Prolog

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Das Krähen der Raben war das Einzige, was die morgendliche Stille durchbrach und selbst dieses Geräusch wurde durch den immerwährenden Nebel nur dumpf wiedergegeben.

Um diese Jahreszeit schaffte es die Sonne nur ganz selten, mit ihren Strahlen, den Nebel zu durchdringen, der selbst unter den Bäumen allgegenwärtig war. Trotzdem schien der Wald in allen Farbtönen des Herbstes zu leuchten, als würden die farbenfrohen Blätter, an den Bäumen, die Sonne imitieren.

In der Ferne war bereits das mahnende Grollen eines Gewitters zu vernehmen, dass unaufhaltsam näher kam und eine bedrohliche Wolkenfront vor sich her schob.

Die braunen Augen des jungen Mannes versuchten, vergeblich, eine Spur seines Verfolgers ausfindig zu machen, doch noch war der Nebel zu dicht.

Geduckt stand er hinter einem Busch, in seiner rechten Hand hielt er ein Messer.

Sein Griff um dieses war so fest, dass seine Gelenke schon weiß hervortraten.

Er trug eine schwarze Regenjacke, dessen Kapuze er so tief in sein Gesicht gezogen hatte, dass man nur noch seine braunen Augen ausmachen konnte.

Schon mehrfach war er erschrocken zusammengezuckt wenn etwas im Wald geraschelt hatte, oder der Wind durch die Kronen der Bäume wehte.

Ein paar verfärbte Blätter hatten sich von dem Baum über ihn gelöst und versperrten ihn für einen Moment die Sicht. Unwirsch schob er die Blätter aus seinem Sichtfeld. Er hatte keinen Blick für die Farbpracht des Herbstes. Nicht heute.

Er wollte das, sich annähernde, Gewitter ausnutzen, um seine Spuren zu verwischen und um seinen Verfolger endgültig abzuschütteln.

Erfolglos versuchte er Schritte aus zu machen, die ihm näher kamen, doch bis auf das Krähen der Raben und das Rascheln des Windes herrschte eine gespenstische Stille im Wald.

Ein Donner zerstörte diese, immer unheimlicher werdende, Geräuschkulisse.

,,Hab ich dich.'' mehr als diese simplen Wörter brauchte es nicht, um den Mann mit der Kapuze in Alarmbereitschaft zu versetzen. Erschrocken drehte sich der Braunäugige um, um direkt in die grünen Augen seines Gegenüber zu schauen. Von dieser plötzlichen Bewegung rutschte ihm seine Kapuze vom Kopf und enthüllte sein jugendliches Gesicht.

Der Mann, dessen Worte den Braunäugigen so erschrocken hatten, erwiderte seinen wütenden Blick nur stumm.

Sie sahen fast identisch aus, als wären sie Zwillinge, doch der Altersunterschied bewies eindeutig, dass sie keine waren.

Beide hatte eine schlanke, große Gestalt, mit leichtem Muskelansatz. Zusätzlich wiesen beide ein kantiges Gesicht mit hohen Wangenknochen auf.

Doch während der ältere die grünen Augen ihrer Mutter geerbt hatte, waren in dem Gesicht des jüngeren die braunen Augen seines Vaters zu sehen.

Es hatte was von einem harmlosen Spiel. Ein Spiel zwischen zwei Brüdern, die beide nicht aufgeben wollten. Nur war es das schon lange nicht mehr.

Der ältere der beiden unterbrach das Grollen in der Ferne:,, Warum hast du das getan?'' knurrte er.

Der jüngere sah ihn furchtlos an:,, Du weißt ganz genau, dass ich nichts dafür kann.'' meinte er tonlos und blickte in die grünen Augen seines Gegenübers, die ihn immer wieder einen leisen Stich versetzten.

Es waren doch schließlich die Augen seiner Mutter. Egal wie oft sie ihn weggeschoben hatte, er liebte sie von ganzem Herzen und wollte doch nur, dass sie ihn auch liebte.

Die grünen Augen des älteren schienen ihn fast zu durchbohren. Verletzt blickte er zur Seite und verfluchte ihn für seine Augen, wie er es schon immer getan hatte. Eigentlich verfluchte er ihn für alles. Dafür, dass er von den Großeltern aufgezogen wurde. Dafür, dass er überhaupt eine heile Familie hatte.

Und was war ihm geblieben? Ein Vater, der kaum da war und sich nicht traute ihn anzusehen, um nicht an seine Mutter erinnert zu werden, die er nach all den Jahren noch so liebte. Und die Frau seines Vaters, die ihn auch nur zur Seite schob, um zu vergessen, dass ihr Mann eigentlich eine Andere liebte. Und auch seine Halbschwester, die nun vollständig seinem Bruder verfallen war. Wie alle.

Es hatte angefangen zu regnen.

Sein Griff um das Messer, den er gelockert hatte, wurde wieder fester. Es hatte sich eine Menge Frust und Wut all die Jahre in ihm angestaut.

,,Du weißt ganz genau, dass ich nichts dafür kann. Das alles, was passiert ist, zu meinem Fluch gehört.'' schrie er nun. Erschrocken, von dem ungewohnten Geräusch, verließen ein paar Raben den Baum über ihnen, um laut krächzend in der Ferne zu verschwinden. Sein Kapuze hing nutzlos auf seinem Rücken, während der Regen stärker wurde. Es war doch nicht seine Schuld, er konnte doch nichts dafür. Warum verstand das keiner?

Der ältere biss die Zähne zusammen und stierte seinen Bruder hilflos an. Seine Haare hingen ihm mittlerweile, wie bei seinem Bruder, nass im Gesicht. Dieser hatte sich noch lange nicht wieder beruhigt:,, Du hast doch deine tolle Gabe. Wieso kannst du nicht einfach deine Gabe bei mir einsetzen?'' Tränen der Verzweiflung traten in die braunen Augen des jüngeren. Wieder kehrte Stille ein, die immer wieder vom Donner unterbrochen wurde. Das Gewitter befand sich bereits über den Beiden. Ein Blitz erhellte die Situation. Auch in den grünen Augen, des älteren Bruders, schimmerten nun Tränen, die man trotz des immer stärker werdenden Regens sehen konnte.

,,Ich kann meine Gabe nicht bei dir einsetzen.'' murmelte dieser schließlich bedrückt. Der jüngere sah ihn entsetzt an, drehte sich um und rannte weg. Der Regen peitschte ihm ins Gesicht.

Der ältere, dem das Messer, welches sein Bruder in der Hand hatte, nicht entgangen war, setzte gleich hinter her und verfolgte seinen jüngeren Bruder

,,Was hast du vor?'' schrie er panisch . Der jüngere drehte sich um. Dank des Regens waren die Tränenspuren auf seinem Gesicht nicht mehr klar zu erkennen, doch der Ausdruck in seinen braunen Augen ließ nichts Gutes verheißen.

,,Mary.'' war das einzige was er verlauten ließ, bevor das Gewitter über sie hereinbrach.

With Just One TouchWhere stories live. Discover now