1. Kapitel

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Kyle und ich laufen nebeneinander, am Ende das Trauerzuges, her.

"Was denkst du, wird dein Großvater jetzt machen, nachdem deine Großmutter gestorben ist?", will er wissen.
Ich ziehe die Schultern hoch und schaue auf den Boden. "Keine Ahnung. Warscheinlich kommt er der Bitte meiner Mutter nach und verkauft den alten Hof um sich in der Stadt eine Wohnung zu mieten."

Aus dem Augenwinkel sehe ich wie er nickt und dann zu mir rüber sieht.
"Bist du okay?"
Ich drehe den Kopf zu ihm und er schaut mir forschend in die Augen.

"Ja", ich probiere ein lächeln, dass sowas wie 'mach dir keine Sorgen' ausdrücken soll.

"Wirklich? Ich meine ich weiß noch wie schlecht es mir ging als meine Oma gestorben ist."

"Es ist wirklich okay. Ich hatte in den letzten Jahren sowieso nichtmehr so viel Kontakt zu meinen Großeltern.", beruhige ich ihn.

Früher war ich so oft es ging bei meinen Großeltern, mütterlicherseits, auf dem Bauernhof, auf dem mein Großvater geboren wurde und sein ganzes Leben verbracht hat. Als Kind war das ein Paradies. Das erste was ich getan habe als ich ankam war zum Hühnerstall zu laufen und in den Nestern nach Eiern zu suchen. Früher hatten sie auch noch ein paar Kühe, die ich füttern und bei denen ich beim Melken zusehen durfte.
Doch als Teenager war es die Hölle. Außenrum gab es nichts als Felder und ein Bus in die Stadt kam 2 mal am Tag. Die 'Stadt' bestand aus einem mini Supermarkt, einer kleinen Eckkneipe und einem Restaurant. Da draußen gab es keinen Fernsehempfang und kein Internet. Deshalb war ich auch seit ich 13 war nicht mehr dort.

Die Trauergemeinde hat sich inzwischen zu einem Menschenhaufen entwickelt. Ein heulender, schneuzender Menschenhaufen, der sich ein 'Herzliches Beileid' wünscht.

Kyle und ich stehen etwas abseits.
"Und was macht ihr jetzt noch?", fragt er.
"Wir gehen in ein kleines Lokal und essen Kuchen. Ich werde versuchen so schnell wie möglich zu verschwinden.", antworte ich während ich den Leuten zusehe wie sie sich die Hand geben und heulen.
"So schlimm?", Mitleid klingt in Kyles Stimme.
Ich schaue ihn an. "Meine Großeltern väterlicherseits sind dabei.", erkläre ich verbittert.
"Das sagt alles.", Kyle wendet seinen Blick wieder auf den Menschenhaufen. Ich nicke.

Da kommen auch schon die Ersten in unsere Richtung um auch mir ein 'Herzliches Beileid' auszuspechen.
Brav reiche ich jedem die Hand und nicke künstlich betroffen. Ich hasse sowas...Ich bin nicht sonderlich emotional und es ist mir unangenehm, wenn alle weinen und ich, scheinbar unbeeindruckt, danebenstehe und keine Miene verziehe.

Mit der Zeit teilt sich der Menschenhaufen auf in Leute, die noch mit in das Lokal gehen und Leute, die sich auf den Heimweg begeben.

Meine Mutter winkt mich energisch, mit roten, verheulten Augen, zu sich.
"Also dann", hebt Kyle an, "ich muss dann auch." Er hält seine Hand hoch und ich schlage ein. Er wendet sich zum gehen.
"Hey,", rufe ich ihm hinterher. Er dreht sich um. "Danke Mann."
Er legt den kopf schief und lächelt.
"Eine Selbstverständlichkeit", erwiedert er während er rückwärts läuft und sich letztendlich umdreht und geht.

Ich lasse die Schultern fallen und trotte mit emotionsloser Mine meinen Eltern entgegen.

Jetzt sitze ich hier eine gefühlte Ewigkeit, doch der Sekundenzeiger meiner Uhr bewegt sich in Zeitlupe.
"Du bleibst mindestens bis halb vier, wenn alle fertig mit Kuchenessen sind.", hatte meine Mutter verlangt, als ich mich zum Gehen erhoben hatte, nachdem ich mein Kuchenstück, das ich 'aus höflichkeit' essen musste, heruntergeschlungen habe.

Ich werfe den Kopf in den Nacken und schliesse die Augen.
"Was für ein Scheißtag..", murmele ich.
"Unser Tony. Schon 17 und immernoch keine Manieren.", ertönt hinter mir eine mir verhasste Stimme. Noch während meine Lider geschlossen sind verdrehe ich die Augen.
"Tja..Die Erziehung des Vaters ist essentiell. Und wenn der's halt nicht drauf hat kommt sowas bei raus.", schlage ich zurück während ich mich aufsetzte und ihr mit dem kältesten Blick, den ich zu bieten habe in die Augen schaue.
Unbeeindruckt starrt sie zurück. Ich weiß jedoch, dass sie das getroffen haben muss. Ich habe immerhin ihren ach so geliebten Lieblingssohn beleidigt, der ganz nebenbei auch noch mein Vater ist.

Man sollte annehmen das Kind des Lieblingssohnes sollte auch der Lieblingsenkel sein. Doch nicht in diesem Fall. Sie ist mit meiner Mutter nicht einverstanden. War sie noch nie. 'Bauernfamilie' hatte sie mich und meine Mutter mal genannt. 'Lästiges Anhängsel' ohne das ihr Sohn schon irgendwelche großen beruflichen Erfolge vorzuweisen hätte. Aber mein Vater hatte sich nunmal für die Familie entschieden, wofür sie, wie für alles, meine Mutter verantwortlich gemacht hatte.

Sie schüttelt den Kopf und lacht ungläubig. "Ich schäme mich bei so viel Respektlosigkeit."
"Wer ist hier respektlos?!", schießt es aus meinem Mund bevor ich es verhindern kann.
Zorn flammt in ihren Augen auf. Sie hasst Widerworte.
Ich presse die Lippen aufeinander, doch im nachhinein betrachtet, sind diese Worte das Beste was ich hätte sagen können. Mein Lippenzusammenpressen verwandelt sich in ein zufriedenes Lächeln, während sich auf ihrem Gesicht immer mehr rote Flecken bilden.
"So eine unverschämtheit!", zischt sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Zwar würdevoll aber mit immernoch wutrotem Kopf erhebt sie sich und macht einen überdramatischen Abgang.

Ich verdrehe wieder die Augen und lasse mich gegen die Lehne des Stuhles plumsen.
"Och nö", erneut werfe ich den Kopf in den Nacken. Ist sie doch tatsächlich zu meinem Vater gerannt um sich auszuheulen. Ich kann nur hoffen, dass mein Vater seine Standpauke auf heute Abend verlegt und mich nicht in aller Öffentlichkeit zur Schnecke macht. Denn eins muss ich ihm lassen: Jemanden zur Schnecke machen kann er außerordentlich gut. Warscheinlich das Einzige was er wirklich kann.

Ich schaue zum Platz meines Vaters am gegenüberliegenden Ende des Raumes. Das ist meine Familienfeier-survival-Taktig: So weit wie möglich von den Eltern wegsetzten. Mein Vater steht auf und stapft wütend und entschlossen zu mir herüber. Ich rutsche auf dem Stuhl etwas nach unten und bemühe mich um einen gleichgültigen Blick.
"Mitkommen.", zischt mein Vater, während er sich schon wieder umdreht und den Raum verlässt. Lustlos, um lässig zu wirken, und so langsam wie möglich erhebe ich mich und folge ihm.

Auf dem Flur wartet er in der Tür zur Männertoilette. Sein Blick wütend und starr auf mich gerichtet. Ich spüre wie sich seine eisblauen Augen durch meinen Körper bohren.
Bei ihm angekommen hält er er mir die Tür auf und ich schlüpfe hindurch in den Vorraum der Toilette. Sorgfältig schließt mein Vater die Tür und dreht sich langsam zu mir herum.
Ich lehne mich gegen die Wand. Einerseits um meine gespielte 'scheißegal-Haltung' zu verdeutlichen, andererseits um nicht unwillkürlich nach hinten weichen zu können. Denn mal ehrlich, was ist demütigemder als öffentlich Angst vor seinem Vater zu zeigen?

Dann bricht das Donnerwetter auch schon über mich hinein. Was mir denn einfalle so Taktlos mit meiner eigenen Großmutter umzugehen. Ich zöge seine Erziehung in den Dreck und würde ihn vor seiner Mutter schlecht reden. Ich wäre ja fast volljährig und müsse wissen wie man sich in der Öffentlichkeit benimmt.
Kramphaft unbeeindruckt höre ich ihm zu. Nicke ab und zu betreten und bete, dass er bald fertig ist.

Schließlich beendet mein Vater seine Standpauke, bringt sich wieder in eine aufrechte Position, nachdem er sich immer weiter vorgebeugt hatte, während er mit mir geschimpft hatte. Dann streicht er seine Haare zurecht wobei er in den Spiegel sieht und sich räuspert.
Ich stoße mich mit meinen Schultern von der Wand ab und sage immernoch keinen Ton. Als ich nach der Türklinke greifen will, packt mich mein Vater an der Schulter und dreht mich zu sich.
"Das passiert nicht nochmal. Haben wir uns verstanden?" Durchdringend blickt er mich an. Ich nicke, wohlwissend, dass das eine Lüge ist. Ich lasse mich leicht provozieren. Besonders von ihr.
Ich weigere mich schon seit längerem sie meine 'Großmutter' oder sogar 'Oma' zu nennen. Ich betrachte sie als unbekannte, mit der ich so wenig Zeit wie möglich verbringen will.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 24, 2016 ⏰

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