-5- Open Ways

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-5- Open Ways

Als ich am Morgen darauf aufwachte, musste ich mich erst einmal orientieren. Ich war gestern so müde gewesen, dass ich mich ohne nachzudenken in einer stinkenden Gasse niedergelassen hatte. Ich lag auf einem schimmligen Karton, unter dem noch ein paar Lagen Müll geschichtet waren und ebenfalls vor sich hin gammelten. Ich wunderte mich, dass mein Rücken nicht schmerzte, ich war schließlich die ganze Nacht auf diesem unkomfortablen Ding gelegen. Langsam stand ich auf und streckte mich. Als ich mich bückte, um den Rucksack aufzuheben, wurde mir schwindlig als ich sah, wie weit ich vom Boden entfernt war. Ich schüttelte den Kopf und versuchte mich zu konzentrieren - ich musste mich noch an die vielen neuen Dinge an meinem Körper gewöhnen.

Ich schulterte meinen ungewohnt leichten Rucksack und warf mir meine Kapuze über den Kopf. Mit gesenktem Haupt schlich ich aus der modrigen Gasse hinaus auf die Straße. Es war laut und stressig auf den Straßen von Seattle und man kam sich vor wie in einem riesigen, summenden Bienennest – ganz normal also. Die Leute, die an mir vorbei gingen waren viel zu beschäftigt, um mich überhaupt anzusehen, wenn sie es doch taten waren sie zu unaufmerksam, um zu bemerken, dass etwas an mir seltsam war oder es interessierte sie auch einfach nicht.

Ich ging langsam den Gehweg entlang und ließ meinen Blick über die Mengen streifen. Ich konnte weit sehen, da ich gut einen halben Kopf größer war als all die anderen. Während ich so dahin ging und versuchte über nichts nach zu denken, schob sich dann doch langsam und unausweichlich der Gedanke in meinen Kopf, vor dem ich mich die ganze Zeit gefürchtet hatte: Wohin sollte ich jetzt gehen?

Ich blieb abrupt stehen und einige Leute knallten in mich rein, die dann meckernd weiter gingen und sofort wieder auf ihrem Smartphone rumtippten. Ich sah ihnen nach und versuchte nicht zu verzweifeln. Alle Menschen hatten eine Arbeit, eine Familie und einen Ort an dem sie immer Zuflucht finden werden – ich hatte nichts von dem allen. Ich spürte wie das Gefühl vom gestrigen Tag wieder in mit aufwallte und versuchte es krampfhaft wieder zurück zu drängen. Ich hatte mich für das Leben und den schweren Weg entschieden und jetzt musste ich damit klar kommen.

Ich hob mein Kinn und starrte in die Luft, um mich wieder zu sammeln, als plötzlich jemand an meinem Mantel zog. Erschrocken zuckte ich zusammen und sah nach unten. Vor mir stand ein kleines Mädchen in einem gepunkteten Regenmantel, sie starrte mich aus großen Augen an. Mit ihren zwei kleinen schwarzen Zöpfen sah sie aus wie das Mädchen aus „Die Monster AG“. Ihr Mund stand offen und ihre kleinen Zähnchen schauten hervor. Ich sah mich um, doch ich konnte die Eltern des Mädchens nirgends ausmachen. Zögernd ging ich in die Hocke und sprach das Mädchen an: „Hallo Kleines, wo sind denn deine Eltern?“ Ich biss mir auf die Lippe, als ich den Klang meiner Stimme vernahm, doch dem Mädchen würde es nicht auffallen.

„Wieso bist du grün? Ich bin nicht grün und auch meine Eltern sind nicht grün… Ich kenne sonst niemanden der Grün ist. Ist das ansteckend?“ Ich musste lächeln, so eine ehrliche und direkte Frage konnte nur ein Kind stellen. „Nein, das ist nicht ansteckend. Aber sag mal, wie heißt du?“ Sie lächelte zurück, unschuldig und sorglos. „Tiffany, und du?“ „Selyna, wohnst du hier in der Nähe oder bist du mit deinen Eltern unterwegs?“ Sie sah sich um. Sie hatte ihren Mund immer noch leicht geöffnet, was einen bezaubernd ratlosen Ausdruck auf ihr Gesicht zauberte. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, hier wohne ich nicht. Das Haus da kenn ich nicht.“ Ihr kleiner Finger zeigte auf das große Gebäude neben uns. „Aber meine Mum hat immer ganz viel von diesen großen Häusern erzählt, aber bis heute hab ich noch nie welche gesehen.“ Als wären sie ihr gerade erst aufgefallen starte sie hinauf zu den Hochhäusern und musterte sie mit unverhohlenem Interesse. Ich sah Tiffany an und überlegte, was ich jetzt mit ihr anstellen sollte.

„Weißt du wie du hierhergekommen bist?“ Sie nickte. „Ja von da!“ wieder zeigte sie mit ihrem Finger, doch diesmal die Straße entlang. „Komm mit ich zeig es dir!“ Kindliche Begeisterung durchzog ihr Gesicht und sie nahm aufgeregt meine Hand. Kurz hielt sie inne, als sie sah, dass auch meine Hand grün war, begann dann aber ohne weiter darauf zu achten mich in die besagte Richtung zu ziehen. Ich stand auf und folgte ihr. Ihre kleinen Finger waren fest um meine geschlossen, was mir in gewisser Weise Trost spendete. Ich wurde von ihr akzeptiert, so wie ich bin, ohne dass sie mich anders behandelte. Für einen Moment vergas ich, dass ich eigentlich eine Ausgestoßene war.

 Allerdings wurde ich sofort daran erinnert, als ich merkte, wie die Leute um uns herum misstrauisch anfingen zu gaffen. Eine große dunkel gekleidete Gestalt mit einem Kind am Arm, kam ihnen dann wohl doch etwas verdächtig vor. Ich versuchte sie zu ignorieren und konzentrierte mich stattdessen darauf, wo Tiffany mich hin führte. Wir liefen die Straße entlang und kamen zu einer U-Bahn Station. Abrupt blieb Tiffany stehen und ich musste die Füße in den Boden rammen, um nicht über sie zu fallen, doch mein starker Körper blieb aufrecht ohne, dass ich viel dafür tun musste.

Ich sah mich um, Tiffany zeigte nach unten. „Da bin ich raus gekommen, meine Mum hat mir gesagt, dass ich hier hoch gehen soll und dann immer weiter… Ich wollte nicht, doch sie hat gesagt, dass ich sie sonst nie wieder sehen würde…“ Mit großen Augen sah sie mich an, Angst durchzog auf einmal ihre kindlichen Züge. Sie begann heftig zu atmen und eine kleine Träne bildete sich in ihren Augen, als ihr klar wurde was passiert sein musste. „Selyna, wo ist meine Mum?“

Ich schluckte schwer, was sollte ich nur antworten? Ich konnte sie belügen und ihr sagen, dass ihre Mutter wieder kommen würde, aber früher oder später wird sie es erfahren müssen. Ich musste ihr die Wahrheit so schonend wie möglich beibringen. Aber wie bringt man einem Kind bei, dass es die eigene Mutter ausgesetzt hat?

Ich ließ den Kopf sinken und kniete mich vor Tiffany. Meine Hände umschlossen ihre Schultern, als wollten sie sie davor bewahren auseinander zu fallen. Meine tiefgrünen Augen fanden ihre blauen und ich musste mich zusammenreißen bei der verzweifelten Hoffnung in ihren Augen nicht selbst anfangen zu weinen. Ich atmete noch einmal tief ein bevor ich diese reine Kindeseele zum ersten Mal befleckte, mit einem Schmutz der schwer aus zu waschen war. „Tiffany, hör‘ mir zu…“

„Selyna!!“ Ich fuhr zusammen und blickte auf, irgendjemand hatte meinen Namen gerufen. Instinktiv stand ich auf und versteckte Tiffany schützend hinter mir. Ich sah mich um bis mein Blick auf eine hektisch rennende Person fiel. Im näher kommen erkannte ich seine Gesichtszüge. Ich erstarrte. Er kam auf uns zu und blieb erleichtert stehen. „Oh Gott sei dank, da bist du ja Selyna ich habe die ganze Nacht nach dir gesucht. Geht es dir gut? Und wer ist das da hinter deinem Rücken?“

Ich blieb regungslos stehen, ich wusste nicht wie ich auf ihn reagieren sollte. Bruce hatte mir das alles angetan, doch ich hatte ihn verletzt, also zu minderst ein Bisschen. Hinter mir begann sich Tiffany zu bewegen und trat nach vorn. Mutig reichte sie Bruce die Hand, ihre Stimme war allerdings zittrig. „Ich bin Tiffany… und ich habe meine Mum verloren.“ Aus welchem Grund auch immer sie das sagte, es zauberte Bruce Besorgnis aufs Gesicht und er legte ihr sofort die Hand auf die Schulter. „Oh hab keine Angst meine kleine, ich hab ein paar gute Freunde, die können dir bestimmt helfen sie zu finden, okay?“ Tiffany nickte und sah zu mir hoch. „Kann Selyna auch mitkommen? Sie hat mir geholfen.“

Bruce wurde ernst und sah mich an: „Wenn sie das möchte… Habe ich nichts dagegen.“ Tiffany grinste mich triumphierend an, doch ich starrte nur in Bruce‘ unergründliche Augen. War es wirklich eine gute Idee mit zu Bruce‘ Freunden zu gehen, ich war mir sicher, dass er von SHIELD redete. SHIELD war bekannt dafür, Menschen mit besonderen Fähigkeiten an sich zu binden und, wenn sie zum Problem wurden, sie zu entfernen. Es schien mir nicht der richtige Weg zu sein mich voll und ganz auf eine Organisation zu verlassen, die teilweise nicht einmal ihre eigenen Geheimnisse kannte. Ich blickte zu Tiffany die mich immer noch hoffnungsvoll anlächelte, es schmerzte mich sie schon wieder verletzten zu müssen, aber ich musste es tun – In SHIELD sah ich nicht den gesuchten Mittelweg.

Traurig schüttelte ich den Kopf. „ Es tut mir leid Tiffany, ich kann nicht mitkommen… aber ich werde die Augen nach deiner Mutter offen halten und dir Bescheid sagen, wenn ich sie sehe, abgemacht?“ Ihr lächeln verschwand und machte Enttäuschung Platz. „Okay, mach‘s gut.“ Sie drehte sich schnell um, um ihre Traurigkeit zu verstecken und sah Bruce dann voll trauriger Erwartung an. Bruce sah mir noch immer in die Augen, etwas lag in seinem Blick, was ich nicht genau entziffern konnte. Er nickte zum Abschied und nahm Tiffany an der Hand. Gemeinsam gingen sie an den Straßenrand und winkten ein Taxi heran. Tiffany drehte sich noch mal zu mir um und sah mich mit glitzernden Augen an. Ich konnte sehen, wie eine kleine Träne über ihre rote Backe rann, dann stieg sie ein. Ich konnte mich erst bewegen, als ihr Auto zwischen all den anderen Taxis verschwunden war.

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