Kapitel 1

500 69 2
                                    

Das angenehme Vibrieren des Motors beruhigte meine angespannten Nerven und die zunehmende Dunkelheit gab mir ein Gefühl der Vertrautheit. Die unerträgliche Hitze war einer angenehm warmen Brise gewichen, sodass ich mit offenen Fenstern den Highway entlang fuhr. Erst eine halbe Stunde war vergangen, seit ich den Wagen vom Parkplatz gelenkt hatte und meine innere Ruhe schien endlich zurückzukehren. Mit dem Handrücken wischte ich über meine Augen. Obwohl ich den ganzen Tag geschlafen hatte, steckte mir die Erschöpfung in den Gliedern. Beim Anblick der kleinen Raststätte an der Seite des Highways fing zudem mein Magen an zu knurren. Zum Glück hatte ich keinen festen Zeitplan, so konnte ich mir eine Tasse heißen Kaffee und eine kleine Mahlzeit gönnen. Mit diesem Entschluss setzte ich den Blinker und lenkte den Wagen auf den Parkplatz der Raststätte.

Das kleine Diner machte diesen klischeemäßigen amerikanischen Eindruck, mit rot gepolsterten Sitzbänken und schwarzen und weißen Fliesen. Mit geschulterter Tasche trat ich durch die Glastür und hörte eine Glocke bimmeln. Ich suchte mir einen Platz in der Ecke und rutschte an den Fensterplatz, wo ich die Karte studierte. Unauffällig blickte ich immer wieder über den Rand um den Raum nach etwas abzusuchen, wovon ich selbst keine Ahnung hatte was es war. Bis auf zwei Truckerfahrer war ich der einzige Gast hier und hinter dem Tresen wuselte eine rundliche Frau mittleren Alters herum, griff nach einer Kaffeekanne und kam auf mich zu.

"Was darf ich dir bringen, Liebes?", fragte sie mich mit freundlichem Lächeln während sie Kaffee in eine Tasse goss. Ich wandte meinen Blick kurz zurück auf die Menükarte ehe ich antwortete. "Gerne einen kleinen gemischten Salat und den Burger mit Pommes." Ruth, wie es auf ihrem Namensschild stand, notierte sich meine Bestellung und kehrte zurück hinter die Theke, wo sie den Zettel auf der Durchreiche zur Küche platzierte. Mit einem Seufzen starrte ich die dunkle Brühe in der Tasse an. Zuhause trank ich normalerweise starken Espresso, schwarz ohne Zucker. Aber der hier würde seinen Zweck wohl auch erfüllen.

Ich kramte in meiner Tasche nach dem Buch, das ich mir für die Reise eingepackt hatte und schlug es an der richtigen Stelle auf. Solange ich auf mein Essen wartete, konnte ich mir die Zeit mit Lesen vertreiben. Ich schlug das Buch auf der Seite mit dem Eselsohr auf und blendete die Welt um mich herum aus. In der Geschichte war die Hauptperson gerade in einen verbitterten Kampf gegen eine Hydra verwickelt. Nachdem er erfahren hatte, dass Köpfe abschlagen nicht viel ausrichten konnte, ließ er sie kurzerhand mit einem Zauber einfrieren und zerschlug sie in tausende Splitter. Genervt schüttelte ich meinen Kopf. Wusste der Idiot denn nicht, dass man einer Hydra den mittleren Kopf abschlagen und ausbrennen musste? Das war doch wirklich lächer... Bevor ich den Gedanken zu Ende denken konnte, stutzte ich. Woher wusste ich das überhaupt? Bisher war ich kein Fan von Mythologie und mystischen Wesen gewesen, mal ausgenommen bei Fernsehserien. So sehr ich mich aber darauf konzentrierte mich zu erinnern woher dieses Wissen kam, umso mehr schien sich eine Blockade in meinem Geiste zu verfestigen.

"Bitteschön, Liebes." Ruths Worte rissen mich aus meiner Starre. Schnell warf ich das Buch in meine Tasche und bedankte mich lächelnd mit einem Kopfnicken als Ruth den übervollen Teller vor mir abstellte. In Rekordzeit aß ich den Teller leer, legte etwas Geld auf den Tisch und griff nach meiner Tasche. Die Grübelei ließ meine Gedanken immer noch schwirren und verursachte ein unterschwelliges Gefühl von Schwindel. Das Gefühl von Unwissenheit hatte mich schon immer fast in den Wahnsinn getrieben. Erst als ich im Wagen saß verringerte sich das Schwindelgefühl und ich konnte befreit durchatmen. Das Schönste an den amerikanischen Highways waren die schnurgeraden Strecken, die sich durch die karge Landschaft zogen.

Ich trat aufs Gaspedal, drehte das Radio auf volle Lautstärke und sang aus vollen Hals bei 'The Look' von Roxette mit. Kein Auto kam mir entgegen und erst nach zwanzig ruhigen Minuten überholte ich einen Kombi. Im Wagen sass eine Familie, der Vater am Steuer, die Mutter auf dem Beifahrersitz und auf der Rückbank zwei schlafende Kinder. Der Anblick versetzte mir einen Stich ins Herz, ein perfektes Familienleben war das, was ich mir seit langem wünschte und seit so vielen Jahren keine Realität mehr war. Auch wenn meine Reise dazu bestimmt war mir etwas Gutes zu tun und für eine Weile weg von Zuhause zu kommen, wurde ich nun schmerzlich daran erinnert, was mich bei meiner Rückkehr erwartete.

Ein ohrenbetäubendes Brüllen und das Geräusch quietschender Reifen rissen mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität. Erschrocken blickte ich in den Rückspiegel und trat mit aller Kraft auf das Bremspedal. Der Motor verstarb mit einem gluckernden Geräusch und ich drehte mich auf dem Sitz um. Mit offenem Mund beobachtete ich das Geschehen durch die staubige Heckscheibe. "Was zum..?!"

The HuntressWo Geschichten leben. Entdecke jetzt