Lebensträume

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„Lebensträume.
Tja, was soll ich dazu sagen. Klar, ich hatte auch welche, beziehungsweise einen Traum. Bis...egal.", sie lächelt verschwörerisch, „Ich wollte euch von Lebensträumen erzählen. Naja, es gibt Kindheitsträume, die jeder Mal hatte. Jungs wollten ihrem großen Vorbild „Feuerwehrmann Sam" nachkommen und mit Brände löschen ihren Lebensunterhalt verdienen. Mädchen wollten es zu ihrer Berufung machen, Fee zu werden. Passendes Vorbild hierfür wäre „Prinzessin Lillifee". Wenn du aber älter wirst, werden diese Träume, die man zu schönen, bunten Türmchen gestapelt hat, wackelig. Du denkst darüber nach und dir wird klar, dass du keine Fee werden kannst, weil das einfach nicht möglich ist.
Das ist eine wichtige Erkenntnis die man sammelt.
Du setzt dir neue, realistischere Ziele, die zu deinem Traum werden. Meistens beinhalten diese, ich nenne sie jetzt mal „fortgeschrittene Träume", einen Job der Spaß macht, Familie gründen und so weiter.
Man kennt das ja.
Manche schreiben sich diese „fortgeschrittenen Träume" auf eine To-Do-Liste, um sich dann vorzunehmen, ein weiterer Traum, den nur wenige schaffen zu erfüllen, die Liste abzuarbeiten. Die meisten aber erkennen nach einer Weile, in der sie die Liste bewacht haben wie ein Schatz und neue Punkte hinzugefügt haben, dass es sehr schwer werden wird, einen Reiterhof zu finanzieren und nebenbei Pilot zu sein. Dennoch erkennt man, dass diese Träume einen dahin gebracht haben, wo man heute steht. Sie haben dich geprägt.
Wenn man es dann irgendwann geschafft hat, sich für einen Studiengang zu entscheiden, mittlerweile ist man Mitte 20, will man von zu Hause weg.
Wenn ihr mich fragt, ein völlig normaler Gedanke, der einem da kommt.
Man packt also seine Umzugskisten und das Zimmer, in dem man seine Kindheit und Jugend verbracht hat, wird immer leerer. Du bist fast fertig mit einpacken, da fällt dir dieses, längst verschollen geglaubtes, zusammengefaltete, mittlerweile leicht vergilbtes Blatt Papier ins Auge. Du weißt genau was es ist. Du setzt dich in die Mitte der übereinandergestapelten Umzugskartons du faltest es auseinander, deine To-Do-Liste, die du mal geschrieben hast.
Zum einen Teil wirst du reumütig, vielleicht rollt dir auch eine Träne die Wange herunter, weil du weißt, dass du diese Zeit nie mehr erleben wirst, als alles noch aufregend und neu war. Zum anderen Teil freust du dich, weil du vielleicht schon ein oder zwei Punkte der Liste abharken kannst. Manche Punkte sind unmöglich zu erreichen, weil du dich mittlerweile für einen anderen Beruf entschieden hast. Doch die anderen Punkte, die noch auf ihren Haken warten, nimmst du dir vor, wie damals auch, zu erreichen.
Du nimmst dir vor, dass du irgendwann, wenn du alt und faltig bist, stolz  deinen Enkeln (noch so ein Punkt deiner Liste)", sie muss grinsen, „erzählen kannst, das du das, was du dir vorgenommen hast, erreichen konntest. Dann hört ihr, wie die Tür aufgeschlossen wird. Deine Enkel rufen freudig:„Opa! Opa!", und die Liebe deines Lebens (auch ein Punkt, den du voller Stolz abharken konntest) kommt herein und begrüßt euch freudestrahlend. Du bist glücklich und zufrieden. Das nimmst du dir vor.", schließt sie ab.
„Sie sagten vorhin, dass sie auch einen Traum gehabt hätten, bis...?"
„Bis er in Erfüllung gegangenen ist. Und deshalb kann ich nur, damit es jedem so geht wie mir, eine bekannte aber durchaus sinnvolle Weisheit ans Herz legen: Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum. Egal, wie komisch er dir mit der Zeit vorkommt, solange es nicht zu kompliziert wird, kann man ihn erfüllen und meistens erfüllt er dich als eine Art Gegenleistung mit Freude. Auch wenn du auf dem Weg dorthin über Steine klettern musstest. Am Ende des Weges schaust du verschwitzt auf die Berge zurück, die du erklommen hast.", sagt die alte Dame abschließend, bevor sie sich aus dem Sessel erhebt, auf ihren Gehstock stützt und von ihrem Mann, der sie voller Liebe anblickt, in Empfang genommen wird.
„Also ihr habt sie gehört: Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum. Das habe ich mir von einer weisen, alten Dame mal sagen lassen", sagt die Reporterin, bevor auch sie sich aus ihrem Sessel erhebt, „CUT!", gerufen und die Kamera, die das Gespräch aufgenommen hat, ausgeschaltet wird.

Die Lichter erlischen und das letzte, was man sieht, ist die Silhouette der zierlichen Reporterin, die hinter der zufallenden Tür verschwindet und gerade dabei ist, sich ihren eigenen Traum zu erfüllen.

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