am Boden zerstört. Der Sand unter meinen Füßen war weich, genau wie seine zarte Hand. Wir lagen einfach da, am Grund des Spiegels aus flüssigem Silber, blickten nun beide hoch zur Decke, schlossen die Augen und genossen die Dunkelheit.
Die Dunkelheit, welche nie verging, welche ewig blieb.
Beide genossen wir es,
Hand in Hand.Ende
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Milliarden
ParanormalWenn man am Rande der Verzweiflung steht und einem die Hölle die Tore öffnet, kann es einen dann trotzdem noch in den Himmel ziehen?