Attyla

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Maester Caleotte lief ihr über den Weg, aber er machte nur einen kleinen Knicks und murmelte nur irgendetwas von Guten Tag. Attyla wollte jetzt aber sowieso keine Gesellschaft. Vor vier Tagen war der Brief aus dem Norden gekommen. Genau das Pergamentstück, welches sie jetzt in der Hand hielt und immer wieder auf und zu rollte, während sie über den rosa Marmor in den Wassergärten schritt. Sie setzte sich an eines der Wasserbecken, zog ihre Sandalen aus Schlangenhaut aus, raffte die leichte Seide ihres Rockes ein bisschen hoch und tauchte ihre Beine in das erfrischende Nass ein. Sie entrollte zum hundertsten Mal den Brief und las ihn zum fünfzigsten Mal.

Fürst Doran Martell von Dorne,
der König des Nordens, Robb Stark, ist Eurer Bitte gewillt, die Hochzeitszeremonie in Sonnspeer abzuhalten. Ebenfalls mit Eurer Bitte, dass er Attyla und nicht Arianne zum Weibe nimmt kommt er nach. Er möchte Attyla seine Grüße ausrichten und hiermit sagen, dass er sich geehrt fühlt sie zu seiner zukünftigen Frau zu machen.
Das war reine Höflichkeit. Attyla wusste, dass er lieber ihre Schwester zur Frau genommen hätte. Am morgigen Tag wird der König des Nordens mit seinem Gefolge auf fünf Galeeren den Seeweg nach Dorne starten. Das Hochzeitsfest kann dann sobald wie möglich stattfinden.

Auf Lady Catelyns Wunsch hin, soll ich hiermit Maester Caleotte noch einmal ausdrücklich bitten, die Fruchtbarkeit von Lady Attyla zu untersuchen. Es liegt der Lady sehr am Herzen.

Maester Luwin im Dienste von Robb Stark, dem König des Nordens

Immer und immer wieder hatte Attyla ihn nun schon gelesen. Sie hatte Robb Stark noch nie gesehen. Sie zweifelte nicht an seiner Höflichkeit, doch es betrübte sie, dass sie seine zweite Wahl war. Aber wenn sie ihn geheiratet hatte, würde sie Königin des Nordens sein. Attyla legte den Brief neben den Beckenrand und sah in das klare Wasser hinab. Auf dem Grund sah sie die kleinen Steinchen die zu einem Mosaik gelegt waren. Oben auf der Wasseroberfläche, spiegelte sie sich. Sie sah ihre braunen Augen und das ebenfalls braune Haar, welches leicht lockend über ihre Schultern fiel. Ein ganz normales Gesicht eben. Viele nannten sie schön, doch würde sie für Robb auch schön genug sein? Vorsichtig stieß sie sich vom Beckenrand ab und glitt langsam in das erfrischende Wasser. An solchen heißen Tagen, wie es sie in Dorne oft gab, gab es nichts Schöneres als in den Wassergärten zu schwimmen. Sie wusste, dass ihr Vater Doran Martell oben auf seinem Balkon sitzen würde, in seinem Rollstuhl den Maester Caleotte ihm gebaut hatte, und ihr zusehen würde. Ihr Vater saß dort den ganzen Tag über und sah den Kindern zu, die hier spielten. Heute sah er ihr zu, wie sie badete. Er und Areo Hotah hatten ihr auch ihren Beinamen gegeben. Attyla die Wassertänzerin. Im Wasser fühlte sie sich irgendwie frei. Hier war sie schwerelos und alle Sorgen der Welt schienen verschwunden zu sein. Die violette, leichte Seide wallte zu wunderschönen Mustern, als Attyla unter tauchte. Sie drehte sich durch das Wasser. Schwamm und machte die schönsten Figuren. Irgendwann tauchte sie wieder auf um Luft zu holen. Sie konnte länger als alle anderen die Luft anhalten. Sie atmete tief ein und tauchte wieder ab. Irgendwann kletterte sie wieder aus dem Becken und legte sich auf den warmen Marmor. Sie ließ sich und ihre Kleider von der Sonne trocknen.

Sie war gerade wieder ganz trocken, als Areo zu ihr kam. Hotah war der Hauptmann der Wache.

„Euer Vater wünscht Euch zu sprechen, Prinzessin", sagte er zu Attyla und sie schlug die Augen auf. Seine Langaxt trug er wie immer bei sich, genauso wie seinen steinernen Blick. Sie nickte, stand auf und folgte dem Hauptmann. Auf der Terrasse saß ihr Vater in seinem Rollstuhl mit Blickrichtung auf die Wasserbecken, so wie sie es vorausgesehen hatte.

„Komm näher, mein Kind", sagte ihr Vater zu ihr ohne sich umzudrehen. Sie ging zu ihm und setzte sich neben ihn auf einen Stuhl. Sein Rollstuhl war mit weichen Daunenkissen gepolstert und über seinen Beinen lag trotz der Hitze eine Decke um seine angeschwollenen Gelenke zu verdecken. Ihr Vater sah alt aus. Er war zweiundfünfzig Jahre alt und doch wirkte er zwanzig Jahre älter. Unter seinen Augen hatten sich große Tränensäcke gebildet und sein Körper war schwammig und formlos, auch wenn er versuchte das meiste mit einer Leinenrobe zu kaschieren. Die Gicht machte ihm stark zu schaffen.

Winter und Sommer 《I》 (Robb Stark)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt