Eins

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Seltsame Begegnungen kommen manchmal vor.
Die erste, beinahe furchteinflößende, passierte zu Beginn meines Schulwechsels, als ich Aaron kennenlernte, und die nächste, als ich mit einigen Freunden an den See fuhr.
Bislang hatte ich nie an andere Wesen und übernatürliche Phänomene geglaubt, aber seitdem ich dieses Blick-duell zwischen Aaron und Leander beobachtet hatte, zweifelte ich mein Weltbild ernsthaft an. Es gab doch keine Wesen, deren Haut plötzlich zu glühen begann, deren Augen auf einmal finsteren Löchern glichen und die einem eine Gänsehaut einjagten, weil einem das Gefühl überkam, zwischen zwei kollidierende Welten geraten zu sein. Oder doch?

Vollkommen fertig sackte ich auf dem grauen, schon in die Jahre gekommenen Sofa zusammen, das ich soeben mit Alina – eine meiner neuen Mitbewohnerinnen – ins Wohnzimmer geschleppt hatte. Während ich komplett erschöpft auf dem Sofa lag, tanzte sie schon wieder leichtfüßig zurück in den Flur, als ob sie nur eine Einkaufstüte oder etwas in der Art getragen hätte, um die restlichen Sachen aus dem Laster zu holen. Die unerschöpfliche Ausdauer und Kraft der Frau beneidete ich wirklich – besonders jetzt. Egal wie schwer die Arbeit war, Alina kam nie aus der Puste. Kein Wunder bei ihrem Elfenblut!
»Den kleinen Sessel möchte ich in der Küche haben. Dann muss ich meine Lektüre nicht immer durchs Haus tragen«, rief ich ihr hinterher.
»Kein Problem«, flötete sie fröhlich. »Farblich passt er ohnehin nicht in die gute Stube.« Stimmt, blau passt überhaupt nicht in die türkisgraue Welt hier, dachte ich stirnrunzelnd und massierte meinen schmerzenden Nacken.
»Oh, ihr seid ja fast fertig! Der Fernseher kommt dann gegenüber an die Wand«, bestimmte Eva, meine andere Mit-bewohnerin, die aus dem Nichts im Türrahmen erschienen war und das Zimmer musterte. Wo war sie die vergangenen Stunden gewesen? Mitgeholfen hatte sie zumindest kaum, was ich niederträchtig fand. Alina und ich waren ja nicht ihr Hauspersonal!
»Einen anderen Platz gibt's auch nicht mehr«, merkte ich genervt an, wandte den Blick von der schlanken, hellblond gelockten Frau ab und ebenfalls dem Raum zu. Das eher kleine Wohnzimmer war überfüllt von den Möbeln dreier Personen: Auf meinem Sofa, welches die gesamte Wand rechts neben der Fensterfront in Anspruch nahm und vor dem ein alter Tisch sowie zwei türkisfarbene Sessel standen, saß ich gerade; links von meinem Ungetüm quoll Alinas uraltes Bücherregal bereits vor Büchern und anderen Krimskrams über. Die Elfe stellte gerade den Flachbildschirm auf eine von Eva beigesteuerte Kommode neben der Tür, sodass nur noch die Fensterfront frei von Gegenständen war. Aber dies würde sich auch schnell ändern, wenn ich mein Gemüse davorstellte. Auf Evas Gesichtsausdruck freute ich mich jetzt schon. Grünzeug verabscheute die Frau zutiefst, weswegen sie dennoch mit mir zusammenzog, war ein für mich ungelöstes Rätsel.
»Räumst du mal die Küche auf? Sonst kann ich die restlichen Kartons nicht reinstellen«, rief Alina, deren zierlicher Körper kurz im Türrahmen erschien und sofort wieder verschwand.
»Bin schon dabei!« Dass sie mir nicht einmal eine Pause gönnte! Mir waren im Gegensatz zu ihr keine Superkräfte zu eigen. Seufzend stemmte ich mich vom Sofa hoch und ging in die gleich neben dem Wohnzimmer liegende Küche, an deren Türschwelle ich beinahe über eine Kiste stolperte. Wo kamen die vielen Kartons auf einmal her? Geradeso konnte ich den mit Tüten und Pappkisten beladenen Küchentisch in der Mitte des Kochtempels erkennen – eines der wenigen Mitbringsel meinerseits. Auch die übereck verlaufende Marmorarbeitsplatte an der rechten Wand stand voll mit Kräutertöpfen, Kochutensilien und Verpackungen. Hatte ich das alles so chaotisch abgeladen? Ich sollte wirklich dringend etwas gegen meine Unordentlichkeit unternehmen. Ich war leider schon immer schludrig gewesen, nur bei der Arbeit hielt ich meinen Platz penibel sauber – was blieb mir auch anderes übrig? Eine falsche Zutat, und das ganze Haus könnte in die Luft fliegen!
Nach und nach belud ich die Regale an der linken Wand sowie die Schränke über und unter der Arbeitsplatte, aber die Kisten schienen nicht leerer zu werden.
»Machst du mal was zu essen? Ich hab 'nen Bärenhunger«, fragte Alina, die im Türrahmen erschienen war, zögerlich. Hatte sie Angst, ich könnte Nein sagen? Mir war von Anfang an klar gewesen, dass ich hier den Kochlöffel zu schwingen hatte, was ich auch gerne tat.
»Klar. Was darf's denn sein?« Ich steckte den Kopf in den Vorratsschrank und anschließend in die Kühl-Gefrierkombination.
»Ich kann dir Nudeln mit Nudeln und Nudeln anbieten.«
»Dann nehm ich die Nudeln, aber davon viel«, lachte sie und musterte die vielen Kisten, wobei sie sich mit der linken Hand durch die kurzen, schwarzen Haare fuhr.
»Wir sollten dringend einkaufen gehen«, bemerkte ich und kramte in einem besonders tiefen Karton nach einem großen Topf.
»Das mach ich morgen früh, bevor wieder alles leer gekauft ist«, antwortete Alina grinsend und verschwand in Rich-tung ihres Zimmers.
»Jaja, die Menschen«, murmelte ich leise und stellte den großen und nun mit Wasser gefüllten Topf auf den Herd.
»Du sagst es«, meinte Eva von irgendwoher. Erschrocken zuckte ich zusammen, sodass ein wenig Wasser über den Rand schwappte. Das phänomenale Gehör meiner neuen Mitbewohnerin verunsicherte mich noch immer, obwohl ich selber nicht schlecht hörte.

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