Der Alltag (Mias POV)

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„Boah, was für ein scheiß Tag" fluche ich lauthals durch mein Büro und knalle wutentbrannt den Hörer auf Telefon. Erschrocken schaut meine Kollegin Nancy von ihrem Papierstapel auf.

„Was ist denn jetzt los?" fragt sie mich auch prompt grinsend. „Ach, nix weiter. Es gibt nur zu viele Arschlöcher auf der Welt und so eins hatte ich gerade am anderen Ende der Leitung" antworte ich genervt. Ich hasse solche selbstverliebten Idioten einfach.

„Mia, du musst viel ruhiger werden" grinst mein Gegenüber weiter. „Das weiß ich selber. Kommt wahrscheinlich, wenn ich älter werde" grinse ich nun zurück. Nancy quittiert das nur mit einem kurzen Lachen. Eigentlich sollte man das mit 31 Jahren schon sein, denke ich schmunzelnd. Und zudem ist meine Kollegin gerade einmal 25 und wesentlich relaxter im Umgang mit schwierigen Klienten.

Und schon klingelt wieder ein Telefon. Diesmal jedoch mein Handy. Als ich den Namen auf dem Display lese, kann ich ein resigniertes Stöhnen nicht unterdrücken. Nicht auch das noch.

„Hey, Schatz. Was gibt's?" melde ich mich mit aufgesetzter guter Laune. „Wann kommst du heute zu mir?" ist die pampige Gegenfrage meines Freundes Marco. „Keine Ahnung. Ich habe mit Nancy noch eine Menge zu tun. Wie du weißt, steht das Alpenflair mal wieder vor der Tür und hier stapeln sich noch haufenweise Papiere" antworte ich jetzt auch etwas schroff. Was ist denn mit dem schon wieder los?

„Du weißt, dass wir um sieben mit meinen Eltern zum Essen verabredet sind" giftet er mich weiter an. „Ja, verdammt. Und ich habe von Anfang an gesagt, dass ich nicht weiß, ob ich es schaffe. Ihr wisst, dass in der Zeit vor Großveranstaltungen die Luft brennt" antworte ich im selben Ton. Das ist halt ein Nachteil, wenn man in einer Musikagentur arbeitet. Seit Wochen sind Nancy und ich dabei, das Alpenflair Festival in Natz zu planen.

„Dann lass es eben" schreit Marco mich an und legt einfach auf. Noch so ein Arschloch, denke ich grimmig und lege mein Handy auf den Tisch.

Meine Kollegin verdreht nur die Augen und vertieft sich wieder in ihre Arbeit. Sie kennt die Situation in meiner Beziehung. Seit 4 Jahren bin ich nun mit Marco zusammen. Doch in den letzten Monaten haben wir uns kaum normal unterhalten können, ohne dass es in einem Drama endete. Und das geht mir tierisch auf die Nerven.

Kurz bevor ich in den wohl verdienten Feierabend starten will, um noch rechtzeitig zu diesem scheiß Essen zu kommen, betritt mein Chef unser Büro.

„Hey, Mirko. Was machst du denn noch hier?" frage ich ihn grinsend. „Gleich Feierabend. Aber erst muss ich mit dir reden, Mia" grinst er zurück. Ich sehe in fragend an und warte, dass er mit der Sprache rausrückt. „Ich brauche dich nächste Woche vor Ort auf dem Alpenflair" eröffnet er mir. Ach du scheiße. Ich auf einem Festival in Südtirol. Na super.

Nach kurzer Diskussion willige ich schließlich ein. Eine andere Wahl habe ich sowieso nicht, weil das nun einmal mein Job ist und ich meinen Job halt liebe. Und die meisten Bands finde ich auch gar nicht so schlecht.

Diesen Beruf habe ich mir letztlich ausgesucht, weil ich ein totaler Musikfreak bin. Vor allem Deutschrock, Metal und Goth hat es mir angetan. Und ohne Musik bekomme ich richtig schlechte Laune.

Auf dem Weg in Restaurant überlege ich mir schon, wie ich Marco beibringen soll, dass ich ohne ihn zum Alpenflair fahren werde. Auch mein Chef hat mitbekommen, dass es bei uns nicht gut läuft und er möchte, dass ich mich auf meine Arbeit konzentrieren kann und mich nicht nur um meine Beziehung kümmern muss.

Bevor ich losgefahren bin, habe ich meinen Freund schon angerufen um ihm zu sagen, dass wir uns beim Italiener treffen. Damit erspare ich mir erst mal die Szene, die er mir sonst machen würde.

Seine Eltern akzeptieren meine häufige Abwesenheit. Sie wissen, dass ich meine Arbeit liebe und ohne sie nicht glücklich wäre. Nicht zuletzt finden sie es erfreulich, wenn ich ihnen VIP-Tickets für ihre Lieblingskünstler verschaffen kann.

Bevor ich aus meinem BMW steige, werfe ich noch einen prüfenden Blick in den Rückspiegel. Make-up und Haare sitzen. Also kann es losgehen.

Während ich unser Stammlokal betrete, sehe ich Marco und seine Eltern schon an unserem üblichen Platz sitzen. Piedro nimmt mir meine Jacke ab und begleitet mich an unseren Tisch.

„Entschuldigt die Verspätung. Mein Chef hatte noch etwas wichtiges mit mir zu besprechen" entschuldige ich mich während ich erst meine Schwiegereltern und dann meinen Freund begrüße.

„Kein Problem, Kleines. Wir wissen doch, dass du im Sommer immer besonders viel zu tun hast" antwortet mir Marcos Mutter lächelnd und ich beschließe, diese Vorlage gleich zu nutzen.

„Das kannst du laut sagen. Mirko hat mich vorhin dazu verdonnert, dass ich nächste Woche nach Italien fahren muss. Ich soll am Sonntag los um das Alpenflair vor Ort mit zu betreuen. Niemand anders kann das so gut wie ich, meint er" erwidere ich gespielt bedauernd.

Ich habe Mirko letztlich selbst gebeten schon am Sonntag fahren zu dürfen, damit ich hier mal raus komme. Ich war schon viel zu lange nicht mehr auf Geschäftsreise um die Künstler vor Ort zu bemuttern.

„Und wann zur Hölle wolltest du mich fragen, ob es mir passt nach Italien zu fahren?" giftet Marco mich wütend an. „Gar nicht. Ich fahre alleine. Anweisung vom Chef" antworte ich so ruhig ich kann. Was bildet der Penner sich eigentlich ein? Er kann doch nicht erwarten, dass ich ihn immer mitschleppen kann.

„Na dann viel Spaß alleine" erwidert er eingeschnappt.

Der restliche Abend verläuft ziemlich angespannt. Als wir uns verabschieden, wendet Marco sich an mich. „Schläfst du heute bei mir?" fragt er mich ziemlich kleinlaut. Wir beide sind uns einig, dass wir nicht zusammenziehen wollen. Jeder will seine Freiheiten behalten.

„Klar, warum nicht? Aber ab morgen muss ich noch eine Menge organisieren. Also werden wir uns dann erst nach dem Alpenflair wiedersehen" antworte ich ihm. Das hätte ich aber lieber lassen sollen. „Weißt du was? Lass es. Genieße Italien. Ich bin fertig mit dir" schreit er mich an und lässt mich alleine in der Dunkelheit stehen.

Nach einer furchtbaren Nacht werde ich früh am Morgen durch die Klingel geweckt. Mirko hat mir frei gegeben um mich auf die Reise vorzubereiten. Doch Marcos Verhalten gestern Abend hat mich ziemlich mitgenommen. Auch wenn wir uns nur noch zoffen, liebe ich ihn.

Total zerzaust und verpeilt schlurfe ich zur Tür. Davor steht ein Blumenkurier mit einem riesigen Strauß blaue Rosen. Als ich wieder in einer Wohnung bin lese ich die Karte.

„Es tut mir leid wegen gestern. Vielleicht tut uns der Abstand auch mal gut. Ich wünsche dir viel Spaß. Ich liebe dich. Kuss"

Wow, diesmal hat Marco es ziemlich schnell eingesehen. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Denn nur weil es mal schlecht läuft, muss man die letzten Jahre ja nicht einfach wegwerfen.

Da ich jetzt eh wach bin, beschließe ich eine Maschine mit dunklen Klamotten und meinen Bandshirts anzustellen. Die müssen immerhin bis morgen Abend trocken sein. Es ist schließlich schon Freitag und laut Mirko kann ich Sonntag Mittag in meinem Hotel einchecken. Und da ich einen netten Chef habe, hat er mir ein 4-Sterne Wellnesshotel gebucht.

Also werde ich den Sonntag nutzen, um mich verwöhnen zu lassen, bevor ich mich ab Montag mit den Managern der Bands rum ärgern muss. Meine langen schwarzen Haare habe ich mir glücklicherweise erst letzte Woche schneiden und färben lassen. Das hätte ich garantiert sonst nicht mehr geschafft. Und wenn ich schon ein paar meiner Lieblingsbands treffe, möchte ich auch gut aussehen.

Vor allem freue ich mich auf Hämatom. Die Alben finde ich super und jetzt wird es Zeit sie endlich mal live zu erleben. Für Frei.Wild gilt das gleiche. Selbst auf Matthias Reim bin ich gespannt. Das ist noch so ein Überbleibsel aus meiner Kindheit.

Jetzt muss ich nur noch alles fertig kriegen.

Das Paradies auf Erden liegt mitten in den Bergen (derzeit pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt